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Mit der Bechdel Bill wollen zwei Schauspielerinnen die Darstellung von Frauen in Filmen verändern

von Johanna Wendel
Der Bechdel-Test für Filme besteht aus drei simplen Fragen: Erstens, gibt es mindestens zwei Frauenrollen? Zweitens, sprechen sie miteinander? Drittens, unterhalten sie sich über etwas anderes als über einen Mann? Die Antwort ist für die meisten Streifen ernüchternd: Momentan fallen noch knapp 50 Prozent durch. Zwei kanadische Schauspielerinnen wollen das ändern.

Erstmals taucht der Bechdel-Test 1985 in einem Comicstrip von „Dykes to watch out for“ von Alison Bechdel auf. Nur rund 58 Prozent der 4500 Filme, die auf der Bechdel-Test-Website gelistet sind, bestehen den Test.

Imogen Grace, Drehbuchautorin und Schauspielerin, und Joella Crichton, ebenfalls Schauspielerin, konnten nicht glauben, dass so viele Filme durchfallen. Im vergangenen Frühling gründeten sie deshalb die Organisation Bechdel Bill — und wollen Drehbuchautoren und Regisseure dazu bringen, dass 80 Prozent ihrer Filme in Zukunft den Bechdel-Test bestehen. Am 18. September fand das Launch-Event statt und elf Regisseure und Filmorganisationen machten ihr Versprechen schon vor Ort. WIRED sprach mit Imogen Grace über ihre Organisation, ihre Erfahrungen mit dem Test und ihre Wünsche für die Zukunft des Films.

WIRED: Wie kam es zur Gründung der Bechdel Bill?
Imogen Grace: Die Idee dazu hatte ich diesen Frühling, als ich mit meinem Freund „Braveheart“ anschaute. Bis zu diesem Moment störte mich nur diffus etwas an Filmen, aber an diesem Abend habe ich mich zum ersten Mal gefragt: „Wo sind eigentlich all die Frauen? Was machen sie?“ Ich war nicht wütend, sondern eher neugierig. Ich wollte die Seite der Frauen in diesem Krieg sehen und ihre Geschichte kennenlernen.

WIRED: Hast du von dem Moment an auch andere Filme so bewertet?
Grace: Ja, ich stellte immer öfter fest: Das sind nicht die Frauen, die ich kenne. Das sind nicht die Unterhaltungen, die ich in meinem Leben führe. Ich habe mit meinem Freund viel über die Rolle und Darstellung der Frau in Filmen gesprochen und als ich ihm vom Bechdel Test erzählte, veränderte sich sein Blickwinkel auf unsere Diskussionen.

WIRED: Weil er die Fragen dann selbst für Filme beantworten musste?
Grace: Der Test ist sehr spezifisch und hat eine klare Aussage. Entweder der Test wurde bestanden oder nicht, er hat eine klare Struktur. Wir hatten viele Diskussionen, die einen moralischen Ursprung hatten, aber der Bechdel-Test vermittelt so eine eindeutige Aussage, die meinen Freund und auch andere Bekannte gar nicht mehr losließ. Daraufhin dachte ich, dass der Bechdel Test wirklich etwas sein könnte, dass eine Wirkung auf die Menschen hat. Seine Fragen als Regeln würden eine Veränderung zeigen, die man ganz klar und faktisch verfolgen kann.

WIRED: Dennoch ist er nicht gerade bekannt und wenige beantworten die Fragen für sich.
Grace: Oder schaffen es nicht, sie zu beantworten. Vor kurzem traf ich einen Regisseur, für den ich in der Vergangenheit gearbeitet habe. Er fragte mich nach der Bechdel Bill und wollte wissen, wie der Test funktioniert. Nachdem ich es ihm erklärt hatte, sagte er: „Ich kann nicht glauben, dass es so schwer ist ihn zu bestehen.“ Dann fragte er mich, ob ich ein Drehbuch schreiben könnte über einen Jungen und seinen Vater, die von Aliens verfolgt werden... Das war dann das perfekte Beispiel für einen Film, für den es schwer werden würde, den Bechdel-Test zu bestehen.

WIRED: Aber kann der Test überhaupt etwas verändern, wenn das grundlegende Verständnis für die Problematik fehlt?
Grace: Für uns geht es gar nicht darum, dass alle den Bechdel-Test bestehen. Wir wollen, dass sich Autoren und Regisseure neue Fragen stellen: Wie muss ich meine Filme verändern, damit er den Test besteht? Kann ich aus einem Hauptdarsteller eine Hauptdarstellerin machen? Muss ich eine weitere Thematik in den Fokus stellen oder eine neue Rolle schaffen?

WIRED: Und der Regisseur hat den Film auf Mutter, Tochter und Aliens angepasst?
Grace: Nein. Im Endeffekt habe ich mich gegen den Film entschieden, weil ich lieber etwas machen wollte für das ich mich wirklich begeistern kann.

WIRED: Na immerhin elf Regisseure haben das Versprechen zu eurem Launch abgegeben. Der Wille scheint bei einigen da zu sein.
Grace: Wir wollen mit den Leuten weiter arbeiten, die sich diese wichtigen Fragen während ihrem Produktionsprozess stellen und sie mit Workshops unterstützen. Wir wollen ihnen dabei helfen, den Bechdel Test zu bestehen und dabei immer noch die Geschichte erzählen, die sie lieben und die Charaktere zu erschaffen, die sie lieben. Die Frauen sollen ja auch einen sinnvollen Platz im Film bekommen und wir wollen den Filmemachern dabei kreativ unter die Arme greifen.

