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Endlich Ruhe! Diese App macht dein Smartphone unerreichbar

von Lars Gaede
Mit der App Offtime kann man auf seinem Smartphone das Internet abschalten, Apps sperren und Anrufe abwehren. WIRED hat CEO Alexander Steinhart gefragt, warum das sinnvoll sein soll.

WIRED: Menschen kaufen sich für 600 Euro ein Smartphone, das alles kann. Und dann laden sie sich ihre App Offtime darauf, die dafür sorgt, dass es gar nichts mehr kann. Entschuldigung, aber ist das nicht ein wenig bescheuert?
Alexander Steinhart: Nein, gar nicht. Es ist einfach nur der Versuch, damit umzugehen, dass wir nicht mehr in einem Zeitalter der Informationsknappheit leben, sondern in einem Zeitalter des Informationsüberschusses. In der ersten Phase des digitalen Zeitalters war es gut und wichtig, neue Zugänge zu Informationen bereitzustellen. Das war demokratisch sinnvoll, eine Chance zur Selbstermächtigung der Menschen. Jetzt aber leben wir in einem Überangebot an Informationen, das uns nicht mehr gut tut. Man kann das gut mit unserem Umgang mit Essen vergleichen. Bis kurz nach dem Krieg hatten wir eine Essensknappheit. Als es dann irgendwann genug zu essen gab, begannen die Menschen, sich überall daumendick Butter draufzuschmieren — einfach, weil sie es konnten. Dazu erfand die Industrie auch noch das Junkfood, das die Menschen mit Hilfe von Aromastoffen, Zucker und Fett weiter dazu verführte, immer noch mehr zu essen. Die Folge ist, dass heute 60 Prozent der Menschen bei uns übergewichtig sind. Wir lernen im Grunde erst jetzt so langsam, wie man gesund und richtig isst und wie man mit dem Überfluss umgeht.

Die Informationsindustrie bringt uns mit ihren digitalen Produkten dazu, mehr zu konsumieren, als uns gut tut.

WIRED: Was hat das mit der digitalen Welt zu tun?
Steinhart: Sehr viel. Auch die Informationsindustrie bringt uns mit ihren digitalen Produkten dazu, mehr zu konsumieren, als uns gut tut. Mit dem Smartphone haben wir alle Informationen und sozialen Kontakte permanent bei uns. Das ist so, als würde man als kleines Kind in einen Süßigkeitenladen geworfen werden, man geht unter, man isst sich zu Tode. Wir stehen da mit dem Smartphone auch in einer Welt, die glitzert und uns Dopamin ausschütten lässt, weil da permanent neue Nachrichten abrufbar sind, Likes, Bestätigungen. Informationen werden in dieser Welt vermischt mit sozialer Interaktion. Das ist eine extrem verführerische Kombination, die süchtig machen kann. Und während man Junkfood einfach nicht kaufen kann oder die Chipstüte wegschmeißen, ist es bei dem eigenen Smartphone noch viel schwieriger, sich zu entziehen.

WIRED: Woher kommt dieses suchtartige Verhältnis, das viele zu ihrem Smartphone entwickeln?
Steinhart: Das Handy funktioniert ein wenig wie ein Glücksspielautomat. Man schaut drauf, weil man einen witzigen Post entdecken könnte, ein paar neue Likes oder eine gute Nachricht im Postfach — quasi den Hauptgewinn. In 90 Prozent der Fälle finden wir aber nur eine Niete. Dadurch entsteht eine emotionale Spannung. Und wir schauen dann wie Abhängige so lange in die Mails, auf Facebook, auf Twitter, bis wir irgendetwas gefunden haben, das sich wie ein Hauptgewinn anfühlt und die Spannung löst. Das hält aber nicht lange an. Kaum vibriert es einmal kurz, geht das ganze Spiel wieder von vorne los. Das führt dazu, dass wir 60-70 Mal am Tag zum Telefon greifen. Das ist ein Problem.

WIRED: Warum?
Steinhart: Weil dadurch einige Dinge zu kurz kommen, die wichtig sind: Der Fokus, die gesunde Langeweile, der Austausch mit der Umwelt, die Möglichkeit, sich mal richtig zu erholen. Unsere App soll den Menschen dabei helfen, sich dafür wieder Freiräume zu schaffen.

