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„Kein Platz für Dystopien“: Interview mit dem Erbauer der ersten Stadt in der Virtual Reality

von Cindy Michel
Hypatia soll die erste Stadt in der Virtual Reality werden. Ein Zuhause für die Digital Natives von heute und zugleich die Heimat der Virtual Reality Natives von morgen. Warum sie nicht bloß ein „Second Life“-Update ist und was er gegen VR-Dikatoren unternehmen will, erklärt Entwickler John Wise im WIRED-Interview.

Hypatia ist kein Spiel, sondern eine Stadt“, stellt John Wise, der Gründer von TimeFire VR, klar. Aber nicht nur irgendeine Stadt, sondern die erste Stadt in der Virtual Reality. Seit knapp zwei Jahren arbeitet das Unternehmen aus Arizona an der digitalen Community, die eine Art Webbrowser der nächsten Generation werden könnte. Erste Bilder und ein Trailer zeigen keine topmoderne City, sondern romantisch verträumte Gassen, einen Markplatz mit Ständen und Kopfsteinpflaster sowie eine von Bäumen gesäumte Uferpromenade.

„Meine Zeit in Deutschland hat mich sehr beeinflusst“, sagt Wise, der über zehn Jahre als Technokünstler in Frankfurt am Main gelebt hat. „Dementsprechend haben wir uns für Hypatia architektonisch an alten europäischen Städten wie Amsterdam, Rothenburg, Paris, Venedig, Hamburg oder auch Frankfurt orientiert.“

Besucher und Bewohner von Hypatia können entweder die drei mal zwei Kilometer große Stadt erforschen oder die Geheimnisse des Umlands entdecken. Die Gesamtfläche beträgt etwa 16 mal 16 Kilometer, das Straßennetz ist 115 Kilometer lang. In der Stadt kann der User nicht nur mit anderen Nutzern interagieren, sondern auch Kulturevents besuchen, einkaufen, ein Buch lesen, einen Malkurs besuchen oder mit dem virtuellen Smartphone telefonieren.

Aber wie genau wird man denn nun Bürger von Hypatia, wie bezahlt man seine Getränke und welche Bedürfnisse haben Virtual Reality Natives eigentlich? All diese Fragen beantwortet John Wise im WIRED-Interview.

WIRED: Was muss ich tun, um Bürger von Hypatia zu werden?
Wise: Jeder, der möchte, kann Hypatia besuchen und eine Zeit lang kostenlos dort bleiben. Um aber offizieller Bürger der Stadt zu werden, muss der User entweder einen Laden, eine Wohnung oder ein Haus kaufen – oder er wird Mentor. Dann agiert er als Tutor und Guide für Neuankömmlinge.

Ich hoffe, dass sich die zukünftigen Einwohner für ihre Regierung interessieren und sie mitgestalten.

WIRED: Ich müsste also ein Haus kaufen. Was für eine Währung akzeptieren die Makler von Hypatia denn?
Wise: Wir arbeiten gerade noch an einem Banksystem und überlegen, eine Cryptowährung einzuführen, die auf der Blockchain basiert.

WIRED: Was für eine Staatsform erwartet virtuell Reisende und zukünftige Einwohner von Hypatia?
Wise: Die frühen Stämme von Hypatia werden von einem gütigen König regiert, bis der wütende Mob die Republik zerstört oder das Volk eine Verfassung schreibt und eine demokratische Regierung einsetzt. Oder so ähnlich. Ernsthaft, ich hoffe sehr, dass sich die zukünftigen Einwohner Hypatias für ihre Regierung interessieren und diese auch mitgestalten. Was wir nicht dulden, ist Rassismus oder ähnliches, denn Hypatia ist ein Ort für Kreativität und Optimismus – Dystopien und Despotismus haben hier keinen Platz.

WIRED: Und was, wenn sich doch ein Möchtegern-Diktator nach Hypatia einschleicht, dessen Ziel die Stadtherrschaft ist?
Wise: Ha! Daran haben wir auch schon gedacht und entwicklen derzeit einen Mechanismus für genau solche Fälle. Das Ding ist nämlich, wenn jemand für Hypatia bezahlt hat, dann können wir ihn nicht einfach verbannen. Was wir aber tun können, ist, ihn innerhalb der Stadt zu isolieren.

