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Der „Chief Doodler“: Ryan Germick steckt hinter Googles Multimedia-Logos

von Lars Gaede
Wenn sich das Google-Logo auf der Website in eine animierte Blumenwiese verwandelt, in einen Schwarzweiß-Film oder in ein Arcade-Game, bei dem man einen berittenen Postboten durch die Prairie steuert, dann hatte Ryan Germick mal wieder eine Idee. Der „Chief Doodler“ entwirft gemeinsam mit zehn Illustratoren, vier Programmierern und zwei Projektmanagern mehr als 400 Google Doodles im Jahr. Wie läuft das ab?

WIRED: Charlie-Chaplin-Stummfilme, in denen selbst sie als Polizist den Knüppel schwingen, japanische Telegymnastik-Videos oder psychedelische Ölgemälde. Sagen Sie, wie genau kommen sie eigentlich auf die Ideen für ihre Doodles? Muss man sich da Sorgen machen?
Ryan Germick: Ach! Wir sind einfach nur fleißig. Sobald wir wissen, dass wir zu einem bestimmten Anlass oder zu irgendeiner besonderen Persönlichkeit ein Doodle machen wollen, recherchieren wir erstmal wahnsinnig viel, um herauszufinden: Welcher Stil, welche Idee, welches Format wird dem Thema am ehesten gerecht?

WIRED: Lassen sie mich raten: Sie googlen dann ein bisschen rum.
Ryan Germick: Nicht nur! Wir lesen tatsächlich auch mal ein paar Bücher zu dem Thema, schauen uns Filme an oder laden Experten ein. Manchmal sprechen wir auch Leute an, die die historische Figur, um die es gehen soll, noch persönlich erlebt haben. Dabei passieren dann oft die schönsten Sachen.

WIRED: Zum Beispiel?
Germick: Nachdem wir schon monatelang an dem Moog-Synthesizer-Doodle arbeiteten, hatte ich einmal Michelle Moog am Telefon — die Tochter des Erfinders. Wir versuchten, eine Videokonferenz in Gang zu bekommen. Dabei spielte ich nebenbei auf unserem Synthie-Doodle herum. Als sie das hörte, wurde sie plötzlich ganz still und sagte: Das klingt wie meine Kindheit! Das war für uns natürlich das Größte.

WIRED: Der 246. Geburtstag von Iwan Andrejewitsch Krylow, der 86. Jahrestag der ersten Calisthenics-Radiosendung in Japan, der polnische Tag der Großmutter — viele Doodle-Anlässe sind eher speziell.
Germick: Das stimmt. Auf die meisten würden wir auch nie selbst kommen. Wir haben aber ja das Glück, in einem sehr internationalen Unternehmen zu arbeiten. In jedem Google-Büro auf der ganzen Welt gibt es so etwas wie einen Doodle-Beauftragten. Der fragt unter den Kollegen herum und sammelt Ideen. Das ist total essenziell. Denn gerade die sehr speziellen, sehr lokalen Doodles sind oft die besten. Die ganzen verückten Feiertage, die Geburtstage der lokalen Berühmtheiten. Als Miroslav Klose letztes Jahr Ronaldo als WM-Rekordtorschützen ablöste, hatten wir das auch nur dank der deutschen Kollegen auf dem Schirm. Wir haben dann in Kalifornien das Spiel live angeschaut, um unser Klose-Doodle hochzufahren, sobald er ein Tor schießt.

Wir überlegen und schieben herum — ungefähr so wie mit Lehm und Holz bei Siedler von Catan.

WIRED: Manche Doodles sind überall auf der Welt zu sehen, manche nur in einem Land. Wie behalten sie bei mehr als 400 Stück im Jahr eigentlich den Überblick, welchen Tag sie wo als Doodle umsetzen wollen?
Germick: Wir haben ein sehr ausgefuchstes, streng organisiertes Tabellensystem. Die deutschen Kollegen wären sicher stolz auf uns! Da tragen wir die langfristigen Projekte ein, an denen wir monatelang arbeiten: die Spiele, die Filme, die interaktiven Doodles. Dann die Ressourcen unseres Teams – eingeteilt in Halbtages-Einheiten. Und dann entscheiden wir, welche Doodles wir sonst noch machen wollen und wo. Da wird ständig überlegt und herumgeschoben — ungefähr so wie mit Lehm und Holz bei „Siedler von Catan“, wenn man unbedingt noch diese eine Straße bauen will.

WIRED: Was ist eigentlich der Zweck der Doodles? Das allererste war ja eigentlich eine Out-of-Office-Nachricht.
Germick: Richtig. Als die Google-Gründer Larry Page and Sergey Brin 1998 auf das Burning Man Festival fuhren, hinterließen sie ein brennendes Männchen hinter dem Logo, um den Usern zu zeigen, dass sie mal ein paar Tage feiern sind. Falls irgendetwas nicht funktionierte, sollten die User wissen: Keine Sorge, wir kümmern uns drum, wenn wir wieder da sind.

Das Doodle verleiht das unserer Technologie ein wenig Humanität.

