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Wir sind mit Audis selbstfahrender Limousine über die A9 gerast

von Michael Förtsch
Im Januar hat Audi einen selbstfahrende Limousine 900 Kilometer weit durch die USA geschickt. Jetzt ist der automatisierte A7 auch in Deutschland unterwegs. Unser Autor durfte bei einem Test auf der Autobahn A9 auf dem Fahrersitz Platz nehmen — und feststellen, warum es wohl noch ein bisschen dauert, bis autonome Audis ohne Lenkrad und Pedale durch unsere Städte fahren.

Die Tachonadel klemmt bei 125 km/h, während ich mich bemühe, die Hände vom Lenkrad zu lassen. Meine Beine habe ich über Kreuz geschlagen, um nicht unwillkürlich auf eins der Pedale zu treten. Was mir ziemlich schwer fällt, denn ich bin jemand, der selbst im Kino bei „Fast & Furious“ mit den Füßen nach einer nicht vorhandenen Bremse tastet oder aufs imaginäre Gaspedal steigt. Dabei ist es genau das, was Jack überflüssig machen soll. Zumindest teilweise. Jack ist der Spitzname des Audi A7, in dem ich gerade sitze: einem Prototyp der Forschungsabteilung des Konzerns, speziell entwickelt, um ohne menschliches Zutun auf der Autobahn dahinzurauschen.

Schon im Januar hatte das A7 Piloted Driving Concept, so Jacks voller Name, in den USA die 900 Kilometer von Palo Alto an der Westküste bis zur Wüstenstadt Las Vegas zurückgelegt — ohne Zwischenfall. Ein Pulicity-Stunt für Elektronikmesse CES, bei dem die Sportlimousine allerdings nur mit den auf US-Highways erlaubten 70 Meilen pro Stunde (etwa 110 km/h) unterwegs sein durfte. Auf der deutschen Autobahn bei Ingolstadt ist da schon ein Zacken mehr drin. Doch bis dorthin wird der A7, nach einer kurzen Einweisung und der rechtlich nötigen Verpflichtung als autorisierter Testfahrer, noch selbst gesteuert.

Plötzlich zieht sich das Lenkrad sachte einige Zentimeter zurück — der Autopilot übernimmt die Kontrolle.

Kurz nach dem Auffahren auf die Autobahn, dem Eingliedern in den dahinfließenden Verkehr, beginnt sich auf einem Display im Zentrum der Mittelkonsole ein kleiner Kreis zu füllen. Ist das weiße Rund vollständig, leuchtet eine LED-Leiste am unteren Rand der Frontscheibe türkisfarben auf, es ertönt ein „Bong“ und die englische Ansage, der Wagen sei nun bereit für „piloted driving“. Ich drücke zwei Tasten mit einem kleinen Lenkrad-Symbol und den Buchstaben AP im unteren Drittel des Steuers. Plötzlich zieht sich das Lenkrad sachte einige Zentimeter zurück, ein grünes Licht wischt über den LED-Balken — und der Autopilot übernimmt die Kontrolle. Kein Zögern, kein Stottern oder Ruckeln, geradezu unmerklich geht das vonstatten.

Wäre da nicht der Schriftzug „Audi piloted driving“ auf dem Heck und den Flanken des Wagens, der A7 wäre optisch nur eine weitere Limousine auf der A9. Zu sehen ist von all seiner Sensorik nämlich kaum etwas, die teils schon für Fahrassistenzsysteme wie Adaptive Cruise Control in Serie produziert und unsichtbar verbaut wird. So sind zwei Long-Range-Radaranlagen mit bis zu 250 Metern Reichweite in der Frontschürze versteckt, wo sich sonst die Nebelleuchten befinden. Dazu kommt je ein Mid-Range-Radartaster an jeder Ecke des Wagens, der das Umfeld 120 Meter weit scannt. Ebenso zwölf Ultraschallsensoren für den direkten Nahbereich. Obendrein erfasst noch je ein Laserscanner (LiDAR) unter dem Grill und an der Heckschürze in einem Winkel von 170 Grad jedes stehende oder sich bewegende Objekt in bis zu 80 Metern Entfernung. Eine hochauflösende 3D-Kamera hinter dem Rückspiegel erkennt außerdem in einem 36-Grad-Winkel auf bis zu 120 Meter Straßenmarkierungen, andere Fahrzeuge und Verkehrsschilder.

Jack fährt beruhigend langweilig.

Diese Sensoren-Kaskade generiert Unmengen von Umgebungsdaten, die ins Heck des Wagens geschleust werden. Dort arbeitet ein leise summender Verbund von Rechnern, der das autonome Fahren koordiniert. 650 Milliarden Rechenoperationen pro Sekunde würden ausgeführt, um den A7 auf Spur zu halten, erklärt Audi. Den Kern der Technik bildet dabei das iPad-große „zentrale Fahrerassistenzsteuergerät“, kurz zFAS, ein mit CPU und der nVidia-Grafikkarte ausgerüstetes Board, mit dem das Gesamtbild des Fahrzeugumfelds berechnet wird. Bis Ende des Jahrzehnts, solle all diese Technik in ein Gerät münden, „das nicht größer als zwei Zigarettenschachteln“ sei, erklärt Arne Bartels, Projektleiter Automatisiertes Fahren bei der Volkswagen AG (zu der auch Audi gehört). Dieses soll zunächst vor allem in Oberklasse-Fahrzeugen eingesetzt werden.