WIRED: Wer hat das Bechdel Bill-Versprechen eigentlich schon abgegeben?
Grace: Bisher haben elf Frauen und Organisationen das Versprechen abgelegt. Um mal ein paar davon zu nennen: Alysia Reiner von „Orange is the New Black“, Katie Boland aus „The Master“, die Assistentin des Produktionsmanagements von „Suits“ Natalie Urquhart, Co-Produzentin von „Orphan Black“ Mackenzie Grace Donaldson und die Organisation Women on Screen. Sie waren alle sehr begeistert von der Bechdel Bill, da es eben etwas ist auf das man hinarbeiten kann und wir uns bei niemandem beschweren wollen oder jemanden kritisieren wollen.

WIRED: Leider kein einziger Mann. Gibt es denn Regisseure, von denen du dir besonders wünschen würdest, dass sie das Bechdel-Bill-Versprechen ablegen?
Grace: Natürlich wäre ich besonders an Leuten interessiert, die sich am liebsten aus der Sache heraushalten würden. Die „Mission Impossibles“ dieser Welt, die den Bechdel-Test nicht im Geringsten auf dem Schirm haben. Allerdings fokussieren wir uns im Moment erst mal auf die goldene Mitte. Diese schließt Regisseure und Produzenten ein, die gerne ein Versprechen ablegen würden. Die aber vielleicht nicht wissen, wie und wo sie anfangen sollen. Das sind Menschen, die einen Unterschied machen können, weil sie an ihren Filmen wirklich etwas verändern müssen, um den Bechdel-Test zu bestehen. Dann könnte es tatsächlich passieren, dass Frauen genau den gleichen Platz einnehmen wie Männer. Auch wenn es natürlich schön ist, dass es Menschen gibt, die schon von sich aus das Versprechen ablegen oder Produktionsfirmen, die schon eine Weile ein Augenmerk auf die Rolle der Frau in ihren Filmen legen.


WIRED: Ist es Fehler der Regisseure oder einfach eine Gewohnheitssache, dass so viele Filme den Test nicht bestehen?
Grace: Ich glaube, darauf gibt es mehrere Antworten und ich kann nur meine Theorie äußern. Einerseits kommt es darauf an, wer die Geschichte schreibt und ob derjenige sich selbst als den Protagonisten sieht. Ein anderer Aspekt ist, dass wir alles über uns selbst durch Geschichten und Erzählungen lernen, weil wir uns mit ihnen identifizieren. Wenn wir uns also hinsetzen und eine Geschichte aufschreiben, wiederholen wir auf gewisse Weise das Bild, das sich durch andere Geschichten für uns geformt hat.

WIRED: Du meinst, wenn wir nur Geschichten von und über Männer lesen, werden wir auch nur noch solche Geschichten schreiben?
Grace: Es gibt einen tollen TED Talk von Chimamanda Ngozi Adichie aus Nigeria, in dem sie erzählt, dass sie als Kind nur britische und amerikanische Bücher las und als sie selbst anfing Geschichten zu schreiben, waren alle ihre Charaktere weiß, aßen Äpfel, spielten im Schnee und freuten sich, wenn die Sonne zum Vorschein kam. Sie war überzeugt davon, dass Bücher weiße, britische Charaktere haben müssten, dass einfach alle Bücher so waren. Ihr Vortrag zeigt perfekt, dass wir stets versuchen, eine Geschichte, die wir gehört haben, zu wiederholen. Deshalb muss der Detektiv ein Mann sein, deshalb muss der Rechtsanwalt ein Mann sein. Ich und viele andere weibliche Drehbuchautoren machen das ebenfalls, deshalb suche ich nun einen neuen Weg, Geschichten zu erzählen.

WIRED: Das klingt so, als wäre es noch ein langer Prozess bis es so weit ist, dass Frauen in „Männerrollen“ als natürlich empfunden werden.
Grace: Wir würden uns sehr wünschen, dass Filmemacher ihre Männercharaktere zu Frauen ändern. Dafür gibt es sogar schon ein paar nennenswerte Beispiele. So war Ripley aus „Alien“ ursprünglich für einen Mann geschrieben. Als dann aber Sigourney Weaver den Part bekam, musste nur das Pronomen von „Er“ zu „Sie“ geändert werden. Ein etwas neueres Beispiel ist „Our Brand is Crisis“, das Remake einer Dokumentation von 2005. Hier sollte eigentlich George Clooney die Hauptrolle spielen. Der Film wurde aber dann letztendlich für eine Frau, in diesem Fall Sandra Bullock, umgeschrieben.

WIRED: Die Beispiele scheinen aber eher Ausnahmen zu sein.
Grace: Es muss ja auch nicht immer direkt eine Hauptrolle sein. Angenommen man hat eine Polizeistation und macht 50 Prozent der Mannschaft weiblich und 50 männlich. Es geht einfach darum, unseren ersten „Instinkt“ zu überdenken und dagegen zu handeln. Das wird wohl die ersten Male unangenehm sein, aber es würde Leuten sofort auffallen und ihnen zeigen, dass es auch anders geht. Ich denke, es braucht einmal jemanden, der sich traut und die Rollenverteilung ändert. Unser großer Wunsch wäre, dass aus der Bechdel Bill eine Bewegung wird. So wie „Going green“ eine Bewegung ist und Menschen zusammen finden, die auf die Umwelt achten wollen und umweltfreundliche Produkte kaufen möchten. Die Bechdel Bill soll etwas werden, womit sich die Leute identifizieren möchten. 

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