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Verschlüsselung verbieten? Warum David Camerons Plan dumm und gefährlich ist

von Henning Lahmann
Großbritanniens Premier David Cameron will, dass verschlüsselte Kommunikation im Internet in seinem Land künftig verboten ist. Die Forderung ist zwar wenig überraschend und technisch schwer umsetzbar — aber trotzdem gefährlich.

Es ist inzwischen eine wohlbekannte Routine: In irgendeiner westlichen Metropole werden Menschen bei einem Terroranschlag getötet und in den Hauptstädten der Nachbarländer rufen Politiker sofort reflexhaft nach schärferen Gesetzen. Um nur ja nicht untätig zu wirken, fordern sie neue Sicherheitsregeln, die die Pläne der Terroristen angeblich ganz bestimmt vereitelt hätten, wären sie doch bloß schon vorher in Kraft gewesen. In Wahrheit kommt natürlich aber nur das auf den Tisch, was ohnehin schon lange auf den Wunschzetteln der Innenpolitiker stand.

In kaum einem anderen westlichen Land sind die klassischen Bürgerrechte heute schwächer als in Großbritannien.

So auch diesmal. Nach den Anschlägen von Paris in der vergangenen Woche und ein paar Tagen taktvoller Trauer kramte man in Deutschland die eigentlich erledigt geglaubte Debatte um die Vorratsdatenspeicherung wieder hervor. Und in London ging David Cameron noch einen Schritt weiter: Um Terrorverdächtigen die Möglichkeit zu nehmen, im Netz unbeobachtet miteinander in Kontakt zu treten, dürfe es keinerlei verschlüsselte Kommunikation mehr geben, die die Sicherheitsbehörden nicht mitlesen können. Werden WhatsApp, iMessage und Co. also bald auf der Insel verboten?

Im Vereinigten Königreich ist man stolz auf die lange Geschichte bürgerlicher Freiheiten. Die Magna Carta, das Urdokument der Einhegung absoluter Herrschaft, feiert in diesem Jahr ihren 800. Geburtstag. Eine beeindruckende Tradition, die jedoch nur noch notdürftig verdecken kann, dass die klassischen Bürgerrechte inzwischen in kaum einem westlichen Land schwächer ausgeprägt sind als in Großbritannien. Die Eingriffe sind allgegenwärtig, sie reichen von der nahezu vollständigen Überwachung des öffentlichen Raums mit CCTV bis hin zu erschreckend schamlosen Verletzungen der Pressefreiheit.

Nicht ohne Grund publiziert der Londoner Guardian neue Leaks des Whistleblowers Edward Snowden nur noch über sein New Yorker Büro. Schließlich könnten sonst ja wieder ein paar Geheimdienstmitarbeiter in den Redaktionsräumen auftauchen und die Mitarbeiter zwingen, mit Hämmern Laptops zu zertrümmern, auf deren Festplatten geheime Dokumente vermutet werden.

Um die Forderung durchzusetzen, müsste man allen Anbietern von Verschlüsselungs-Software den Vertrieb verbieten.

Dass der britische Geheimdienst GCHQ die Totalüberwachung des Datenverkehrs im Internet noch exzessiver betreibt als die amerikanische NSA, ist nun schon seit mehr als einem Jahr bekannt. Camerons Forderung, die so abgefischten Daten sollten doch bitte auch lesbar sein, erscheint daher fast konsequent. Der Human Rights Act von 1998, der die Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention — zu denen auch das Telekommunikationsgeheimnis gehört — in Großbritannien zum unmittelbar anwendbaren Recht erklärt, sollte solche staatlichen Übergriffe eigentlich verhindern.

