Hinweis zu Affiliate-Links: Alle Produkte werden von der Redaktion unabhängig ausgewählt. Im Falle eines Kaufs des Produkts nach Klick auf den Link erhalten wir ggf. eine Provision.

Knarz, Fiep, Brumm: „I Dream of Wires“ ist eine filmische Liebeserklärung an den analogen Synthesizer

von Oliver Klatt
In Zeiten von Laptops und erschwinglicher Musiksoftware gehören Kabelsalat und klobige Synthesizer-Schränke längst der Vergangenheit an. Sollte man meinen. Die Dokumentation „I Dream of Wires“ wirft einen Blick auf die Geschichte der Klang-Kisten — und zeigt, das der totgesagte Analogsynthesizer noch lange nicht ausgedient hat.

Berlin, 28. Juli 2015, 20 Uhr. Im Babylon-Kino in der Rosa-Luxemburg-Straße ist kein Platz mehr frei. Doch weder steht ein sehnlichst erwarteter neuer Blockbuster auf dem Programm, noch wird ein alter Kultfilm gezeigt, der verlässlich die Kassen füllt. Stattdessen steigt hier die Release-Party für die Dokumentation „I Dream of Wires“, einen Film über Synthesizer-Nerds und ihre Suche nach nie gehörten Klängen. WIRED Germany hat Regisseur Robert Fantinatto und Produzent Jason Amm — bekannt für sein Musikprojekt Solvent — zum Interview getroffen.

WIRED: Robert, „I Dream of Wires“ ist erst der zweite Dokumentarfilm, bei dem du Regie geführt hast. Warum musste es ausgerechnet ein Film über analoge Synthesizer im digitalen Zeitalter sein?
Robert Fantinatto: Das alles begann 2010, als mein ältester Sohn auf einmal anfing, sich für elektronische Musik zu interessieren. Das hat mich daran erinnert, dass ich selbst noch einige alte Hardware-Synthesizer aus den Achtzigerjahren herumliegen hatte. Ich war früher mal Mitglied in einer Synthpop-Band in Toronto. Ich zeigte meinem Sohn die Synthesizer, und durch ihn erfuhr ich, dass Musiker wie Deadmau5 auch heute noch mit modularen Maschinen wie dem Buchla 200e arbeiten. Das hat mich total überrascht. Warum sollte man man sich mit diesen teuren und launischen Maschinen abgeben? Das erschien mir irgendwie irrational. Aber genau deshalb dachte ich, es könnte eine gute Idee sein, einen Film darüber zu machen. Wenig später habe ich dann die Musik von Jason entdeckt, und herausgefunden, dass er nur zehn Minuten von mir entfernt wohnt. Wir kamen miteinander ins Gespräch, und er erklärte sich dazu bereit, den Soundtrack zum Film beizusteuern.
Jason Amm: Meine erste Reaktion war: Darüber hat bestimmt schon mal jemand einen Film gedreht. Aber als ich herausfand, dass das nicht der Fall war, stürzte ich mich auf das Projekt und fing an, eigene Ideen zu entwickeln. Robert hatte die Gelegenheit, eine sehr aufregende Zeit zu dokumentieren: die Renaissance des modularen Synthesizers. Ich schlug ihm vor, nicht nur mit Tüftlern und Synth-Geeks zu sprechen, sondern auch mit zeitgenössischen Musikern wie Carl Craig. Aber dass das Projekt dann derart groß werden würde, hatte ich nicht erwartet. Ich hätte niemals gedacht, dass Trent Reznor von Nine Inch Nails oder Vince Clarke von Erasure uns Interviews geben würden. Das Interesse an dem Projekt wurde immer größer.

WIRED: Und damit stiegen sicher auch die Kosten. Wie habt ihr „I Dream of Wires“ finanziert?
Amm: Ich habe eine Kampagne auf Indiegogo gestartet. „I Dream of Wires“ wurde ausschließlich über Vorbestellungen finanziert. Es gab keinerlei Filmförderung. Aber unglaublich viele Menschen waren bereit, uns zu unterstützen. Einfach nur, weil sie begeistert davon waren, dass jemand einen Film über ihre Liebe zu Synthesizern produziert.
Fantinatto: Wir haben zwischen zehn und zwölf Stunden Interviews online gestellt, um unseren Unterstützern zu zeigen, worauf sie sich einlassen. Das Vertrauen war entsprechend groß. Dadurch hatten wir die Freiheit, genau den Film zu machen, den wir machen wollten. Wäre ein Fernsehsender an der Sache beteiligt gewesen, hätten wir immer die Sorge gehabt, dass der die Kontrolle übernehmen will. Und die kanadische Kunstförderung hat den Film offensichtlich nicht verstanden — oder wir haben ihre Vorgaben einfach nicht erfüllt. Auf jeden Fall hat uns das davor bewahrt, Kompromisse machen zu müssen.