Tatsächlich fühlt sich das Fahrverhalten des sogenannten Autobahnpiloten alles andere als unnatürlich an. Auf freier Strecke gibt der Wagen bis zur Richtgeschwindigkeit von 130 km/h ordentlich Gas. Ist ein Vordermann träge unterwegs, lässt die Elektronik die Limousine blinken, sanft auf die linke Spur treiben und sorgt mit gleichmäßiger Beschleunigung für sachte Überholmanöver — die vorher im Mitteldisplay angekündigt werden. Ein Raser ist Jack aber ganz sicher nicht, eher ein gediegener, sicherheitsbewusster — oder im Audi-Jargon — „konservativer“ Fahrzeugführer. Anders gesagt: Jack fährt beruhigend langweilig. Und gerade das lässt mich dann doch die Hände vom Steuer fernhalten. Schon nach wenigen Minuten habe ich Vertrauen in die Fahrmaschine gewonnen.

Was einen routinierten Fahrer nicht aus der Ruhe gebracht hätte, lässt den Computer-Chauffeur kurz erschrecken.

Von außen ist nur schwer zu erkennen, dass der mehrere hunderttausend Euro teure A7-Prototyp von einem künstlichen Perfektionisten gelenkt wird. Nur bei genauer Beobachtung, stellt man fest, dass der Wagen immer genau mittig zwischen den Fahrbahnmarkierungen entlanggleitet, wo ein menschlicher Fahrer unweigerlich leicht pendeln oder dann und wann eine Markierung überfahren würde. Kurzzeitig lässt ein taumelnder LKW den Wagen „erschreckt“ bremsen und einige Zentimeter nach Links ausweichen. Eine Situation, die einen routinierten Fahrer nicht aus der Ruhe gebracht hätte, dem Computer-Chauffeur aber Gefahr signalisiert. Dennoch fühle ich mich zu keiner Zeit unsicher.

Während das Lenkrad selbstständig kurbelt, bleibt viel Zeit für anderes. Zeitunglesen, mit dem Smartphone spielen oder anderen Fahren, die von der auffälligen Beklebung des Wagens angelockt, durch die Seitenscheibe mit beiden Händen zuwinken (erlaubt ist das eigentlich nicht). Viele scheinen sofort zu verstehen, was mein fahrbarer Untersatz tut, sie winken zurück und grüßen mit dem erhobenen Daumen. Manche fahren beim Überholen extra langsam, um einen Blick auf meine vom Lenkrad gelösten Hände zu erhaschen.

 

Dass meine Ausfahrt so wünschenswert ereignislos abläuft, liegt zumindest teilweise auch an dem etwa 50 Kilometer langen Teilstück der A9 zwischen Ingolstadt und Nürnberg, das erst vor kurzem als Versuchsstrecke für automatisiertes Fahren auserkoren wurde. Hier sind die Bedingungen für Audis Autobahnpilot und andere Projekte dieserer Art perfekt. Die Fahrbahnmarkierungen sind klar sichtbar und durchgehend. Geschwindigkeitsbegrenzungen stehen auf nahezu neuen Verkehrszeichen, mit deren Hilfe der Rechner die im Tacho mit LEDs markierte Spitzengeschwindigkeit festlegt. Baustellen sind aktuell nicht auszumachen. Keine bösen Überraschungen also.

Wir laden die Kollegen vom Chaos Computer Club ein und sagen: Hackt mal unser Auto.

Arne Bartels, Projektleiter Automatisiertes Fahren bei Volkswagen

Audi gehe bei der Automatisierung seiner Fahrzeuge nur kleine Schritte, sagt Bartels. Ein Staupilot, der bei zähem Verkehr mit bis zu 65 Kilometer pro Stunde das Ruder übernimmt, werde erst in drei bis vier Jahren in Serie gehen. Der probegefahrene Autobahnpilot Jack komme nochmal knapp fünf Jahre später. Das liege zum einen daran, dass noch an den Erkennungsalgorithmen gefeilt und die Technik kompakter gestaltet werden muss. Zum anderen müssten noch rechtliche und bürokratische Fragen geklärt werden. So sind Fahrzeuge ohne Fahrer laut dem Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr derzeit — außer zu Versuchszwecken — schlicht nicht zugelassen.

