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Die Lichtverschmutzung über Berlin ist wunderschön

von Chris Köver
Der Physiker Christopher Kyba beschäftigt sich mit Lichtverschmutzung. Am Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam erforscht er, wie das künstliche Licht unserer Städte den Blick auf den nächtlichen Sternenhimmel verstellt. Das Paradoxe: Egal, wie gut er über die negativen Auswirkungen des künstlichen Lichts Bescheid weiß, der Schönheit der beleuchteten Stadt kann er sich trotzdem nicht verschließen. Auf seiner Webseite veröffentlicht er beeindruckende Nachtaufnahmen von Berlin, die es fast mit der Milchstraße aufnehmen können.

Lichtverschmutzung, Lichtsmog. Das klingt nicht gut. Das klingt nach Dreck und kaputter Umwelt, nach irgendetwas, das mal wieder wir Menschen zerstört haben, Zivilisation als Rückschritt. Dabei geht es doch eigentlich nur um Licht, das künstliche Licht, das unsere Städte ausstrahlen und das sich, gebrochen und gestreut in der Erdatmosphäre, wie eine Glocke über die Dächer legt.

Stadtmenschen kennen das: eine Art goldene Kuppel, die selbst in wolkenlosen Nächten dafür sorgt, dass der Himmel überirdisch leuchtet und kaum ein Stern zu erkennen ist. Aber auch außerhalb der großen Ballungsräume hat das Auswirkungen. Schon eine Stadt mit 300.000 Einwohnen hellt mit ihrem Licht einen Radius von schätzungsweise 25 Kilometern auf. 25 Kilometern, in denen der Sternenhimmel nur noch schwer zu erkennen sein wird.

Das diffuse künstliche Licht nimmt uns aber nicht nur den Blick auf den Himmel, er wirkt sich auch auf das Ökosystem und die Körper von Menschen und Tieren aus. Es beeinflusst die Hormonproduktion, die Körpertemperatur, selbst die genetische Aktivität einzelner Zellen. Wie genau die zunehmende nächtliche Beleuchtung mit der Entwicklung von Diabetes, Übergewicht oder Krebs zusammenhängt, wird derzeit erforscht. Es gibt aber schon jetzt genug Anlass zu glauben, dass diese Veränderung nicht besonders gesund ist.

Christopher Kyba ist Teil dieser Suche, am Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam misst er, wie stark die nächtliche Beleuchtung ist und wie sie sich über die Zeit verändert. Kyba gehört zu einer internationalen Forschungsgruppe, die vor kurzem den „New World Atlas of Artificial Sky Brightness“ veröffentlicht hat, eine Übersichtskarte, die das Ausmaß der weltweiten Lichtverschmutzung zeigt. Es ist die erste solche Übersichtskarte seit 15 Jahren.

Mehr als 80 Prozent der Weltbevölkerung, so das Ergebnis, sind von Lichtverschmutzung betroffen, in Europa sind es 99 Prozent. Ein Drittel aller Menschen auf der Erde kann von seinem Wohnort aus die Milchstraße nicht mehr sehen, weil das diffuse künstliche Licht die schwach funkelnden Sterne einfach überstrahlt.

 

Die Daten für den Atlas stammen aus Messungen, die Satelliten vom Weltraum aus durchgeführt haben, einige kommen auch von Messstationen auf der Erde oder aus einer App, die sich jeder herunterladen konnte, um selbst Daten über die Lichtverschmutzung in seinem Umfeld beizusteuern.

Um genauere Aussagen darüber treffen zu können, aus welchen Quellen das Licht stammt, macht Kyba aber auch Flüge über der Stadt, mit einer kleinen Cessna, die dem Insitut für Weltraumwissenschaften an der Freien Universität Berlin gehört. „Satelliten haben keine so hohe Auflösung,“ sagt er. Um erkennen zu können, woher das Licht genau kommt, ob es von Straßenbeleuchtung, Leuchtreklamen, Flutlichtanlagen angestrahlten Gebäuden oder den Scheinwerfern des fließenden Verkehrs ausgeht, muss man näher ran.   

 

Das Paradoxe: Egal wie gut Kyba aus der Forscherperspektive über die Auswirkungen des künstlichen Lichts Bescheid weiß, der Schönheit der beleuchteten Stadt kann er sich trotzdem nicht entziehen. Die meisten der hier gezeigten Fotos hat er während der nächtlichen Messflüge mit seiner privaten Kamera geschossen. Auf einigen von ihnen sieht Berlin von oben selbst aus wie ein Teil der Milchstraße. Während der nächtliche Sternenhimmel verschwindet, bildet die Weltkarte der erleuchteten Städte eine neue Sternenkarte, sagt Kyba, als spiegelte sich der Himmel auf der Erdoberfläche.

Kyba ist sich dieser Ironie durchaus bewusst und spinnt sie noch weiter. Auf dem Land kann eine einzelne erleuchtete Kirche schon dafür sorgen, dass das Sternenlicht im Umkreis von Kilometern überstrahlt wird. „Dann sieht man nur noch die menschliche Kirche statt den göttlichen Himmel.“ Es gäbe Lösungen, um beides tun zu können. So wie Weihnachtsbeleuchtung schön sein kann, aber nicht das ganze Jahr hindurch funkeln muss, könnte man auch Kirchen etwa nur am Sonntag beleuchten, schlägt er vor. Und den Rest der Woche lieber weiter Richtung Himmel schauen können.

 

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