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Zwei Wochen in der Nobeldisco unter den Dating-Apps

von Oskar Nehles
The Inner Circle ist so etwas wie der Nobelclub unter den Dating-Plattformen: Rein kommt nur, wer es an einem virtuellen Türsteher vorbei schafft. Nun hat die Plattform auch in Berlin aufgemacht und unser Autor hat sich gefragt: Wie sieht das edle Liebesanbahnungsnest von innen aus?

Nobeldisco, das Wort klingt ja schon etwas angeranzt. Ein bisschen wie Saint Tropez. Oder Düsseldorf. Wo es solche Läden gab oder gibt. Doch eigentlich existiert in jeder größeren Stadt mindestens ein Club, der ungefähr zum Wort Nobeldisco passt: Dort, so würde es die jeweilige Lokalzeitung ausdrücken, feiern die Jungen und Schönen und Reichen. Weshalb Leute, die weder jung noch schön noch reich aussehen, nicht reinkommen. Angeblich. Viele Menschen wollen diese Orte aber auch gar nicht betreten, weil sie sich von vorne herein ausgeschlossen fühlen von dem, was man so bessere Kreise nennt. Andererseits: Da will man doch rein. Wenigstens um nachzugucken, wie es da so ist.

Die besseren Kreise: Damit ist man nicht nur buchstäblich bei The Inner Circle. In den vergangenen zwei Jahren hat die Dating-Seite von Amsterdam aus nach und nach in europäischen Metropolen örtliche Netze aufgespannt – mit dem Versprechen, ein exklusiver Club zu sein für Leute, die jemanden finden wollen. Jemand Besonderen. Jungen, Schönen, Reichen. Nach Städten wie Paris und London scheint nun auch Berlin dran zu sein.

Jedenfalls tauchte in den vergangenen Wochen in den News Feeds einiger meiner Facebook-Freunde eine Anzeige von The Inner Circle auf, deren Text fragte, ob man vielleicht ausgewählte Berliner Singles kennenlernen wolle. Als ich die Werbung auch in meinem Feed sah, habe ich sofort draufgeklickt. Und wurde zuallererst informiert, dass man sich nicht einfach so anmelden kann bei The Inner Circle, wie das bei Tinder oder OkCupid der Fall ist.

Man muss entweder von einem Inner-Circle-Mitglied eingeladen worden sein – was ich nicht war – oder nett darum bitten, rein zu dürfen in den Club. Der sich außerdem dadurch auszeichnet, dass er regelmäßig eigene Partys veranstaltet. In der richtigen Welt. In, na klar, Nobeldiscos. Und nur für seine Mitglieder.

Nach meinen sexuellen Präferenzen wurde ich nie gefragt

Ich stellte mich also in die virtuelle Schlange vor The Inner Circle. Dafür musste ich den anonymen Türstehern Zugang zu meinem Facebook-Profil geben, wohl damit sich die Dating-Plattform dort mal ein bisschen umschauen konnte. Seine Facebook-Freundschaftsliste gibt man ja auch bei anderen Apps und Anwendungen preis, was sich immer gleich doof anfühlt. Bei The Inner Circle tut es das jedoch noch ein bisschen mehr. Denn die Seite wollte ja offenbar nicht nur meine Daten haben, sie musste ja auch irgendwie bei mir herumschnuppern, meinen Bildern, Freunden, Aktivitäten – denn wie sonst würde sie entscheiden können, ob ich wirklich besonders genug dafür war, aufgenommen zu werden?

Lange musste ich nicht warten, nur einen halben Tag, dann wurde ich per E-Mail informiert, dass ich offenbar dem prüfenden Blick des Inner-Circle-Türstehers standgehalten hatte und an ihm vorbei gekommen war: Ich könne jetzt mein Profil aktivieren. Puh!