Die Sicherheit der Systeme soll vor der Einführung so gut wie möglich gegen potentielle Angreifer gehärtet werden. „Wir laden die Kollegen vom Chaos Computer Club ein und sagen: Hackt mal unser Auto“, sagt Bartels. „Die erkennen Schwachstellen, die wir dann schließen.“ Schon heute ist eine moderne Oberklasse-Limousine ein Computer auf Rädern, der viele Begehrlichkeiten weckt. Statt also Hals über Kopf sollen die Audi-Fahrzeuge lieber Stück für Stück unabhängiger vom Fahrer werden. „Wir wollen auf Basis vorhandener Assistenzsysteme einzelne Etappen nehmen“, erklärt Bartels.

Wenn man Fehler macht, sterben Menschen.

Arne Bartels, Projektleiter Automatisiertes Fahren bei Volkswagen

Projekte wie das Google Driverless Car und Roboter-Taxen sieht der Konzern kritisch. „Derartiges halten wir, vorsichtig gesagt, für etwas ambitioniert“, sagt Bartels. „Wenn man da Fehler macht, dann sterben Menschen.“ Der Stadtverkehr etwa sei für aktuelle Technologien einfach zu komplex und unübersichtlich. Fahrzeuge und Personen können hier plötzlich aus Einfahrten und zwischen geparkten Wagen auftauchen, schnelle oder irrationale Verhaltensweisen zeigen, die ein künstlicher Fahrer nicht zu deuten weiß. Fahrzeuge, die sich selbstständig diesem Umfeld bewegen oder gar ohne Pedale und Lenkrad auskommen, wird es laut Audi in allzu naher Zukunft erst einmal nicht geben.

Der Autobauer aus Ingolstadt sieht seine Wagen deswegen zunächst nur auf der Autobahn allein fahren, und etwas später auch auf Bundesstraßen. Frühstens 2030 sei die benötigte Technologie soweit, um auch die Innenstädte erobern zu können. Jack, das Resultat von zehn Jahren Forschung, ist aber auch so schon beeindruckend. Auf der A9 bewegt er sich ohne Zutun in einem vollkommen unkontrollierten und natürlichem Umfeld, umgeben von realen Mitfahrern, die Fehler machen, unbedacht handeln und Regeln brechen. Das ist etwas ganz anderes, als mit einem automatisierten TTS oder RS7 mit Höchstgeschwindigkeit über eine abgesperrte Strecke ohne Hindernisse zu jagen, wie Audi es 2009 und 2014 getan hat.

Passiert nichts, aktiviert Jack die Warnblinkanlage, fährt rechts ran und leitet einen Notstopp ein.

Bis dato ist eine menschliche Komponente auf der Autobahn aber unabdingbar. Tatsächlich kann ich dem A7 jederzeit die Kontrolle entziehen. Ein kräftiger Druck auf Gas oder Bremse oder ein beherzter Griff ans Lenkrad genügen, schon darf wieder selbst gefahren werden. Nötig wird das etwa beim Ansteuern einer Tankstelle, auf Abfahrten oder Autobahnabschnitten, die nicht übersichtlich genug sind. Wenn der Wagen die Kontrolle von sich aus wieder abgeben will, startet ein Countdown, der bei „0“ eine 15-sekündige Übergabephase einleitet, die sich mit Glockengeräuschen und einer Sprachansage bemerkbar macht. Dazu gleitet das Lenkrad zurück und über das LED-Band zieht ein gelber Lichtstreifen. Je länger der Fahrer braucht, um zu reagieren, desto penetranter wird die Akustik. Passiert nichts, aktiviert Jack die Warnblinkanlage, fährt rechts ran und leitet einen Notstopp ein.

Zur Übernahme der Kontrolle reicht ein einfaches Berühren des Lenkrads, das mit sensiblen Drucksensoren versehen ist. Ist wieder der menschliche Fahrer am Steuer, durchzieht kurz ein roter Streifen die Frontscheibe — damit soll der Fahrer eine nachvollziehbare visuelle Bestätigung erhalten, dass er wirklich die Kontrolle hat. Verständlich, schnell und flüssig, ist das. Leider fühlt es sich aber fast auch etwas entzaubernd an, den Wagen nun selbst von der Autobahn herunter und auf einen Parkplatz lenken zu müssen, um dem nächsten Journalisten den Fahrersitz zu überlassen.

Noch ist Audi nicht ganz sicher, was die Computerisierung so alles möglich macht, was die schon verbaute Technologie über die momentanen Ambitionen hinaus noch so alles zu bieten hat. Jack ist aktuell eben noch kein vollkommen autonomes Automobil, sondern ein Luxuskarosse, die ihrem Fahrer unnötige Arbeit abnimmt. Trotzdem bietet der automatisierte A7 schon jetzt einen faszinierenden Ausblick. Verglichen mit den Versprechungen von Google und anderen ist er zwar der nüchternere und langweiligere Schritt auf dem Weg zum Automobil der Zukunft — aber vielleicht auch der realistischere.

Mit der Frage nach der Sicherheit von selbstfahrenden Autos hat sich auch Jürgen Geuter schon in seiner Algorithmen-Kolumne beschäftigt. 

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