WIRED: Die „Hardcore Edition“ eures Films, die schon 2013 an die Indiegogo-Unterstützer rausging, war vier Stunden lang. Nun ist eine Fassung in Spielfilmlänge erschienen. Normalerweise läuft das umgekehrt — erst die Kino-Fassung, dann der längere Director‘s Cut. Warum habt ihr diesen ungewöhnlichen Ansatz gewählt?
Fantinatto: Die erste Schnittfassung eines Films ist meistens deutlich länger als die Version, die das Publikum zu sehen bekommt. Man macht das, um ein Gefühl für den Aufbau und den Fluss des Films zu kriegen. Weil die Synthesizer-Community aber derart leidenschaftlich ist und uns mit so viel Einsatz unterstützt hat, dachten wir uns: Warum nicht die Langfassung veröffentlichen, die sich auch schon mal an Kleinigkeiten aufhält, die für ein größeres Publikum nicht so interessant sind? In der „Hardcore Edition“ erzählen Hersteller von Synthesizer-Modulen zum Beispiel, aus welchem Material bestimmte Bauteile bestehen und warum das so ist. Die Struktur beider Films ist sehr ähnlich, nur geht die Langfassung eben viel mehr in die Tiefe.

WIRED: Jason, der Soundtrack, den du für „I Dream of Wires“ produziert hast, ist ebenfalls auf modularen Synthesizern entstanden. War es für dich als Musiker ungewohnt, so zu arbeiten?
Amm: Ich mache seit 1997 elektronische Musik und habe schon immer viel über Synthesizer gelesen. Lange Zeit habe ich allerdings gezögert, modulare Synthesizer einzusetzen. Die Geräte erschienen mir einfach zu teuer und zu sperrig. Da ich ein obsessiver Sammler bin, hatte ich außerdem die Sorge, dass ich mich in der Materie verlieren würde. Wenn man erst einmal anfängt, ist das wie ein schwarzes Loch. Aber als Robert mich dann gebeten hat, die Musik für „I Dream of Wires“ zu produzieren, war mir klar, dass das nur Sinn ergibt, wenn der Soundtrack ebenfalls mithilfe von analogen und modularen Synths entsteht. Ich habe nichts anderes verwendet, keine Sampler und keine Drum Machines. Musikerkollegen haben mir ihre Synthesizer geliehen. Und da es eine Weile gedauert hat, bis der Film fertig war, hatte ich auch genügend Zeit, mich mit den Maschinen vertraut zu machen. Mein Ziel war es, zu zeigen, dass analoge Synths nicht nur diese seltsamen Alien-Sounds erzeugen, die man hört, wenn man auf YouTube nach Klangbeispielen sucht. Man kann ihnen auch wunderschöne Melodien entlocken. Dieser Kontrast macht die Sache erst richtig interessant.
Fantinatto: Wenn wir im Film Musiker zeigen, die an einem bestimmten Synthesizer Knöpfe drehen und Sounds erzeugen, sind es aber immer genau diese Maschinen, die zu hören sind. Ich habe immer sichergestellt, dass wir die Musik, die wir vor Ort aufgezeichnet haben, auch verwenden dürfen.

WIRED: Wenn Musiker wie Trent Reznor den Unterschied zwischen der Arbeit mit analogen Synthesizern und der Emulation per Software beschreiben, fällt oft das Wort „Magie“ — ein Anzeichen dafür, dass man nicht wirklich in Worte fassen kann, was den Unterschied ausmacht. Wollt ihr es mal versuchen? Worin besteht der Vorteil analoger Maschinen gegenüber einem Laptop?
Fantinatto: Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen sich fragen, ob es nicht Dinge gibt, die vor dem Einbruch des digitalen Zeitalters besser gewesen sind. Nicht umsonst gibt es Software, die versucht, den Klang alter Analogsynthesizer so gut wie möglich nachzuahmen. Das gleiche gilt für die digitale Fotografie: Die Bildqualität war noch nie besser. Aber auf Instagram benutzen die Menschen Filter, um ihre Fotos mit Kratzern und Staubpartikeln zu versehen und auf alt zu trimmen. Auch Vinyl-Alben erleben gerade ein Comeback. Ich denke, uns ist aufgrund der Weichzeichnung durch die digitalen Medien etwas verloren gegangen. Menschen wollen Dinge berühren: Maschinen, die von anderen Menschen gebaut wurden. Handgemachtes ist wieder stark im Kommen. Sogar Polaroid-Kameras sind zurück.
Amm: Die meisten von uns verbringen viel zu viel Zeit damit, auf Bildschirme zu starren. Wir arbeiten am Computer und haben ständig unser Smartphone vor Augen. Es gibt keine richtige Trennung mehr. Immer wenn ich meinen Laptop aufklappe, überkommt mich dieses unterschwellige Gefühl von Furcht. Denn ich weiß, dass wieder jede Menge E-Mails auf mich warten, die sich im Laufe der vergangenen Tage angesammelt haben. Es fühlt sich nicht richtig an, dass dies auch die selbe Maschine sein soll, auf der ich meine Musik mache. Außderdem hat die Arbeit mit analogen Synthesizern noch einen weiteren Vorteil: Es ereignen sich viel mehr Fehler! Dadurch entstehen unvorhersehbare musikalische Momente, die tatsächlich etwas „Magisches“ an sich haben. Das Knistern eines alten Drum-Computers zum Beispiel, das eigentlich stören müsste, am Ende jedoch den Song dramatischer klingen lässt. Solche Unregelmäßigkeiten kann man nicht planen. Und im Analogen geschehen diese kleinen glücklichen Unfälle einfach viel häufiger als im Digitalen.

„I Dream of Wires“ ist als DVD und Video-on-Demand erhältlich. 

GQ Empfiehlt