Seit der hitzigen Diskussion um die Darstellung von Frauen in Comics und Computerspielen, seit #Gamergate und Marvels Versuch, seinen weiblichen Superhelden „Thor“ zu promoten. Seitdem fordert Blumberg vor seinen Studenten, in Podcasts und gegenüber Journalisten immer wieder: „Marvel muss so bald wie möglich einen Film mit weiblicher Hauptrolle veröffentlichen. Comic-Adaptionen sind noch immer weiß und männlich.“ Es gebe zwar weibliche Heldinnen, sie seien aber immer nur Teil eines Ensembles, Sidekicks der Haupthelden oder Nebenrollen. Blumberg ist der Überzeugung, das muss sich ändern. Der Dozent für die Vorlesung: „Media Genres: Media Marvel“ an der Universität von Baltimore hoffte auf die nahe Zukunft.
Dann schaffte Marvel, was dem Unternehmen sonst nur in Comics gelingt: Es überraschte den Historiker und Comic-Verteranen. Nur Stunden nach seinem letzten Interview, in dem er die „Debatte als solche“ um weibliche Hauptrollen begrüßte und Veränderung auch für die Filme verlangte, schien Marvel ihn gehört zu haben: Im Juli 2018 bringt der Konzern die erste Verfilmung eines Superheldencomics mit weiblicher Hauptrolle: Captain Marvel.
Die Superheldin tauchte in der Geschichte des Marvel-Universums immer wieder auf. Ihr Alter-Ego, Carol Danvers, ist eine frühere Air-Force Pilotin, CIA- und S.H.I.E.L.D.-Agentin. Ihre Kräfte sind eher mit denen von DCs Superman vergleichbar, als mit denen klassischer Marvel-Helden wie Iron Man, Hulk oder Spider-Man. Captain Marvel kann fliegen, hat übermenschlich viel Kraft und schießt Energiesalven aus ihren Händen. Außerdem hat sie stark erweiterte Sinne, die im Comic als „siebter Sinn“ beschrieben werden.
Marvel-Filme wirken wie ein Spiegel für die Gesellschaft.
„Wenn Marvel einen Film herausbringt, dann verlangt das Publikum im Grunde immer die selbe Geschichte: Gut gegen Böse. Sie muss aber in einer Weise erzählt werden, die dem momentanen Zeitgeist entspricht“, erklärt Blumberg. Mit Captain Marvel könne das Unternehmen das schaffen, genauso wie mit einer zweiten spannenden Ankündigung: Im November 2017 soll ein Film mit „Black Panther“ in die Kinos kommen, dem ersten schwarzen Comic-Superhelden.
Erst letzte Woche hatte der geleakte Trailer zu Marvels neuem „Avengers“-Sequel „Age of Ultron“ Schlagzeilen gemacht. Der kam düster daher und führte mit Ultron einen altbekannten Antagonisten aus der Comicvorlage ein. „Auch dieser Trailer zeigt, wie Marvel auf den Zeitgeist reagiert“, erklärt Blumberg. „Das Auffälligste ist eindeutig der zerbrochene Schild von Captain America. Das ist so ziemlich das schlimmste Symbol für den Verfall von Werten, das in einem Marvel-Film auftauchen kann.“ Nicht nur komme die Bedrohung im neuen Avengers aus dem Inneren der Heldengruppe, der ebenfalls zu sehende Kampf von Hulk gegen Ironman zeige auch, wie Unsicherheiten und Konflikte in modernen Gesellschaften zu Entzweiung und Misstrauen führten. „In all diesen sozialen Fragen wirken Marvel-Filme wie ein Spiegel für die Gesellschaft“, so der Pop-Historiker.
Das Unternehmen schafft eine moderne Film-Kultur für Fantasy- und Scifi-Filme. Es spannt im Kino riesige ausdifferenzierte Universen auf, die sich auch über soziale Konflikte definieren. Ein Beispiel, dem viele folgen. „Man nennt diese Art des Filmemachens schon das Marvel-Modell“, sagt Blumberg. Filme also, die ihre Charaktere, ihre Geschichte und Probleme über zahlreiche Kino-Episoden hinweg entwickeln.
Andere hinken nur hinterher: „Bei DC hat man, abgesehen von Batman, erst sehr spät erkannt, dass die Superhelden nicht einfach als Übermenschen dargestellt werden sollten. Ihre persönlichen Probleme und der Soziale Kontext sind Teil des Erfolgsrezepts eines Films.“ Immerhin bei der Frage der Gleichstellung hat aber auch Marvels Konkurrenz dazugelernt: DC hat eine eigene Verfilmung mit weiblicher Hauptheldin angekündigt. „Wonder Woman“ kommt 2017 in die Kinos. Sowohl Marvel als auch DC müssen dann allerdings immernoch zeigen, ob ihre Heldinnen und Helden auch ohne nervige Gender-Klischees auskommen.