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Clean and healthy auf Instagram: Wohnst du noch oder putzt du schon?

von bento
Du hast alle deine Instagram-Fotos vor einem weißen Hintergrund geschossen? Du isst morgens am liebsten Avocado im Bett und postest dein Frühstückserlebnis unter dem Hashtag #foodheaven? Herzlichen Glückwunsch, dein ästhetisches Empfinden entspricht den gängigen Standards der diesjährigen Mainstream-Polizei, kommentiert Bianca Xenia Mayer von bento.

2016, da hört das Aufräumen und Instandhalten des eigenen Lebens schon lange nicht mehr bei einem sauberen Badezimmerfußboden auf. Hutschächtelchen werden kunstvoll auf Kuhteppichen platziert, auf dem Hay-Tisch liegt die neue Vogue – Ein „cleaner“ Insta-Account ist mittlerweile Voraussetzung für einen Mietvertrag in einer gut gelegenen Altbau-Wohnung.

Filter haben auf Instagram ebenso wenig verloren wie leer gegessene Teller, angetrocknete Milchreste oder andere Spuren, die auf die weniger sterilen Seiten des Mensch-Seins verweisen könnten. Also auf tatsächliches Leben.

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Das Eigenheim, es kommt straight aus dem aktuellen Made-Katalog, Putzen ist das neue Kochen und die Tulpen, sie stecken genauso wie bei deinen edgy Freundinnen hübsch arrangiert in halbvollen Glasvasen. Tassen haben alle dieselbe Farbe, Souvenirs aus dem letzten Urlaub sieht man nirgends. Die eigene Wohnung, sie muss zuerst von allen peinlichen Kindheitserinnerungen und Abschlussfotos bereinigt werden, bevor man das, was vom eigenen Leben übrig bleibt, ins Internet stellt.

Aktuell erlebt das arrangierte Spießertum auf Instagram eine Renaissance. 22-Jährige kleiden sich wie ihre Mütter, die am liebsten bei COS einkaufen. Die jungen Frauen lieben Männer mit spärlich ausgeprägtem Schnurrbärten, deren Outfits optisch zum Sofa passen.

Das einheitliche Farb-Schema der zum todernsten Lifestyle passenden Instagram-Beiträge funktioniert nach einem ungeschriebenen Gesetz: Grau ist erlaubt, schwarz und weiß sowieso. Kontrast, Helligkeit und Struktur können bei Bedarf ein wenig nach oben geschraubt werden.

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Das gute Leben, es besteht aus ordentlich gefalteten Socken mit Punkten, Löffeln auf zerknautschen Bettlaken, eingelegten Auberginen auf selbstgebackenen Brötchen, die man auf schicken Magazinen wie EUX und The Gentlewoman platziert. Zum Frühstück gibt es Chia-Samen, Naturjoghurt, Erdbeeren mit einer Prise Honig. Jeden Tag.

Persönliche Erlebnisse, aber auch der eigene Lebensstil, wird zunehmend unter ästhetischen Gesichtspunkten wahrgenommen und inszeniert. Es scheint, als ob die individualistische Ausgestaltung des eigenen Lebens – auch mit Mitteln des Konsums – für die Betreiber eines „cleanen“ Instagram-Accounts an oberster Stelle stünde.

„Erlebe dein Leben“ wird zum bestimmenden Handlungsimperativ. Gelächelt wird selten, gelacht nie. Der Mund ist lasziv geöffnet, der geübte Internetnutzer kennt diese Pose bereits, sie heißt Fishgape und hat vor nicht allzu langer Zeit das mittlerweile belächelte Duckface abgelöst.

Wie schon Bourdieu in den verborgenen Mechanismen der Macht schreibt: Geschmack ist ein Indiz für Klasse. Die Verwertbarkeit des familiär erworbenen kulturellen Kapitals wird bis aufs Letzte ausgeschlachtet und zur Schau gestellt. Vitra-Sessel in Vorzimmern festigen den Habitus.

#LessIsMore lautet der Schlachtruf der vom Konsum gelangweilten Konsumierenden, sie sind #Architecturelovers – und wirken politisch wenig interessiert. Lieber fotografieren sie das vegane Eis, kurz bevor es schmilzt – und richten sich für die adretten Outfitfotos ein eigenes Homestudio mit passenden Leinwänden ein.

 

FRIYAY!| #architecture #friday #blackwhite

Ein von Photography|Artwork|Fashion (@ruenouvelle) gepostetes Foto am 11. Mär 2016 um 11:08 Uhr

Die „Erlebnisgesellschaft“, wie sie schon der Soziologe Gerhard Schulze definierte, bezeichnet vereinfacht eine Gesellschaft, in der der Einzelne egoistisch auf das Erreichen von möglichst viel Genuss konzentriert ist. Und wenn es sich dabei um Eiscreme, Filmuntersetzer und Möbel vom Flohmarkt handelt.

War es nicht irgendwann erstrebenswert, individuell zu sein – statt spießiger als die eigenen Eltern? Wer auf die Straße geht, macht sich zwangsläufig schmutzig. Genau das fehlt den "cleanen" Instagram Accounts. Sie scheinen wie ein verzweifelter Versuch, ein wenig selbstgerechte Ordnung in eine komplexe Welt zu bringen, in der niemandes Platz gesichert ist.

„Clean“ leben, das zeugt eben nicht nur von Geschmack, ästhetischem Empfinden und Selfie-Perfektionismus, sondern auch von einem gewissen neurotischen Zwang zur Sauberkeit, Ordentlichkeit – als ob darin die Antwort auf eine unbeständige Welt läge.

Dieser Artikel ist zuerst bei bento erschienen. Das Original findet ihr hier

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