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Safer Sexting, denn wir lieben Nacktbilder!

von Chris Köver
„Can they see my dick?“ fragte US-Moderator John Oliver im Frühjahr Edward Snowden, um sich das Ausmaß der Überwachung durch die NSA erklären zu lassen. Der Hintergrund: Vielen Menschen ist offenbar egal, wer ihre Kommunikation mitschneidet – bis es um ihre Genitalien geht. Diese Erkenntnis nutzen jetzt auch brasilianische Datenschutzaktivistinnen. „Can they see your pussy?“, fragt die Gruppe in einem Guide, der für mehr Sicherheit beim Sexting sorgen soll – ganz ohne Moralkeule.

„Klar gibt es schon eine Menge Anleitungen, worauf man achten sollte, wenn man Nacktbilder verschickt“, sagt Natasha Felizi, eine Aktivistin des brasilianischen Think Tank Coding Rights, der hinter dem „Send Nudes“-Guide steckt. „Aber der Großteil dieser Anleitungen hat einen bevormundenden, moralisierenden Ton, der uns sehr unangenehm war.“

Die Grundannahme, die normalerweise mitklingt: Sexy Selfies sind irgendwie schmutzig, aber wenn man schon um Himmels Willen welche in Umlauf bringen muss, dann doch bitte, bitte mit der gebotenen Vorsicht. Was dabei vergessen wird: Erotische Aufnahmen können auch ein Akt von Widerstand sein – gerade für Minderheiten, die sonst ohnehin schon selten sichtbar sind. Gleichzeitig seien gerade diese Menschen – Schwarze Frauen, queere oder Trans-Personen – besonders gefährdet, wenn es um Revenge-Pornografie oder andere Angriffe im Netz geht, die sie bloßstellen und beschämen wollen. Wer von der Norm abweicht, müsse deswegen besonders vorsichtig sein.

Felizi will trotzdem niemandem ausreden, erotische Bilder von sich zu machen und diese auch zu teilen, wenn sie es will. Im Gegenteil, der Guide, den sie zusammen mit Joanna Varon, Gründerin von Coding Rights, geschrieben hat, ist eine Art „Pro-Nacktbild-Manifest“, sagt Felizi. „Wir lieben Nackbilder!“

Nur müsse die Entscheidung darüber, ob diese Bilder öffentlich werden, immer bei den UrheberInnen liegen – und dazu müssten diese mit den richtigen Werkzeugen ausgestattet sein. „Send Nudes“ betont deswegen mehr als nur den Spaß an der erotischen Selbstinszenierung („Finde den besten Winkel!“). Es geht auch darum, wie man die Metadaten seiner Fotos entfernt oder sein Gesicht verpixelt, um anonym zu bleiben. Darum, warum man definitiv niemals SMS, WhatsApp oder andere unverschlüsselte Kanäle nutzen sollte, um seine Aufnahmen zu verschicken,  und welche Voraussetzungen eine sichere App erfüllen müsste.

Damit sind schon mal die beiden größten Schwachstellen in der Kommunikation abgedeckt. Nummer eins: Die Person am anderen Ende, die die Fotos empfängt und sie gegen den eigenen Willen veröffentlichen könnte. Nummer zwei: Die Anbieter der Messenger-Apps und Plattformen, die vertrauliche Daten unverschlüsselt speichern und dann womöglich verschludern – so geschehen zuletzt bei Snapchat oder dem Ashley Madison-Leak.

Diese Lektion in Sexting-Security ist für die Aktivistinnen auch ein Mittel, um mehr Bewusstsein für digitale Privatsphäre zu schaffen. „Wenn du lernst, deine Nacktfotos sicher zu teilen, hast du schon mal eine Logik der digitalen Sicherheit verstanden, die auf viele andere Arten von Kommunikation ausgeweitet werden kann“, sagt Joana Varon. Über die Frage „Can they see your pussy?“ kommt man dann vielleicht zur Frage, wer eigentlich sonst noch all das sehen kann, was privat bleiben sollte.

Entstanden ist diese Idee nach einem eigenen Privatsphärenexperiment: Felizi hatte Varon zum Spaß um Nacktfotos gebeten – in einer Messaging-Gruppe, die sie mit 50 anderen Freunden teilten. Varon antwortete, dass sie gerne welche schickt, aber nur auf einem sicheren Kanal. Während sich ihr halber Freundeskreis über sie amüsierte, wurde ihnen klar: Womöglich würden sich mehr Leute für ihre Anti-Überwachungs-Workshops interessieren, wenn sie diese als Workshops für sicheres Nacktfoto-Sharing verkaufen.

Eine erste Version des Guides auf Portugiesisch stellten sie kurz darauf in ihrem Blog online. Die aktuelle englische Fassung ist eigentlich ein gedrucktes Faltblatt, das die beiden am Rande des gerade beendeten Internet Governance Forum (IGF) verteilten, einer UN-Konferenz, die dieses Jahr in Brasilien stattfand. Eine webfreundlichere Version, die man nicht erst ausdrucken und selbst zusammenfalten muss, soll bald folgen.

Auf die Frage, für wen der Guide gedacht ist, antwortet Natasha Felizi: „Frauen, Schwule, Trans und queere Menschen, die gerne Nacktfotos schicken würden, sich aber davor fürchten, bloßgestellt zu werden. Männer, die ungefragt Bilder von ihrem Schwanz schicken, damit sie merken: Wir sind eher an anderen Arten von Bildern interessiert. Die Tech-Community, die immer noch sehr sexistisch ist. Andere Frauen in der Tech-Community, die uns verstehen und sich uns anschließen wollen. Menschen generell, denen nicht klar ist, wie böse die 'freien' Internetwerkzeuge sein können, die wir ständig benutzen.“

Zeigt wieder einmal: Das Private ist politisch. Und die privatesten Körperteile haben das größte Potential, zu politisieren.

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