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HELL/YEAH — Internet Memes nerven, oder nicht!

von Dominik Schönleben
Spätestens am frühen Freitagnachmittag arten die Diskussionen in der WIRED-Redaktion aus. HELL/YEAH dokumentiert die hitzigste Debatte der Woche.

HELL NO! Hitler und die verfluchten Nazis sind Schuld an Internet-Memes, und im frühen Internet war auch schon alles schlecht.

Es gab nicht viele Lolz in der Frühzeit des Internet, damals, zu Beginn der 90er Jahre. Informationsaustausch beschränkte sich zumeist auf Usenet-Newsgroups, auf Bulletin-Board-Systeme oder fand sogar noch offline statt. Außer Richard Dawkins konnte zu dieser Zeit kaum jemand etwas mit dem Begriff Meme anfangen oder gar mit dem Internet in Verbindung bringen. Die Meme-Pest, mit der wir uns heute konfrontiert sehen und die uns mit einer immer gleichen und endlosen Flut dumpfer Sprüche, Katzen-Belanglosigkeiten und der Fresse von Willy Wonka das Lachen bereits im Hals abwürgt, war damals noch eine ferne Dystopie. Es herrschten noch paradiesische Zustände: Jeder User war des anderen Support und kein Spammer oder Troll. Doch der Meme-Apfel reifte und 1990 bissen die ersten zu: Nazivergleiche schickten sich an, eines der ersten Memes der frühen Netzgemeinde zu werden.

Zu Beginn waren vor allem Diskussionsforen und Boards betroffen, die sich mit den eher heiklen Themen der Gesellschaft, wie Waffenbesitz, Abtreibung, Todesstrafe oder Zensur auseinandersetzten. Themen eben, bei denen sowieso erbittert und oft dogmatisch debattiert wird.

Doch von diesen Petrischalen ausgehend, griff die Epidemie dieses „ersten Meme“ auch auf andere, harmlosere Diskussionen, Themen und sogar die offline Welt über. Viele der Vergleiche in den Boards waren der Logik fern und banalisierten das Grauen des Nazi-Regimes. Beinahe jedes Thema und jeder Diskussionsgegner konnte mit dem Totschlagargument, es sei „similar to the Nazis“ oder „Hitler-like“ sabotiert und diskreditiert werden.

Die Diskussionskultur im Internet stand auf der Kippe, wie der Jurist Mike Godwin feststellen musste und daraufhin eines der ersten Experimente im Bereich der Memetik anschob. Sein Plan war es, Feuer mit Feuer zu bekämpfen oder eben Meme mit Meme. Um die unseligen Hitler- und Nazivergleiche im Netz zu stoppen und die Diskussionsteilnehmer für die moralische Verwerflichkeit zu sensibilisieren, formulierte er Godwins Gesetz. Das pädagogische Gegen-Meme, das in die Analen der Internetkultur eingegangen ist:

Mit zunehmender Länge einer Online-Diskussion nähert sich die Wahrscheinlichkeit für einen Vergleich mit den Nazis oder Hitler dem Wert Eins an.

Mike Godwin

Godwin verbreitete dieses Gegen-Meme in allen Newsgroups in denen er Nazi-Referenzen fand. Sein Gesetz entwickelte bald ein Eigenleben und verbreitete sich in schönster Viralität von Diskussion zu Diskussion und in den Köpfen der Menschen, bis die Nazivergleiche spürbar zurückgingen.

Godwins Gegen-Meme-Experiment war zwar von Erfolg gekrönt, aber am Ende war es leider nicht mehr als ein Pyrrhussieg. Godwin forderte, dass es für die Netzgemeinde an der Zeit sei, sich bewusst mit der Erschaffung, Zirkulation und Kontrolle von Memes auseinanderzusetzen, da sie seiner Meinung nach soviel Schaden wie Nutzen anrichten können.

Knapp ein viertel Jahrhundert später starre ich auf ein schlechtes Meme, das mir jemand in meine Facebook Timeline gepostet hat. Es zeigt irgendwas mit Tieren, Faultiere wohl. Es bringt mich nicht zum lachen, noch verstehe ich den Sinn oder wieso ich damit belästigt werde. Ich frage mich, wie viel Bandbreite und Speicherkapazität all diese sinnlosen Meme wohl belegen, vergeuden und wie viele dumme Gedanken so von Kopf zu Kopf reisen. Ein Klick auf „Diesen Beitrag melden“ und danach lösche ich die Person mitsamt ihrem dummen Meme aus meinem Freundeskreis.  Haters gonna hate. —Felix Nicklas

HELL YES! Memes sind das, was uns als Spezies wirklich am Leben hält.

