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Pokémon Go hilft mir dabei, meine Sozialphobie zu bekämpfen

von Fabu
An Nintendos neuem Pokémon-Titel führt seit mehr als zwei Wochen kein Weg vorbei. WIRED-Kolumnist Fabu beleuchtet das Spiel aus Sicht eines Menschen, für den jede Außenaktivität viel Überwindung kostet.

In gewissen Bereichen entspreche ich den Klischees eines vermeintlich typischen Gamers, der von der Boulevardpresse als Negativbeispiel für das Medium Videospiel herhalten muss: Ich bin übergewichtig und meide Menschen. Letzteres hat sich mit den Jahren zu einer regelrechten sozialen Phobie entwickelt, die mich oft davon abhielt, am gesellschaftlichen Leben außerhalb des Internets teilzunehmen. Wenn ich das dann doch tat, mich also unter Menschen begab, war es in der Regel mit großen Anstrengungen verbunden. Der Anstrengung folgte Angst, diese eskalierte nicht selten in Panik, gefolgt von Abschottung. So schloss sich der Teufelskreis.

Als dann Pokémon Go erschien, Nintendos Spieledebüt für iOS und Android, konnte ich mein anfängliches Desinteresse nur kurze Zeit aufrecht erhalten. Obwohl ich keinerlei persönlichen Bezug zur Pokémon-Marke hatte und dem Free-to-Play-Geschäftsmodell prinzipiell äußerst skeptisch gegenüberstehe, siegte letztlich doch die Neugier. Abermillionen Spielerinnen und Spieler konnten nicht irren. Und wenn sie es taten, wollte ich zumindest ihrem kollektiven Irrtum auf den Grund gehen.


Ein schlechtes Spiel, das einen guten Einfluss auf mich ausübt

Pokémon Go ist ein sehr bewegendes Spiel. Buchstäblich. Menschen unterschiedlichen Alters aus allen möglichen Schichten ziehen wie mobile Einsatzkommandos durch die Straßen, pausieren an Pokéstops und vermischen Virtualität und Realität. Manche starren apathisch aufs Display, andere führen angeregte Diskussionen oder beobachten das Geschehen augenrollend von der Seitenlinie.

Zwei Dinge wurden mir beim Fangen der kleinen Nintendo-Monster rasch klar: Pokémon Go ist ein schlechtes Spiel, das einen guten Einfluss auf mich ausübt. Weder das undurchsichtige Gamedesign noch die repetitiven Spielmechaniken oder gar die massive Instabilität der App halten mich davon ab, sie zu nutzen.

Meine sonst so geringe Frustrationstoleranz bei Games wird in diesem Fall von positiven Effekten beflügelt: Ich bewege mich nachweislich mehr als noch vor der Installation und werde im Zuge dessen ständig mit meiner Sozialphobie konfrontiert. Menschen nicken mir zu, lächeln, verwickeln mich in Gespräche, reichen mir Joints (die ich natürlich dankend ablehne) und geben mir so das Gefühl einer gewissen Zugehörigkeit.


Und wenn mir das alles gelegentlich zu viel wird, nehme ich etwas Abstand, fokussiere mein Handy und blende die Außenwelt weitgehend aus. Dann halte ich kurz inne, hebe meinen Kopf und stürze mich wieder ins Getümmel.


Der Fortschritt im Spiel dokumentiert quasi den Fortschritt in und mit mir selbst. Wenn ein virtuelles Pokémon-Ei mich dazu motiviert, vor dem Schlafengehen fünf Kilometer durch die Gassen zu schlendern, um es auszubrüten, soll mir das als Triebfeder nur recht sein. Und wenn Lockmodule mich an öffentliche Plätze ködern, an denen ich mich mit meinen Ängsten auseinandersetze, nehme ich dieses unkonventionelle Therapieangebot gerne an. Gamification, die offensichtlich funktioniert.

Losgelöst vom ganz persönlichen Nutzen, den ich aus Pokémon Go ziehe, betrachte ich Phänomen durchaus kritisch. Aufs Telefon starrend nehme ich weniger von meiner Umwelt wahr, stolpere des Öfteren über die eigenen Füße und vermutlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis ich die erste Bruchlandung hinlege. Aber da es hier in der Nähe keine Klippe gibt, von der ich stürzen könnte, ist gelegentliche Unachtsamkeit mein kleineres Problem.

Für mich würde das Spiel auch ohne Pokémon-Lizenz funktionieren, allerdings wage ich zu bezweifeln, dass die Masse das ähnlich sähe. Und die Massenbewegung war es ja, die mich überhaupt erst zum Aufspringen animiert hat. Somit war Nintendo vermutlich mit der richtigen Marke zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Weder halte ich Augmented Reality für den neuen Heilsbringer, noch glaube ich, dass Spiele Probleme lösen können. Sie können aber gegebenenfalls Impulse liefern und Wege aufzeigen, die uns aktiv werden lassen. Apropos: Zwei Querstraßen weiter wurde gerade ein Lockmodul aktiviert. Ich bin dann mal weg.

Alle Kolumnen von Fabu findet ihr hier.


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