WIRED: Wie genau?
Steinhart: Sie trackt, wie häufig man das Telefon in die Hand nimmt und was genau man damit macht. Wie eine Waage, die mir für das Essen sagt, wie viel ich zu mir nehme. Oft ist es ja so, dass man aus irgendeinem Grund zum Telefon greift und dann erwacht man nach 20 Minuten aus so einer Art Koma und weiß nicht mal mehr genau was man eigentlich gerade gesucht hat. Es ist gut, sich mal bewusst zu machen: Wo hänge ich immer wieder fest, womit verbringe ich wie viel Zeit? Viele Leute sind dann regelrecht geschockt, wenn sie das sehen. Sie schmeißen dann ihre Arbeits-E-Mails vom Handy, löschen Twitter oder Facebook, weil sie merken: Die Zeit, die ich damit verbringe, steht in keinem Verhältnis zum Nutzen. Dazu arbeiten wir mit kleinen Remindern, die einem sagen: Achtung! Du bist schon seit zehn Minuten am Telefon! Das soll den Flow-Zustand unterbrechen, in dem die Menschen oft versinken, wenn sie mit dem Telefon im Netz surfen. Und ausserdem bietet die App die Möglichkeit, bestimmte Programme und Funktionen für eine gewisse Zeit abzuschalten.

Die Leute sollen kein Multitasking mehr betreiben, sondern Singletasking.

WIRED: Das heißt, die App macht das Handy unerreichbar?
Steinhart: Nicht unbedingt komplett, sondern so, dass es zu der Situation passt, in der man sich gerade befindet. Vielleicht will man in Ruhe arbeiten und das Internet blocken, aber die Kita des eigenen Kindes oder bestimmte wichtige Kunden sollen einen anrufen können — das kann man alles individuell einstellen.

WIRED: Geht es also gar nicht ums Abschalten, um die wahre Offtime, sondern nur darum, fokussierter arbeiten zu können?
Steinhart: Unsere Strategie ist, dass die Leute kein Multitasking mehr betreiben, sondern Singletasking. Wir wollen fokussierte Blöcke schaffen, für das, was gerade wichtig ist. Ob das die Familie oder die Arbeit ist, ist egal. Multitasking verringert immer die Qualität dessen, was man gerade macht. Das belegen viele Studien. Und das Telefon bringt uns dazu permanent multitasken zu wollen. Schon wenn das Telefon nur neben einem liegt, verringert das die Qualität dessen, was man macht, weil man permanent Disziplin aufbringen musst, um sich nicht damit abzulenken. Das ist wie ein Muskel, den kann man trainieren, aber der ermüdet irgendwann auch. Und die Ressourcen, die man für die Disziplin aufbringen muss, das Telefon nicht zu nutzen, fehlt dann irgendwo anders. Es gibt Studien, die besagen, dass die Qualität von Gesprächen schon dann abnimmt, wenn es in der Jacke des Gegenübers vibriert, weil man dann weiß, das Gegenüber ist mit seinen Gedanken schon irgendwo anders. Und man selbst ausserdem versucht ist, auch auf sein Handy zu schauen.

Man lenkt auch andere Leute ab, wenn man ständig auf sein Handy schaut.

WIRED: Das klingt alles ein wenig so, als wäre der passive Handygebrauch das neue Passivrauchen.
Steinhart: Exakt. Es gibt sogar schon Tech-Konferenzen, an denen Abends das Handy verboten ist. Und da wurde genau so argumentiert: Weil man eben auch andere Leute ablenkt, wenn man auf sein Handy schaut.

WIRED: Ist das nicht alles etwas hysterisch? Vielleicht ist nicht die Nutzung der Smartphones falsch, sondern die Unterscheidung zwischen analoger und digitaler Lebenswelt.
Steinhart: Man muss unterscheiden. Es gibt ja nicht nur die eine digitale Lebenswelt, sondern viele verschiedene. Es gibt natürlich sinnvolle Unterstützungen, die uns helfen: To-Do-Listen-Apps, Wikipedia, Google Maps — wenn man das aktiv nutzt, ist das okay. Aber man muss sich mal anschauen: Was ist eigentlich die Motivation der meisten Unternehmen, die digitale Inhalte anbieten und auf deren Seiten wir so viel Zeit verbringen? Das Ziel ist nicht, irgendeinen echten Mehrwert zu bieten, sondern einen möglichst lange auf der Seite zu halten, Digitales zu konsumieren und Werbung klicken zu lassen. Je mehr aktive Nutzer ein Unternehmen hat, desto mehr ist es wert. Das muss man sich bewusst machen und sein eigenes Smartphone-Verhalten auch mal hinterfragen: Bringt mir das hier eigentlich was? Unsere App hilft dabei den ersten Schritt zu tun.

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