Das erste Meme war eine Lagerfeuer-Geschichte, die sich die ersten Homo sapiens in einer bitterkalten Nacht erzählten. Es war nicht viel mehr als eine Idee, ein Gedanke, der von einem Proto-Menschen zum nächsten wechselte. Dennoch war dieser erste Austausch gleichbedeutend mit der Erfindung des Feuers oder dem Ackerbau und der Viehzucht.

Es waren nicht unsere perfekt angepassten Körper, sondern die geistige Fähigkeit, eine Idee zu verstehen. Es ging darum, sie zu verändern und sie an die nächste Generation weiter zu geben. Sie machte uns zum selbsternannten König der Schöpfung. Erst so überlisteten wir die Evolution, die auf winzige, zufällige Mutationen angewiesen ist. Die DNA war der erste Datenträger der Geschichte und es dauerte Jahrtausende, um den Code einer Spezies zu ändern. Doch wir waren die Hacker der Evolution und verkürzten den Prozess der Weitergabe von Informationen an die nächste Generation auf einen Augenblick am Lagerfeuer — all das verdanken wir den Memes.

Heute verbreiten sich Ideen durch das Internet so schnell wie noch nie. Der Strom der immer währenden Kommunikation des kollektiven Zeitgeists ist zum Rauschen der Kreativität geworden. Die Ideen rotieren im Sekundentakt um die gesamte Welt. Stets in Fluktuation, sich immer verändernd. Sei es Grumpy Cat, Bad Luck Brian oder Scumbag Steve. Sie alle sind mehr als eine Fotografie. Sie sind ein Symbol, aufgeladen mit den Ideen und Gefühlen der Menschen, die sie erschaffen oder weitergetragen haben. Nur eine Hülle, ein Gefäß für etwas größeres, einer Idee die hinter dem Bild steht. Ein eingefangener Moment in der Zeitgeschichte, der mehr über uns Menschen sagt, als Philosophen je beschreiben könnten.

Doch diese Ideen sind keine Konstanten, sie sind etwas das sich verändert, deren Bedeutung zwischen den Menschen jeden Moment neu verhandelt werden muss. Etwas, das sich im kollektiven Zeitgeist weiter entwickelt und dabei zu etwas völlig neuem wird. So wird aus einem Meme ein Meta-Meme, das nur verstanden werden kann, wenn man das ursprüngliche Meme oder den Zeitgeist verstanden hat. Das ist nur Möglich, weil jedes Meme so viel mehr Bedeutung in sich trägt, als in wenigen Worten ausgesprochen werden kann.

Memes sind der verzweifelte Versuch, ein Gefühl an einen anderen Menschen  zu übertragen — und das gelingt ihnen immer wieder auf unbegreifliche Weise. Egal ob wir über den Socialy Awkward Penguin lachen oder über den Ratschlag von Good Advice Duck schmunzeln.

Memes sind das, was wir auch als Kunst bezeichnen. Vielleicht werden die Archäologen einer außerirdischen Hochkultur sie 20.000 Jahre in der Zukunft, wenn die Menschheit längst untergegangen ist, in einem Museum ausstellen. Deren Kunsthistoriker werden dann über ihre Bedeutung rätseln. Generation von Schülern werden die völlig falschen Interpretationen unserer Memes auswendig lernen. Da ein Meme oft mehr bedeutet oder aussagt, als ein Bild mit einer simplen Textnachricht übermitteln kann.

Auch wenn unsere ersten Memes vielleicht „Big Booty Betty“ oder „Mug the Tasty Bison“ hießen, sind diese primitiven Bilder nichts anderes als Lolcatz, die wir per Facebook mit Freunden teilen. Sie sind ein Bild, aufgeladen mit Bedeutung. Sie sind eine Idee und werden so zum Überträger von mehr Informationen als wir zuerst annahmen. Memes sind das, aus dem wir Menschen gemacht sind. Wir sind Affen auf der Suche nach dem Sinn und wir brauchen Memes, um den Irrsinn des Alltags zu überleben. —Dominik Schönleben

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