WIRED: Und heute?
Germick: Heute nutzen wir Doodles, um mit den Nutzern in Verbindung zu treten. Wenn man Technologie zu tun hat, ist das ja oft eher eine kühle, technische Erfahrung. Wenn man auf Googles Website geht und sieht, dass da etwas von menschlicher Hand hingebastelt wurde, dann verleiht das unserer Technologie ein wenig Humanität. Das ist natürlich gut. Ausserdem sind die Doodles auch als Dankeschön gedacht für die Leute, die auf die Seite kommen. Wir wissen natürlich, dass die meisten auf die Seite gehen, weil sie wissen wollen, ob das Wetter morgen schlecht ist oder ihr Hautausschlag ansteckend ist — und nicht, um sich das neueste Doodle anzusehen. Wenn sich aber jemand mal eine Sekunde Zeit nimmt und hinschaut, wollen wir ihm auch was bieten! Ihn überraschen! Dass Google einen Haufen Weirdos mit seinem Logo herumspielen lässt, ist natürlich super. Und typisch für die Kultur im Unternehmen. So ein Risiko gehen nicht viele Firmen ein.

WIRED: Wird das, was Sie da machen nicht jedes Mal von ganz oben abgesegnet?
Germick: Nein. Also gar nicht.

WIRED: Ist ein Doodle schon mal richtig schiefgegangen?
Germick: Meistens kriegen wir die schlimmsten Fehler noch mit, bevor wir online gehen. Wir haben ja Teambesprechungen und Leute in den jeweiligen Ländern, die sich das auch nochmal anschauen können. Aber klar, es passieren Fehler: Wir haben manche Doodles schon an falschen Tagen gelauncht. Es gab auch mal ein Doodle zur Entschlüsselung der DNA — eine Illustration der Doppelhelix. Die sah auf den ersten Blick ganz gut aus, aber wenn man genau hinschaute, machte es überhaupt keinen Sinn, wie die Stränge angeordnet waren. Da mussten wir dann schnell noch nachbessern. Manchmal gibt es auch unschöne Doppelbelegungen an einem Tag. Zu den London Olympics 2012 haben wir ein Speerwerfer-Doodle gemacht. Aber es war auch der der Tag, an dem die Marssonde Rover landete. Für ein nerdiges Unternehmen wie Google natürlich ein unverzichtbares Datum! Wir wussten erst nicht, was wir machen sollen. Dann haben wir einfach das Luftschiff im Hintergrund des Speerwerfers durch die Roversonde ersetzt. Die schwebte dann über dem Stadium.

WIRED: Zu den olympischen Spielen Sotschi haben sie ein Doodle in Regenbogenfarben gebracht. Sind Doodles auch ein politisches Tool?
Germick: Eigentlich nicht. Doodles sind einfach kein besonders nuanciertes Medium. Viele politische Themen sind zu kompliziert, um sie in einer kleinen Zeichnung darzustellen. Aber manche Themen sind so eindeutig klar für uns, dass wir eine Ausnahme machen. Dazu gehörten die LGBT-Rechte in Russland. Wir wollten die Sotschi-Spiele feiern, weil wir die olympische Idee an sich toll finden. Gleichzeitig waren wir aber verstört darüber, welche Diskriminierung in dem Land stattfindet. Deshalb zeigten wir die olympischen Athleten vor dem Regenbogenhintergrund. Wir wollten klar machen, dass jeder Teil der Spiele sein können sollte, unabhängig von der sexuellen Orientierung. In den USA haben wir auch einmal ein politisches Doodle zu SOPA gemacht. Das war ein Gesetzesentwurf, der aus Googles Sicht die Freiheit des Netzes massiv beschränkt hätte. Also haben wir an dem entsprechenden Tag das Logo geschwärzt.

WIRED: Was sind die seltsamsten Ideen aus den lokalen Büros, die sie bisher abgelehnt haben?
Germick: Das Problem sind gar nicht die seltsamen Ideen! Wir lehnen eher die ab, die zu langweilig sind. Zu den seltsamen, die ich total liebe, gehört zum Beispiel Mumufuke Ando, der Erfinder der Instantnudel. Den wollten wir erst ablehnen. Aber dann merkten wir: Das ist tatsächlich ein total interessanter Typ! Der hat diese Nudeln erfunden, weil er eine Möglichkeit suchte, wie man Bedürftige schnell und gut mit Nahrung versorgen kann. Er hat außerdem die Weltraumnudeln entwickelt und die Struktur von Nudeln im Labor untersucht und herausgefunden, dass es beim Tempo des Kochprozesses darauf ankommt, wie viel Luft sich dabei zwischen den Nudeln befindet. Ein verrückter Nudelnerd! Perfekt! Ausserdem schön: türkisches Öl-Wrestling. Ich musste damals für unsere Illustratorin im Büro die Ringerposen modeln, damit sie die abzeichnen kann. Sie sehen: Wir sind offen für alles. Nur ab und zu müssen wir wirklich Härte zeigen und Ideen abschmettern.

WIRED: Zum Beispiel?
Germick: Naja, nach der WM wollten die deutschen Kollegen mindestens 7000 verschiedene Worldcup-Doodles. Da mussten wir irgendwann bremsen. Wenn es nach den deutschen Kollegen ginge, würden wir sonst heute noch täglich Worldcup-Doodles zeigen. 

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