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Ein Online-Portal klärt Menschen auf, die kein Deutsch sprechen

von Chris Köver
Orgasmus, Kondom, Jungfernhäutchen: Die Themen im Aufklärungsportal Zanzu sind ziemlich genau die, um die sich auch schon Dr. Sommer kümmerte. Der Unterschied: Die Webseite ist für Menschen gedacht, die neu in Deutschland angekommen sind und die Sprache noch nicht beherrschen. Und die Herausforderung, alles von Penishygiene bis zum Ersten Mal mit Piktogrammen zu erklären, ist offenbar gewaltig.

Muss man jedes Mal einen Orgasmus haben, wenn man Sex hat? Wann ist der richtige Zeitpunkt für das erste Mal? Wo sitzt die Klitoris und was hat Sex in Pornos mit echtem Sex zu tun? Die Themen auf dem neuen Online-Portal Zanzu sind auffällig universell. Zumindest decken sich diese Fragen weitgehend mit dem, was die Dr. Sommer-Kolumne schon vor 20 Jahren in der BRAVO behandelte.

Zwei Menschen, die aufeinanderliegen, daneben ein Smiley mit O-Mund heißt Orgasmus. Ein Daumen hoch: guter Sex.

Der Unterschied: Zanzu ist nicht für hormongeflutete deutsche Teenager in der Hölle der Pubertät gedacht, sondern für Menschen, die gerade neu in Deutschland angekommen sind und noch kein Deutsch sprechen. Das Portal, das am vergangenen Freitag von der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung (BZgA) vorgestellt wurde, arbeitet deswegen vor allem mit Piktogrammen. Zwei Menschen, die aufeinanderliegen, daneben ein Smiley mit O-Mund heißt Orgasmus. Ein Daumen hoch: guter Sex. Ein Geldschein: Prostitution. Informieren kann man sich hier aber auch zum Thema Schwangerschaft, zu Homosexualität, Gleichberechtigung in der Partnerschaft, dem Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch oder das Mindestalter für sexuelle Zustimmung.

Das alles erklärt Zanzu auf 13 Sprachen, darunter Rumänisch, Arabisch, Türkisch oder Russisch. Der Ton ist betont einfach und direkt gehalten und wer nicht lesen kann, kann sich einzelne Texte auch vorlesen lassen.

Ein Aufklärungsportal für Migranten? Haben die BZgA und das Gesundheitsministerium hier im Schnellschussverfahren auf die hohe Zahl von Geflüchteten in den vergangenen Monaten reagiert? Oder sogar auf die Ereignisse von Köln? Eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums beteuert gegenüber der SZ, das sei nicht der Fall: "Wir arbeiten bereits seit einigen Jahren an der Entwicklung, unabhängig von der aktuellen Situation."

In der Broschüre zum neuen Portal schreibt die BZgA, die Seite sei für „Migrantinnen und Migranten, die aus vielen verschiedenen Gründen erst relativ neu in Deutschland eingetroffen sind, z.B. Heiratsmigrantinnen aus der Türkei, EU-Binnenmigranten aus Bulgarien und Rumänien, Flüchtlinge aus der arabischen Region und aus Afrika.“ In der aktuellen Situation ist Plattform allerdings noch relevanter geworden.

Das Angebot ist aber gar nicht bloß für Menschen gedacht, die zu Hause oder anderswo anonym nach Infos über die sexuellen Gepflogenheiten in Deutschland oder ihren eigenen Körper suchen. Es soll vor allem eine Hilfe für jene bieten, die neu angekommene MigrantInnen beraten und ärztlich versorgen. Unter dem Menüpunkt „Für Multiplikatoren“ wird erklärt, wie Ärzte oder sexuelle Beratungsstellen die Seite nutzen können, um Gespräche in verschiedenen Sprachen zusammenzustellen. Ein Wörterbuch übersetzt die wichtigsten Begriffe.

Das alles klingt erst mal nach einer prima Idee. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und der Zugang zu Wissen über Sex ist ein Grundrecht – und das sollte in Deutschland tatsächlich für alle Menschen zugänglich sein, auch wenn sie noch kein Deutsch sprechen. Auffällig und erfreulich ist auch die sexpositive Haltung, die aus allen Infotexten strahlt: Erlaubt ist erst Mal alles, was Spaß macht. Was im Bett „normal“ ist, darüber entscheidet man selbst. Wichtig ist vor allem, dass beide Lust darauf haben und dass es sicher zugeht – für beides muss man vor allem klar kommunizieren. Mit dieser Message könnte man genauso gut auf jeden Schulhof gehen.

Dass die Webseite an einigen Stellen trotzdem schräg und unfreiwillig komisch wird, ist vor allem den Piktogrammen geschuldet. Das X, mit dem etwa „Jungfräulichkeit“ symbolisiert werden soll, erinnert schwer an das wackelnde Kreuzchen, mit dem in iOS die Apps gelöscht werden. Was soll das hier bedeuten? Jungfräulichkeit auslöschen? Gekreuzte Beine? Fragen wirft auch der Daumen hoch neben zwei Menschen in Missionarsstellung auf. Der soll hier guten Sex signalisieren. Genauso gut könnte man es dahingehend missverstehen, dass diese Position in Deutschland besonders beliebt sei. Erst wer sich weiter durchklickt, kommt auf eine Seite, auf der auch alle möglichen anderen Optionen von hinten, vorne, oben und unten illustriert sind.

Offenbar ist die aktuelle Seite aber das Ergebnis von Tests und Recherchen in der Zielgruppe: Christine Winkelmann, Referatsleiterin für Prävention in der BzgA, sagte der Süddeutschen Zeitung, man habe die Seite mit Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen und mit unterschiedlichen religiösen Überzeugungen getestet, die Reaktionen seien positiv gewesen. Und wenn das am Ende zu mehr sexueller Selbstbestimmung, Orgasmen und anderen erfreulichen Begegnungen führt, dann:

 

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