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Nun ist es so: Ich bin weder jung noch schön noch reich. Die ersten beiden Sachen haben sich bereits durch mein nicht mehr ganz jugendliches Alter erledigt. Und die dritte will sich einfach nicht einstellen. Egal, was ich tue, richtig viel Geld springt dabei am Ende irgendwie nie raus. Aber wenn ich schon kein Glück im Spiel habe, dann sollte ich doch endlich mal Glück in der Liebe haben. Es wäre wieder Zeit.

Also fing ich an, mein Profil auszufüllen. Geschlecht, Geburtstag, Wohnort, Nationalität, Job, Berufssparte, Ausbildung, Größe, Körperform. Ob ich Kinder habe oder Raucher bin, das wurde ich auch noch gefragt. Und unter dem Signet „Choose wisely“ konnte ich mich auf der englischsprachigen Website auch noch für einen aus vier Typen in verschiedensten Kategorien entscheiden: „Sailor, surfer, swimmer, kiter?“ Nun ja, Segler, aber das war nur einmal und vor vielen Jahren im Urlaub. „Cocktail shaker, wine lover, beer beast, coffee addict?“ Mach am besten auf kaffeeabhängig, dachte ich. Bierbiestig will man ja nicht wirken, und Cocktailschüttler, das klingt nach hochgestelltem Polohemdkragen, während ich mir Weinliebhaber eher verschnarcht vorstelle. Also buchstäblich.

In ökonomischer Hinsicht ist man hier unter sich

Dann kam noch übliches Klischeezeugs wie „Work hard or play hard“, doch seltsamerweise wurde mir eine Frage gar nicht gestellt, jedenfalls nicht, dass ich mich erinnern könnte: The Inner Circle fragte nie nach meinen sexuellen Präferenzen. Während man bei OkCupid aus verschiedensten sexuellen Identitäten auswählen kann, ging The Inner Circle offenbar davon aus, dass man selbstverständlich heterosexuell sein muss, wenn man in eine Nobeldisco im Netz gehen will. Interessant.

Beruflicher und damit mutmaßlich auch finanzieller Erfolg sind auf The Inner Circle das vorherrschende Exklusivitätsversprechen, man ist unter sich in ökonomischer Hinsicht. Erfolg in diesem Sinne wird hier also mit einer einzigen sexuellen Identität verbunden: heterosexuell zu sein. Das ist, vorsichtig formuliert, überraschend für jemanden, der seit Langem in einer Stadt wie Berlin lebt, wo weite Teile der jüngeren oder noch nicht wirklich alten Bewohner Lebensmodelle haben, die sich genau nicht nach diesen Kriterien richten.

Ich als Mann bekomme beim Klick auf „Members“ bei The Inner Circle also nur Frauen zu Gesicht. Deswegen weiß ich auch absolut gar nichts über meine männliche Konkurrenz. Vorname, Alter und Beruf sind je neben den Profilfotos der Frauen zu sehen, und wenn man durch die Liste scrollt, glaubt man, in eine Parallelwelt zu blicken. Eine, in der fast alle Frauen auf konventionelle Weise toll aussehen (also ungefähr so wie im Werbefernsehen „toll aussehen“ geht), fast alle ungefähr zwischen Mitte 20 und Mitte 30 sind und fast alle coole Jobs haben. Mindestens sind sie Brand- oder Projektmanagerinnen von Beruf, es gibt aber auch viele Architektinnen, Unternehmensberaterinnen, Ärztinnen, Rechtsanwältinnen, Schauspielerinnen. Außerdem, und das scheint alle zu recht gestellten Forderungen nach mehr Frauen in Führungspositionen zu erfüllen, gerade in der Tech-Branche: Neben vielen Profilfotos steht das große Wort „CEO“.

Frauen, die ihren Erfolg nicht verstecken

27 Jahre und CEO, 35 Jahre und CEO, 31 Jahre und COO, 35 Jahre und Entrepreneurin, 28 Jahre und Head of Sales Operations: Natürlich steht da nicht, wie groß oder klein die Unternehmen oder Abteilungen sind, die diese Frauen leiten, und im Zweifel könnte ich mich selbst auch CEO nennen, halt „CEO of myself, and I don’t think I’m any good at this job“.

