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Dieses Startup verspricht euch Geld für eure Daten

von Karsten Lemm
Facebook, Twitter, Pinterest – überall folgen Datenbroker unseren Spuren im Netz und verkaufen die Informationen für viel Geld. Das Startup DataWallet will es besser machen: Jeder behält die Kontrolle über das, was mit Firmen geteilt wird, und kann daran mitverdienen.

Daten sind das neue Gold, diesen Satz kennt inzwischen auch der letzte Senior, der sich bei Facebook anmeldet. Und doch: Wer kann von sich behaupten, aus diesem Schatz tatsächlich etwas zu machen? Wenn irgendjemand Profit aus Nutzerdaten zieht, dann sind es bisher Firmen, die rund um die gesammelten Informationen Milliardengeschäfte aufgebaut haben. Google und Facebook etwa, die zielgenaue Werbung verkaufen. Aber auch etliche Spezialfirmen, die im Internet auf Daten-Schnipseljagd gehen, um aus dem, was sie finden, Kundenprofile zu erstellen.

Nun verspricht ein deutsch-amerikanisches Startup Besserung: DataWallet hat sich vorgenommen, Menschen zumindest ansatzweise die Lufthoheit über ihre Informationen zurückzugeben. Eine neue iPhone-App der Firma, die in San Francisco und Berlin beheimatet ist, erlaubt es Nutzern, eigene Internet-Konten mit DataWallet zu verknüpfen. Die Informationen werden Kunden dann in anonymisierter Form zur Analyse angeboten und die Nutzer an den Einnahmen beteiligt. „Solche Daten sind eigentlich unser Eigentum, mit dem andere Geld verdienen“, sagt Serafin Lion Engel, einer der drei DataWallet-Gründer. „Es ist, als würde uns ein Haus gehören, und im Keller sitzt jemand, der reich wird, aber keine Miete zahlt.“

Im ersten Schritt bietet DataWallet an, Informationen von Facebook, Twitter, Instagram und Pinterest auszuwerten. Später sollen sich auch Konten von Amazon, Spotify und anderen Diensten verknüpfen lassen. Nutzer können jeweils wählen, ob sie pauschal alle Daten weitergeben wollen oder nur Teile davon – bei Facebook etwa Likes, aber nicht Posts. Zusätzlich fragt die App, welche Art von Unternehmen Zugriff auf die Daten haben sollen. „Jede Firma, die zu uns kommt, muss sich nach Kategorien klassifizieren“, erklärt Engel. „So kann man bestimmte Branchen ausschließen.“

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Durch das aktive Mitmachen der Nutzer hofft DataWallet, die Nachfrage nach Verbraucherinformationen besser bedienen zu können als sogenannte Datenbroker, die lediglich einsammeln, was sich offen im Internet finden lässt. „81 Prozent der Nutzer, die sich bei uns angemeldet haben, haben bei Facebook kein öffentliches Profil“, sagt Engel. „Das sind Daten, an die Broker nicht herankommen.“

Der Markt für persönliche Informationen wird allein in den USA auf mehr als 150 Milliarden Dollar geschätzt. Multinationale Datenbroker wie Acxiom und Datalogix – eine Tochter von Oracle – kombinieren Profile von Facebook, Twitter oder Instagram mit Datenbanken, die Auskunft geben über Dinge wie Wohnort, E-Mail-Adresse und Kreditwürdigkeit. So kommen etwa bei Acxiom Informationen zu „700 Millionen Verbrauchern weltweit mit mehr als 3000 Datensätzen für nahezu jeden US-Bürger“ zusammen, stellte die amerikanische Kartellbehörde FTC bereits 2014 in einer Studie fest.

„Das große Problem dabei ist: Vieles passiert, ohne dass Menschen sich der Auswertung bewusst sind, und die Informationen sind nicht immer korrekt“, erklärt Molly Schwartz, Expertin für Datenmanagement bei der Open Knowledge Foundation. Gerade beim Verknüpfen unterschiedlicher Datenbanken schlichen sich häufig Fehler ein, deshalb sieht Schwartz im DataWallet-Konzept viele Vorteile für potenzielle Kunden: „Die Informationen sind verlässlicher und deutlich aktueller. Das zusätzliche Vertrauen in die Daten, das dadurch entsteht, wird sicher einen Unterschied machen.“

Wie viel Geld DataWallet-Nutzer mit ihren Social-Media-Profilen verdienen können, hängt von der eigenen Offenheit ab, aber auch von der Nachfrage nach den Daten. „Wenn eine Analyse mit einem bestimmten Profil aufgerufen wird, zahlen wir zehn Dollar“, sagt Engel, „als Teil einer Sammelanalyse gibt es eine anteilige Bezahlung.“ Firmen bekämen nie Namen oder andere Informationen zu sehen, die eine Rückverfolgung erlauben würden, versichert der 24-Jährige, selbst wenn die anonymisierten Profile Auskunft über Dinge wie Geschlecht, Alter und Interessen geben. „Datensicherheit ist unsere höchste Maxime“, sagt Engel und verspricht: „Wir werden den Großteil unserer Analysetechnik per Open Source offenlegen, so dass jeder sehen kann, wie sie funktioniert.“