WIRED: Warum wollt ihr die Stadt nicht den Einwohnern überlassen?
Wise: Stell dir vor, du müsstest erst einen Kanal bauen, bevor du mit einer Gondel durch Venedig fahren kannst. Zum einen ist das verdammt viel Arbeit und zum anderen kann das nicht jeder. Jemand, der in der Wirklichkeit irgendwo in der Pampa lebt, kommt nach Hypatia, um Kunst und Kultur zu genießen. Denn in der realen Welt ist das nächste Kino oder Museum meilenweit von seinem Wohnort entfernt. Es wäre jammerschade und nicht im Sinne von Hypatia, wenn wir ihm diese Möglichkeit nicht bieten könnten. Auch wenn die Stadt mit Mitteln aus Crowdfunding-Projekten gebaut wird, wird es in erste Linie ein kuratiertes Erlebnis bleiben. Wir wollen nämlich, dass unsere Stadt ein sozialer sowie kreativer Raum wird und bleibt, indem man vor allem lernen und Spaß haben kann.

WIRED: Kuratiert oder nicht, wenn ich „Second Life“ kenne, kenne ich dann nicht auch Hypatia? Lohnt sich der Besuch überhaupt oder ist es lediglich ein Update von Altbekanntem?
Wise: Lass es mich so formulieren: Würdest du Berlin besuchen, nachdem du in Paris warst? Ich war schon in New York und London, aber ich liebe Prag und würde es immer und immer wieder besuchen. Außerdem gibt es so viele Dinge zu entdecken in Hypatia, dass einem kaum langweilig werden wird.

Die ersten VR Natives werden wissen, was gut ankommt und was nicht. Bis dahin müssen wir weiter spekulieren.

WIRED: Ich muss dir jetzt eine Frage stellen, die ziemlich 1990 ist, dennoch: Warum soll jemand nach Hypatia kommen und dort ein virtuelles Bier nehmen oder ins Kino gehen, wenn er in der Wirklichkeit ein echtes Getränk an einer echten Theke trinken und anschließend in die Spätvorstellung gehen kann?
Wise: Kann er das? Immer? Ziegendorf ist nur 161 Kilometer von Berlin entfernt, da kann man schon mal fürs Kino in die deutsche Hauptstadt fahren, richtig? Wenn man aber beispielsweise in Kansas wohnt, dann wird es schon schwieriger, eine große Stadt in der Nähe zu finden, die einem etwas bietet. Nicht alle Menschen haben die Möglichkeit, je nach Lust und Laune auszugehen, zu shoppen oder Kultur zu entdecken – weil sie schlichtweg und einfach auf dem Land wohnen.

WIRED: In einer Stadt gibt es Bars, und in Bars lernen sich Menschen kennen. Glaubst du, dass sich in Hypatia zwei Personen ineinander verlieben können, ganz old school an der virtuellen Bar oder beim Einkaufen?
Wise: Ja, keine Frage.

WIRED: Okay. Sie verlieben sich also und werden ein Hypatia-Pärchen. Kannst du dir vorstellen, dass sie tatsächlich ihr Leben lang zusammenbleiben, sich aber nur in der VR begegnen, nie in der Realität, denn sie sind ja Bürger Hypatias?
Wise: Ja, warum denn nicht?

WIRED: TimeFire baut den Virtual Reality Natives von Morgen eine Heimat. Welche Bedürfnisse wird eine Generation haben, die in der VR aufwächst?
Wise: Da bisher noch niemand in der VR gelebt hat, kann ich diese Frage leider nicht beantworten. Mit ist aufgefallen, dass sich aktuell vor allem Hollywood mit dieser Fragestellung beschäftigt. Regisseure, Produzenten und Autoren versuchen alles mögliche, um herauszufinden, welche Art von Storytelling in der VR funktioniert, obwohl sie selbst noch nie lange dort gewesen sind. Die ersten Virtual Reality Natives werden wissen, was in der VR möglich ist, was gut ankommt und was nicht. Bis dahin müssen wir weiter spekulieren.

Ein Release-Datum für Hypatia gibt es noch nicht, im Sommer soll eine Alpha-Version getestet werden.

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