Doch auf The Inner Circle scheint sich, wenn nicht gleich ein Paradigmenwechsel, so doch zumindest eine für viele recht ungewohnte soziale Gruppe zu zeigen: Frauen, die ihren Erfolg nicht verstecken oder herunterreden (womöglich auch um empfindliche männliche Seelen zu schonen, die sich mit ihnen verpaaren möchten), sondern mehr als selbstbewusst zeigen. Mein Nobeldisco-Vergleich hinkt also zumindest in dem Sinne, dass die Rolle von jungen Frauen – freiwillig oder unfreiwillig – in diesen Etablissements früher eine fast unterwürfige war: Frauen, die finanziell oft nicht besonders gut dastanden, aber eben toll aussahen, boten sich vermögenden, aber eher alten oder hässlichen Männern an; Sexyness oder gleich Sex wurde gegen Ausgehaltenwerden getauscht. Das Sugardaddytum hatte traditionell geradezu seine räumliche Entsprechung in Nobelclubs. Auch deswegen fand und findet man diese Läden so leicht so eklig.

Diese Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern ist bei The Inner Circle offenbar aufgehoben: Hier begegnen erfolgreiche Männer erfolgreichen Frauen auf Augenhöhe. Das ist super.

Was zumindest ich aber gar nicht super finde: Es gibt bei The Inner Circle offensichtlich ein ökonomisches, soziales Ausschlusskriterium. Niemand dort scheint Misserfolg zu haben. Und wenn doch, verbergen das die Frauen. Dass Männer in vielen Lebenslagen als Blender auftreten, daran ist man seit Langem gewöhnt. Dass womöglich auch Frauen dieses Blendertum als Strategie benutzen, um Zugang zu bekommen, zum Beispiel zu einem virtuellen Nobelclub wie The Inner Circle, ist vielleicht nicht neu – ich finde es aber trotzdem traurig.

Zwei Wochen bin ich nun Mitglied in diesem Club, und dennoch habe ich keiner einzigen Frau dort geschrieben. Habe nicht einmal die Funktion auf der Website verwendet, dass man dort einfach das Angebot machen oder annehmen kann, einander unverbindlich etwa zum Kaffee zu treffen. Ich hab nur einmal kurz das Tinder-artige Fenster rechts oben benutzt, wo man Profilfotos von Frauen liken kann oder stattdessen die nächste aufrufen kann.

Ich fühle mich unangenehm berührt von dieser Website und ihren Menschen

Ich war so passiv, weil ich mich ehrlich gesagt unangenehm berührt fühle von dieser Website und den Menschen, die darauf versammelt sind. So als hätte ich mich auf eine Party eingeschlichen, zu der ich keine Einladung hatte – und die ich, als ich dann mal dort war, leider auch eher doof fand. Und weil auch gerade keine Inner-Circle-Party in Berlin angekündigt ist, wo man die Virtualität des Blendens mal an der Wirklichkeit eines Clubabends messen könnte, sondern demnächst nur Partys in London und Amsterdam stattfinden, Paris und Mailand – deshalb werde ich mich bald entfernen aus dem inneren Kreis dieser Dating-Plattform.

Vielleicht gehöre ich einfach nicht zu deren Zielgruppe. In Nobeldiscos werde ich ja auch immer sofort ganz furchtbar melancholisch. Warum sollte es mir im Netz an einem ähnlichen Ort anders gehen.

Vielleicht möchte ich aber auch einfach in einer Gesellschaft leben, in der sich Menschen über alle scheinbaren sozialen Grenzen hinweg ineinander verlieben können, egal welches Geschlecht sie haben und welche sexuelle Identität, egal welchen beruflichen Erfolg und welchen finanziellen Hintergrund. Oder um es etwas weniger utopisch zu sagen und stattdessen praktisch: Würde ich beim anderen Geschlecht nur nach meinesgleichen suchen, würde ich mich sehr schnell zu langweilen anfangen.

Lasst uns endlich übers Online-Dating reden! Mehr zum Thema in der WIRED-Kolumne „OKStupid“ 

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