Hinweis zu Affiliate-Links: Alle Produkte werden von der Redaktion unabhängig ausgewählt. Im Falle eines Kaufs des Produkts nach Klick auf den Link erhalten wir ggf. eine Provision.

„Unravel“: Martin Sahlin entwickelt ein Spiel über rotes Garn und die Liebe

von Oliver Klatt
Während viele Videospiele ihre Anziehungskraft aus Kampf und Konflikt schöpfen, will das schwedische Studio Coldwood Interactivedie Gamerherzen mit einem zarten Game über die Liebe erobern. Erste Reaktionen zeigen: Das könnte klappen.

Trotz „Star Wars: Battlefront“, „Fifa“ und anderen Überspielen: Bei der Pressekonferenz von Electronic Arts auf der Spielemesse E3 war es in diesem Jahr ein kleines Game aus Schweden, das allen die Schau stahl. Als Entwickler Martin Sahlin mit zitternden Händen und stockender Stimme seinen Puzzle-Platformer „Unravel“ und dessen Hauptfigur Yarny, eine kleine rote Puppe aus Garn, der Weltöffentlichkeit vorstellte, geriet das Social Web komplett aus dem Häuschen. Liebeserklärungen an den „Yarn Man“ und gezeichnete Portraits machten die Runde, bei Tumblr und Twitter fingen die Menschen an, massenweise Fan Art und Fotos von selbstgebastelten Yarny-Puppen hochzuladen.

Auch auf der Gamescom in der vergangenen Woche konnte Sahlin das Publikum für sein Spiel begeisterten. WIRED traf den von drei Tagen Messewahnsinn sichtlich erschöpften Game-Designer zum Interview. Es wurde ein Gespräch über hohe Erwartungen, das Dasein als Internet-Meme und Liebe im Videospiel.

WIRED: Erzähl mal, wie fühlt man sich als „Yarn Man“?
Martin Sahlin: Schwer zu beschreiben. Ziemlich surreal, würde ich sagen. Weil meine Person, und das was ich von mir gebe, eigentlich gar keine Rolle spielt. Alles was wichtig ist, sind die Erlebnisse, die Menschen mit unserem Spiel gemacht haben — und das, was sie empfinden, wenn sie damit fertig sind. Nichts macht mich glücklicher, als das Lächeln auf den Gesichtern von Leuten zu sehen, die zum ersten Mal „Unravel“ gespielt haben.

WIRED: Fünf Minuten vor der E3-Pressekonferenz warst du nur einer von vielen Entwicklern aus Schweden. Fünf Minuten danach warst du ein Meme.
Sahlin: Ja, das war sehr seltsam. Am Abend nach der Pressekonferenz saß ich nur still und mit glasigen Augen da, während auf meinem iPad all diese netten Sachen auftauchten, die Menschen zu „Unravel“ schrieben. Ich weiß noch, das ich irgendwann ungläubig zu meinen Kollegen sagte: „Die zeichnen Fan Art von mir!“ Ganz egal, wie sehr du von dem, was du machst, überzeugt bist: Nichts kann dich auf so etwas vorbereiten. Aber es wäre mir lieber gewesen, wenn es weniger Zeichnungen von mir und stattdessen mehr Bilder von Yarny gegeben hätte.

WIRED: An den leidenschaftlichen Reaktionen wird deutlich, dass viele Gamer an all den Fortsetzungen und Mainstream-Games etwas vermissen. Von „Unravel“ erhoffen sie sich offenbar genau dieses gewisse Etwas. Wie siehst du das?
Sahlin: Ich würde nicht unbedingt sagen, dass anderen Spielen etwas fehlt. Als ich eine Zeit lang in einem sehr langweiligen Bürojob gearbeitet habe, musste ich abends zum Beispiel immer erst eine Stunde „Jedi Knight“ spielen, um wieder zu einem normalen Menschen zu werden. Manchmal braucht man solche Spiele. Aber Games könnten so viel mehr sein! Das Medium bietet sehr viel Raum für viele unterschiedliche Erfahrungen. Man kann Menschen über Games auf vielfältige Art und Weise berühren. Es wäre schade, wenn niemand das ausnutzen würde. Darum machen wir „Unravel“.

Heute ist es viel leichter, ein Publikum zu erreichen — also gibt es auch viel mehr interessante Spiele.