Möglicherweise auch deshalb haben die Tories nun schon einmal vorsorglich angekündigt, im Falle eines Sieges bei den kommenden Parlamentswahlen im Mai einen Gesetzentwurf mit dem durchaus vielsagenden Titel „British Bill of Rights and Responsibilities“ einzubringen. Mit dem Ziel, den Human Rights Act aufzuheben und gerichtlich durchsetzbare Garantien künftig auf „wirklich ernsthafte Fälle“ von Eingriffen in Bürgerrechte zu beschränken. Und es spricht wenig dafür, dass Camerons Partei die vollständige Überwachung von gezwungenermaßen unverschlüsselter Telekommunikation — wie der Premier sie nun fordert — als einen solchen Fall betrachtet.

Bliebe natürlich die Frage, wie das Vorhaben überhaupt technisch durchführbar sein soll — ganz abgesehen davon, dass das Verbot jeglicher Verschlüsselungstechniken es nicht nur den staatlichen Sicherheitsbehörden ermöglichen würde, sämtliche über das Internet abgewickelte Kommunikation mitzulesen, sondern auch Kriminellen, die ganz andere Interessen an den  Inhalten haben. Um die Maßnahme durchzusetzen, müsste man allen Dienstleistern, die verschlüsselte Datenübertragung anbieten, in Großbritannien den Vertrieb ihrer Software verbieten. Warum aber sollten sich Konzerne wie Apple und Facebook, mit ihren Produkten iMessage und WhatsApp zwei der führenden Messenger-Anbieter, darauf einlassen? Und, müsste Google dann nicht auch Suchanfragen nach verschlüsselten Webdiensten unterdrücken, um nicht gegen britisches Recht zu verstoßen?

Wer wirklich etwas zu verbergen hat, wird weiter Möglichkeiten finden, der Überwachung zu entgehen.

Der Journalist Cory Doctorow hat zurecht darauf hingewiesen, dass all das eher nach China oder Iran klingt als nach einem freiheitlichen Rechtsstaat. Vor allem aber ist schon von vornherein klar, dass es fast nur „gewöhnliche“ Bürger sein werden, deren Kommunikation so in den Filtern des britischen Sicherheitsapparats landen wird. Jene hingegen, die wirklich etwas zu verbergen haben, werden auch in Zukunft technische Möglichkeiten finden, der Überwachung zu entgehen. Das vorgeschlagene Gesetz wird daran herzlich wenig ändern.

Aber warum überhaupt aufregen — handelt es sich nicht um ein spezifisch britisches Problem? Ja. Aber: Gerade was die Überwachung der Privatsphäre der eigenen Bürger angeht, hat sich das Vereinigte Königreich schon viel zu oft als sicherheitspolitische Avantgarde erwiesen. Und es ist ja nicht so, als würden Politiker hierzulande nicht auch ganz offen mit ihren Überwachungs-Gelüsten umgehen. Ex-Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich erklärte zum Beispiel vor ein paar Jahren die Möglichkeit anonymer Kommunikation im Netz in erster Linie zur Gefahrenquelle, die der Staat loswerden müsse.

Die Privatheit der Kommunikation betrifft die Selbstbestimmung des Einzelnen.

Als Erkenntnis bleibt stehen: Allein die Tatsache, dass es den Geheimdiensten bislang offenbar nicht gelungen ist, sämtliche verwendeten Verschlüsselungstechniken zu knacken, taugt derzeit noch als brüchige Garantie, dass privater Austausch auch wirklich privat bleiben kann. Und auch wenn es schon hundertmal betont wurde: Es sage bitte niemand, er habe nichts zu verbergen! „Wer nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen kann, welche ihn betreffende Informationen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt sind, und wer das Wissen möglicher Kommunikationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen vermag“, schrieb das Bundesverfassungsgericht schon 1983 in seiner Urteilsbegründung zur Volkszählung, „kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden, aus eigener Selbstbestimmung zu planen oder zu entscheiden.“

Die Privatheit der Kommunikation betrifft also die Freiheit der Selbstbestimmung des Einzelnen. Nie war diese Erkenntnis wichtiger als heute. Was im Vereinigten Königreich geschieht, sollten wir deshalb unbedingt im Auge behalten. 

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