Neu ist der Gedanke nicht, Nutzern die Kontrolle über ihre eigenen Daten zurückzugeben. Der amerikanische Autor und Internet-Vordenker Jaron Lanier verlangt seit Jahren danach, und Startups wie Datacoup und DataArbitrage haben sich ähnliche Ziele gesetzt wie DataWallet. Der Erfolg ist allerdings überschaubar geblieben – unter anderem deshalb, glaubt Engel, weil sich bisher niemand die Mühe gemacht habe, die Daten auch nützlich aufzubereiten. „Es ist wie beim Öl“, sagt er. „Das Extrahieren allein genügt nicht, man braucht eine ganze Verwertungskette.“

Deshalb kommt sein Startup den Kunden entgegen: Ein Datencockpit im Browser erlaubt das Auswerten der Informationen nach unterschiedlichen Kriterien. Dazu gehören etwa Interessen, die Nutzer durch Facebook-Likes oder Pinterest-Pins signalisieren; Stichwörter in einer „word cloud“, die zeigen, welche Themen bestimmte Zielgruppen bewegen; oder auch eine Timeline-Analyse, die Aufschluss gibt, wer wann online aktiv ist.

Für solche Einsichten, hofft DataWallet, werden Firmen bereit sein, 1100 Dollar und mehr im Monat zu zahlen. „Die Analysen, die wir bereitstellen können, basieren zu einhundert Prozent auf Fakten, auf die sonst niemand Zugriff hat“, sagt Engel. Schon in der Testphase sei großes Interesse spürbar gewesen. „Wir arbeiten bereits mit etwa 20 Firmen zusammen, darunter auch Fortune-500-Unternehmen.“ Gefüttert werde die Datenbank mit Anmeldungen von bisher 20.000 Nutzern, und täglich kämen neue dazu – so viele, dass die kleine Firma mit der Nachfrage gar nicht mithalten kann. „Aktuell beträgt die Wartezeit 83 Wochen“, sagt Engel, verspricht aber, das werde bald „drastisch heruntergehen, weil wir kräftig Gas geben“.

Mehr als 300.000 Dollar an Startkapital haben die Gründer gesammelt, unter den Geldgebern ist auch der bekannte Silicon-Valley-Investor Tim Draper. Ausgerichtet ist das Geschäftsmodell vorwiegend auf Millennials in den USA, aber auch internationale Nutzer könnten sich registrieren und mitverdienen, erklärt Engel, ein gebürtiger Kölner, der zwischen Berlin und San Francisco pendelt. „Die Bezahlung läuft über PayPal.“

Molly Schwartz von der Open Knowledge Foundation sieht in dem Projekt ein weiteres Zeichen dafür, dass Internetnutzer zunehmend Wert darauf legen, ihr digitales Ich stärker zu kontrollieren. „DataWallet hat fraglos einen Nerv getroffen, aber die Firma sind nur Teil eines größeren Ganzen“, sagt die Datenforscherin und verweist auf Initiativen wie das MeCast der südafrikanischen Meeco Labs, das ebenfalls darauf ausgelegt ist, Firmen gezielte Einblicke in die eigenen Online-Aktivitäten zu erlauben. „Statt dass andere Leute Daten über uns sammeln und verkaufen, fangen wir an, die Informationen aktiv anzubieten“, sagt Schwartz. „Es stellt das bisherige Vorgehen komplett auf den Kopf.“

Hinzu komme die neue Datenschutz-Grundverordnung der EU, die Firmen zwinge, stärker als bisher die Privatsphäre von Internetnutzern zu respektieren. „Das müssen Unternehmen berücksichtigen, ob sie wollen oder nicht“, sagt Schwartz. Völlig offen sei allerdings noch der Weg zum Ziel: „Die Frage wird sein, ob sich neue private Plattformen etablieren oder stattdessen ein offenes System.“ Als Alternative zu Anbietern wie DataWallet und Meeco arbeiten etwa Forscher in Skandinavien an einem System namens MyData, das als Open-Source-Projekt angelegt ist.

So oder so wird es noch Jahre dauern, bis Internetnutzer selbst bestimmen können, wohin ihre Daten fließen – davon ist auch Serafin Lion Engel überzeugt. „DataWallet wird nicht von heute auf morgen den Markt der Databroker zerstören“, räumt er ein. Aber vielleicht könne seine Firma zumindest dazu beitragen, Geldströme umzuleiten – weg von den Sammlern, die vorwiegend im Verborgenen arbeiten, hin zu den Menschen, die im Zentrum der begehrten Informationen stehen. Selbst das Geld, das seine Firma dabei den Nutzern in Aussicht stellt, „ist eigentlich Nebensache“, glaubt Engel. „Viel interessanter ist, dass man sich wehren kann.“ 

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