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Massenüberwachung gab es in den USA schon vor 9/11 — sie hat die Anschläge nicht verhindert

von Benedikt Plass-Fleßenkämper
Einem Medienbericht zufolge hat nicht nur die NSA jahrelang US-Bürger überwacht, auch die Antidrogenbehörde DEA sammelte mehr als 20 Jahre lang die Daten von Millionen Amerikanern, die ins Ausland telefonierten. Das Programm der DEA soll als Vorbild für ähnliche Maßnahmen der NSA gedient haben, die Terroranschläge vom 11. September 2001 konnte es jedoch nicht verhindern. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat Klage gegen die DEA-Massenüberwachung eingereicht.

Die Drug Enforcement Administration (DEA) ist den meisten wohl aus der Serie „Breaking Bad“ bekannt, in der sie sich vom Meth-Dealer Walther White an der Nase herumführen lässt. Wozu die Antidrogenbehörde im echten Leben fähig ist, enthüllt nun ein Bericht der Zeitung US Today, die sich darin auf Detailinformationen von mehr als einem Dutzend Insidern beruft: Demnach soll die DEA zwischen 1992 und 2013 mittels Vorratsdatenspeicherung im großen Stil Telefondaten von Millionen US-Bürgern gesammelt haben.

Die Fahnder brauchten keine richterliche Genehmigung und beschränkten sich nicht auf Drogen-Fälle.

Die Existenz des Überwachungsprogramms war zwar schon im Januar 2015 bekannt geworden, nicht aber, wie intensiv die DEA damit gearbeitet hat. Die Telefonnummern von US-Bürgern, die ins Ausland telefonierten, wurden zusammen mit Metadaten wie den Nummern der angerufenen Personen, Datum, Uhrzeit und Anrufdauer, in der DEA-Datenbank USTO (US To Others) gespeichert. Ob auch Deutschland zu den 116 Ländern gehörte, die die Behörde überprüft hat, lässt der Bericht offen; genannt werden unter anderem Italien, Kanada, Mexiko, Pakistan, Iran, Afghanistan sowie die meisten Staaten Mittel- und Südamerikas.

Für die Datenspeicherung brauchten die DEA-Fahnder keine richterliche Genehmigung, zudem beschränkten sich ihre Ermittlungen nicht auf Fälle, die mit Drogenhandel in Verbindung standen. Offiziell sagt die DEA, dass das unter dem damaligen Präsidenten George H. W. Bush initiierte Programm geholfen habe, gegen Drogenkartelle vorzugehen und deren Netzwerke aufzudecken.

Geheimgehalten wurde die Überwachung, indem die Daten nie als Beweismittel in Prozessen verwendet wurden.

In den über 20 Jahren der DEA-Telefonüberwachung haben laut USA Today verschiedene US-Institutionen wie Geheimdienste, Militär und Ermittlungsbehörden immer wieder auf die USTO-Datenbank zurückgegriffen. So seien die Metadaten etwa auch nach dem Bombenanschlag auf ein Regierungsgebäude in Oklahoma City von 1995, bei dem 168 Menschen starben, ausgewertet worden. Geheim gehalten wurde die Telefonüberwachung, indem die mit ihr gewonnen Verbindungsdaten nie als Beweismittel in Prozessen oder als Basis für Durchsuchungsbefehle verwendet wurden.

Das US-Justizministerium hat die Fortführung des Programms laut dem Bericht unter vier verschiedenen Präsidenten genehmigt, bis es 2013 nach den NSA-Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden eingestellt wurde.

Die Terroranschläge am 11. September 2001 konnte die DEA-Massenüberwachung allerdings nicht verhindern. Dennoch verschärfte die USA nach 9/11 massiv ihre Sicherheitspolitik und führte neue und noch schärfere Überwachungsprogramme ein — mit dem Hinweis, ebensolche Anschläge in Zukunft abwenden zu können. Laut USA Today diente das DEA-Modell als Vorbild für ähnliche Programme der NSA, etwa für ein System zur Überwachung von Inlandsgesprächen oder für PRISM. Ein Beamter des Justizministeriums soll NSA-Mitarbeiter mehrfach über die Methoden der US-Drogenpolizei informiert haben. Die NSA selbst wollte auf Anfrage von USA Today keinen Kommentar abgeben.

Selbst die NSA hat intern den Nutzen der anlasslosen Überwachung infrage gestellt.

Die DEA bekommt nun nicht nur ordentlich Schelte von den Medien, sondern auch Probleme mit der Justiz: Die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) hat mithilfe der US-Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF) vor einem Bundesgericht in Kalifornien Klage gegen die Behörde eingereicht. Konkret werfen die EFF-Juristen der DEA vor, das Überwachungsprogramm jahrelang im Geheimen betrieben und dadurch gegen die US-Verfassung verstoßen zu haben. Man will die DEA nun gerichtlich dazu zwingen, „die Sammlung und Auswertung von Verbindungs- und Standortdaten aus der internationalen Telekommunikation dauerhaft zu unterbinden und ‚rechtswidrig‘ erhobene Informationen zu löschen“.

Die neuesten Enthüllungen zeigen ein weiteres Mal auf, wie Massenüberwachung mit dem „War on Drugs“ oder der Terrorprävention gerechtfertigt wird. Doch nicht wenige Kritiker bezweifeln, dass dieser Weg der richtige ist. Sogar die NSA selbst hat bereits intern den Nutzen der anlasslosen Überwachung von Telefongesprächen infrage gestellt und darüber nachgedacht, ihr Überwachungsprogramm einzustellen

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