WIRED: Du hast gesagt, „Unravel“ sei ein Spiel über die Liebe. Ist es schwierig, so ein Game zu machen?
Sahlin: Es ist nicht ganz leicht, weil beim Thema Liebe immer die Gefahr besteht, sich in Sentimentalitäten zu verlieren. Es erfordert eine gewissen Vorsicht. Subtilität war bisher aber nicht gerade eine Stärke von Videospielen. Bei „Unravel“ versuchen wir, das über Yarny zu erreichen. Wir möchten, dass die Menschen am Schicksal dieser Figur Anteil nehmen und mit ihr fühlen. Erst wenn man diese Nähe spürt, beginnt man als Spieler über die anderen, symbolischen Aspekte des Spiels nachzudenken: Etwa über den roten Faden, der sich von Yarny abwickelt und alles im Spiel miteinander verbindet. Ich sehe mehr und mehr Games, die sich an solche Themen heranwagen. Das liegt auch daran, dass die Grenze zwischen Game-Designer und Gamer so durchlässig geworden ist. Früher musste man mit seinen Spielen im Gameshop landen. Bis dahin musste man viele Hürden nehmen. Heute ist es viel leichter, ein Publikum zu erreichen — also gibt es auch viel mehr interessante Spiele.

WIRED: Was ist dein Lieblingsspiel zum Thema Liebe?
Sahlin:Shadow of the Colossus“ ist ein gutes Beispiel. Darin geht es um eine Liebe, die tragische Konsequenzen nach sich zieht, also eher eine bittersüße Erfahrung. Man muss all diese wunderschönen Kreaturen töten und fühlt sich zunehmend schlecht dabei. Außerdem fällt mir noch „Journey“ ein. Ich verliebe mich normalerweise dann in ein Spiel, wenn es jene eine Sache, die für das Erlebnis am wichtigsten ist, richtig hinbekommt. Bei „Journey“ ist das die Art, sich zu bewegen. Über Hügel zu gleiten und gerade genug Schwung zu sammeln, um über den nächsten zu hüpfen. Das fühlt sich einfach gut an. Diesen Fluss in der Bewegung versuchen wir mit „Unravel“ auch zu erreichen. Es ist diese Form von Anmut, die mir an einem Videospiel besonders wichtig ist.

WIRED: Ästhetisch liegt ihr mit „Unravel“ auf jeden Fall im Trend. Immer mehr Spiele versuchen sich an einen handgemachten Look. „Little Big Planet“, zum Beispiel, aber auch „Yoshi‘s Woolly World“ oder „The Dream Machine“. Was ist so reizvoll daran?
Sahlin: Wenn etwas derart real und körperlich wirkt, suggeriert das eine gewisse Freundlichkeit und Zugänglichkeit. Man hat beinahe das Gefühl, als bräuchte man nur die Hand auszustrecken, um es zu berühren. Ich verstehe sehr gut, warum auch andere Entwickler diese Ästhetik einsetzten. Tatsächlich ging es mir bei „Unravel“ aber mehr um die symbolische Bedeutung des roten Fadens, der sich wie ein Band des Schicksals durch das Spiel zieht.

WIRED: Hast du die Sorge, dass ein Spiel wie „Unravel“ in den Zahnrädern der Videospielindustrie Schaden nehmen könnte? Immerhin seid ihr jetzt Teil von Electronic Arts, einem Unternehmen, dass sich in der Vergangenheit nicht gerade durch Fingerspitzengefühl hervorgetan hat.
Sahlin: Ich höre das öfter, teile diese Angst aber nicht. EA muss unser Spiel nicht veröffentlichen. Die brauchen kein „Unravel“. Sie haben „Fifa“ und „Star Wars“. EA machen das nicht in erster Linie aus finanziellem Interesse, sondern weil ihnen unser Spiel gefällt. Als wir ihnen „Unravel“ das erste Mal vorgestellt haben, schlug uns echte Leidenschaft entgegen. Niemand versucht, das Spiel in etwas anderes umzuformen. Bei EA weiß man genau, warum „Unravel“ funktioniert: Weil es unser Baby ist.

Unravel“ soll im kommenden Jahr für PC, Playstation 4 und Xbox One erscheinen. 

GQ Empfiehlt