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Digital ist besser / Nach #Heidenau sagt Johnny Haeusler: Danke, Twitter!

von Johnny Haeusler
Rassisten versuchten am Wochenende, mit Gewalt den Einzug von Flüchtlingen in einen ehemaligen Baumarkt im sächsischen Heidenau zu verhindern, sie griffen Gegendemonstranten und die Polizei an. Johnny Haeusler erfuhr auf Twitter davon, sonst wäre ihm das Ganze vielleicht völlig entgangen. Ein Dankesschreiben.

Die Überschrift ist vielleicht etwas irritierend, in Wahrheit bedanke ich mich an dieser Stelle nicht bei Twitter, dem Unternehmen — sondern bei denjenigen in meiner virtuellen Nachbarschaft, die Twitter nutzen.

Ich könnte, was das Netz angeht, auf Facebook verzichten. Auf Snapchat. Auf WhatsApp. Auf Instagram (obwohl ich Instagram wirklich sehr mag, unter anderem weil dort zur Abwechslung mal nicht so viel gequatscht wird). Vielleicht könnte ich sogar auf E-Mails verzichten, das würde mich zumindest sehr viel produktiver machen.

Aber ich könnte nur schwer auf Twitter verzichten.

Die Twitter-Accounts, denen ich folge, verschaffen mir einen Lacher, wenn ein gleichzeitig kluger und witziger Satz auftaucht. Sie weisen mich auf vielbeachtete Artikel hin, zeigen mir besonders tolle Fotos oder Videos. Und sie lassen mich auch daran teilhaben, wenn ein Mensch, dem ich nicht selbst folge, etwas besonders Kluges oder bemerkenswert Dämliches von sich gegeben hat. Und manchmal lässt mich Twitter auch nur eine Sekunde lang in das Leben einer mir eigentlich völlig unbekannten Person blicken. Für einen kurzen Moment bekomme ich Einblick in eine fremde Gefühlswelt, einen Ausbruch der Freude oder der Trauer.

Ich mag Twitter als regelmäßiges und chaotisches „Netzmagazin“, kuratiert von Alt und Jung, Klug und Dumm, Gemäßigt und Extrem. Die Menschen in meinem Twitter-Stream sind arbeitslos oder Chefin, sie sind prüde oder ziehen sich aus, sie regen sich auf, beschwichtigen, pöbeln oder vermitteln. Sie sind sehr verschieden, und dafür mag ich sie.

Es ist mir unverständlich, wieso im Zusammenhang mit Twitter so oft nur von den angeblichen Shitstorms gesprochen und geschrieben wird, die dort dauernd entstehen würden. Ja, wenn Menschen anfangen, sich gemeinsam über etwas aufzuregen, dann wird es hin und wieder blöd, unüberlegt und auch mal hässlich. So sind wir alle manchmal, egal ob auf Twitter oder anderswo. Wer es jedoch schafft, in solchen Situationen abzuschalten, sich mal auszuklinken, Abstand zu nehmen, die Empörungskarawane an sich vorbeiziehen zu lassen — der kann in der restlichen Zeit jede Menge Spaß, Information und Bereicherung auf Twitter erfahren. Letztendlich gehört nämlich genau die Charaktereigenschaft von Twitter, die eben auch manchmal zu Aufregungswellen führen kann, gleichzeitig zu den besten Features.

Es ist die Einfachheit des Dienstes, die ihn zum derzeit besten Live-Bericht-Werkzeug im Netz macht, eine Funktion, die durch die Integration von Videos via Periscope etc. in den kommenden Jahren noch an Bedeutung zunehmen wird.

Ohne Twitter hätte ich am vergangenen Wochenende zum Beispiel nicht mitbekommen, was in Heidenau los war. Einige wenige Twitter-Accounts haben live von vor Ort berichtet, andere haben diese Berichte weitergetragen. Und ohne Twitter hätte ich erschrocken und ungläubig vor diesen Meldungen des Hasses und der Menschenverachtung gesessen, unfähig, sie zu kompensieren.

Dank Twitter aber wusste ich wenigstens, dass ich nicht allein bin mit meinem Entsetzen über Personen, die bedürftigen Menschen nicht nur Hilfe verwehren, sondern auch noch Dritte davon abhalten wollen, sich um diese Menschen zu kümmern. Manchmal genügt in kurzen Sätzen geäußerte Solidarität von vielen verschiedenen Leuten an verschiedenen Orten dabei, mit schrecklichen Meldungen klarzukommen. Und sie zeigt einem, dass das Land eben nicht voller Arschlöcher ist. Sondern dass da draußen jede Menge Leute sind, die ziemlich okay und klasse sind.

Deshalb: Danke, Twitter!

Letzte Woche wunderte sich Johnny Haeusler über Menschen, die ihren Smartphones Namen geben. 

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