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Ein Informatiker will Alzheimer mit Mensch-Computern bekämpfen

von Max Biederbeck
Eine Symbiose aus künstlicher und natürlicher Intelligenz könnte die Wissenschaft in ein neues Zeitalter führen: Ein Forscherteam aus den USA will die Schwarmintelligenz der Internet-Crowd mit Algorithmen verschmelzen — und damit Alzheimer den Kampf ansagen.

Piedro Michelucci kann vor Begeisterung kaum still sitzen. Immer wieder fuchtelt der Informatiker mit den Händen, rutscht an seinem Küchentisch in Fairfax, Virginia hin und her. Derweil hört er kaum auf zu reden: „Man muss sich das so vorstellen, als würde man aufspringen… und dann würde einem schwindelig“, doziert er. „Nur, dass der Schwindel einen nicht mehr loslässt.“ Was sich nach einer Horror-Vorstellung anhört, handelt Michelucci ab, als sei es ein lästiges Hindernis in einem Computerspiel. Eigentlich beschreibt er gerade eine der schlimmsten Krankheiten der Welt.

Alzheimer stürzt erst die Gedanken ins Chaos, am Ende stirbt man. In Deutschland leiden 1,3 Millionen Menschen daran und seit Jahren schaffen  Wissenschaftler es nicht, eine Behandlung zu entwickeln. Neue Forschungen brauchen lange, und sie sind teuer. „Das muss nicht sein“, sagt Michelucci und dann wird klar, warum es so unbeeindruckt aus ihm raussprudelt: Der Wissenschaftler ist überzeugt, einer Lösung auf der Spur zu sein — mit Hilfe der Verschmelzung von Mensch und Maschine.

Die Geschichte dieser Spur beginnt in einem Labor an der Cornell University in New York. Dort erforscht der Biochemiker Chris Schaffer am Ursprung von Alzheimer. Es fand heraus, dass das Blut im Gehirn von kranken Mäusen langsamer fließt. „Zirkulierendes Blut sorgt aber für Reinigung, weil es Ablagerungen im Körper abträgt“, erklärt er. Eine körpereigene Dusche sozusagen. Und genau solche Ablagerungen, Neurotoxine, sind im Gehirn für Alzheimer verantwortlich. Sie sorgen für einen tödlichen Kreislauf.  

Denn unser Körper wehrt sich gegen mit weißen Blutkörperchen gegen die Toxine. Die wiederum lagern sich nach ihrem Kampf selbst im Gehirn ab. Die Blutbahnen verkalken, das Blut strömt noch langsamer. Stück für Stück verstopft das Gehirn. Und hier gelang Schaffers Team ein Erfolg. Es entfernte die weißen Blutkörpechen aus infizierten Mäusen und schaffte es so, das Blut wieder schneller fließen zu lassen. Die Tiere erholten sich spürbar.  Ein vielversprechendes erstes Ergebnis, mit einem großen Nachteil.

Der Ansatz klappte bisher bei nur zwölf Mäusen — der Aufwand war riesig. Aus 2D-Fotografien der Maushirne mussten die Wissenschaftler aufwändige 3D-Bilder zusammensetzen und den Fluss des Bluts auf verschiedenen Gehirnebenen beobachten. Für Daten aus zwei Stunden Beobachtungen brauchten das Team mehrere Wochen Analyse. Jede Aufnahme muss von Hand untersucht werden, denn für einen Bilderkennungssoftware bewegt sich im Kopf zu viel. „Too much noise“, wie Schaffer sagt. Alles zittert, wackelt und Zellebenen überlagern sich.

Um eine ordentliche Studie hinzubekommen, bräuchte es Jahrzehnte der Analyse. Und hier kommt Piedro Michelucci ins Spiel. Schaffer kannte den Informatiker und rief ihn zur Hilfe. Michelucci, so seine Hoffnung, könnte aus Jahren wenige Tagen machen, im Idealfall wenige Stunden.

Es gibt Bereiche, mit denen Algorithmen noch immer nicht klarkommen, die für Menschen aber ein leichtes sind

Piedro Michelucci

Er ist Experte für so genannte „Human Computation“. Eine Wissenschaft, die den Menschen als Teil eines Computers begreift. Technikvisionäre wie Stephen Hawking und Elon Musk fürchten denkende Maschinen als Bedrohung. Michelucci jedoch sieht die Verschmelzung als Chance, will sogar ein eigenes Forschungszentrum in den USA aufbauen. „Es gibt Bereiche, mit denen Algorithmen noch immer nicht klarkommen, die für Menschen aber ein leichtes sind“, sagt der Wissenschaflter.

Er programmiert gerade ein neues Tool für Schaffer und sein Team. Es basiert auf einem älteren Projekt mit dem Namen „Stardust@home“. Mit Hilfe dieses Tools will er die  Internet-Crowd ins Boot holen. Millionen User sollen als „Citizen Scientists“, als Bürger-Wissenschaftler, spielerisch die Analyse der Maushirne übernehmen. Die aufbereiteten Daten soll ein Algorithmus danach massenhaft weiterverarbeiten. „Wir Menschen verstehen den Kontext, der Computer beherrscht mehr Masse“, sagt Michelucci.


Das in dieser Technik enormes Potenzial liegt, haben schon ältere Projekte gezeigt. Im Falle von „Stardust@home“ identifizierten User Kluster an Kometenstaub und entdeckten völlig neue Materialien. Im Projekt Eyewire verknüpften sie in einem 3D-Editor Nervenwege durch Ausmalen und erschaffen so gerade die weltweit erste „3D-Neuronenkarte des Gehirns“. Die Macher schreiben, dass bereits 200.000 Menschen aus 145 Ländern mitmachen. Ein Punktesystem spornt sie zu immer neuen Leistungen an. Gleichzeitig bringt das Programm ihnen bei, auf was sie bei der Forschung achten müssen. „Die Nutzer lernen die Wissenschaft kennen und tragen gleichzeitig dazu bei“, sagt auch Michelucci immer wieder. Es entsteht eine Armee für die Wissenschaft. Andere Projekte katografieren das Universum, übersetzen alte Schiffslogbücher oder puzzeln DNA zusammen, die in der Forschung gegen AIDS zum Einsatz kommt.

Aber es soll nicht nur beim Universum und der Biologie bleiben. „Wenn Sie sehen, was wir mit diesem Spieleansatz jetzt schon erreichen können, scheinen die Möglichkeiten unbegrenzt“, sagt Michelucci. Zusammen könnten Menschen die kompliziertesten Probleme der Welt lösen. Nur durch Zusammenarbeit der Massenverarbeitung eines Computerprozessors und der kontextbewussten Einschätzung des menschlichen Verstands. Etwa könnte die Crowd helfen Informationen von Sozialstaaten zu verwalten, den Bürokratiedschungel ordnen oder Wahlen optimal zu organisieren.

Um gegen Alzheimer zu kämpfen werden User dunkle Schatten und deren Bewegung im Gehirn bestimmen. Sie werden lernen, wie die Ablagerungen der Neurotoxine an den Nerven aussehen. Für jeden Spot werden sie Punkte erhalten. Massenhaft sollen Daten über den Blutfluss bei kranken Mäusen generiert werden und schnell soll klar sein, wieviel dran ist an der Blutstrom-Theorie von Schaffer. Im Sommer soll das Experiment starten, erst einmal bei eingeweihten Teilnehmern. „Ich finde den Ansatz wahnsinnig spannend und hilfreich, aber er muss auch valide Ergebnisse bringen, selbst wenn keine Experten beteiligt sind“, mahnt Biochemiker Schaffer.

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