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Ein persönlicher Kleinkrieg könnte Bitcoin von innen zerstören

von Dominik Schönleben
Schon Mitte letzten Jahres zeichnete sich die größte Katastrophe der Bitcoin-Geschichte ab: Sollte die Maximalkapazität für Transaktionen nicht angehoben werden, könnte das gesamte System unter dem eigenen Erfolg zusammenbrechen. Eine letzte Hoffnung gab es: Das Softwareupdate Bitcoin XT, doch dieses scheint jetzt endgültig gescheitert zu sein.

Mike Hearn gehörte einst zu den größten Befürwortern von Bitcoin. Der Softwareentwickler arbeitete hauptberuflich an der Verbesserung der Cryptowährung, auch wenn er nie zum innersten Kreis der Nachfolger des mysteriösen Bitcoin-Erfinders Satoshi Nakamoto gehörte, den sogenannte Core Maintainern. Doch Hearn hat aufgegeben: Sein letzter Versuch, die Währung zu retten, sei gescheitert, sagt er. Seine letzten Bitcoins hat Hearn verkauft. Denn er glaubt, dass sie bald nur noch einen Bruchteil wert sein werden.

„Wie viele Menschen werden glauben, dass Bitcoins hunderte von Dollar wert sind, wenn man bald nicht mehr mit ihnen einkaufen kann?“, fragt Hearn in einem Blogbeitrag bei Medium. Dort hatte er ausführlich dargelegt, warum für ihn das Experiment Bitcoins gescheitert ist, wenn es so weiter geht wie bisher. Bereits jetzt sei es schwierig und teuer geworden, Transaktionen durchzuführen. Ein Problem, dass sich in Zukunft nur verschlimmern werde.


Wie viele Menschen werden an Bitcoins glauben, wenn man bald nicht mehr mit ihnen einkaufen kann?

Mike Hearn

Verantwortlich dafür ist laut Hearn die begrenzte Größe der Bitcoin-Blocks — den Abschnitten, aus denen das globale Register, das digitale Kassenbuch aller Bitcoin-Transaktionen besteht. Seine Größe bestimmt unter anderem, wie viele Transaktionen pro Sekunde durchgeführt werden können. Bisher liegt das Limit in der Praxis bei drei pro Sekunde. Eine lächerlich kleine Zahl, für ein System, das den Anspruch hat eine globale, digitale Alternative zum Bargeld zu werden. Zum Vergleich: Das VISA-System kann bei hoher Belastung etwa 10.000 Transaktionen pro Sekunde durchführen.

Im August 2015 hatte Hearn noch prognostiziert, dass spätestens 2017 Transaktionen verloren gehen würden, oder das System zu langsam oder zu teuer werden würde. Doch es zeichnet sich ab: Schon jetzt ist es überlastet. Eine Lösung für das Problem gäbe es: Die Bitcoin-Blocks könnte vergrößert werden.

Acht Megabyte schlug Hearn als neue Größe vor. Zusammen mit Gavin Andresen, dem Chief Technical Officer der Bitcoin Foundation, hatte er eine Weiterentwicklung der Währung mit größeren Blocks geschrieben: BIP 101 (alle Details dazu findet ihr hier). Sollte diese Lösung implementiert werden, könnte danach auch Hearns fortschrittlicheres Bitcoin-Protokoll mit dem Namen XT zum Einsatz kommen.

Andresen und Hearn hatten im August 2015 die Bitcoin-Nutzer vor eine Urabstimmung gestellt — wenn 75 Prozent von ihnen den neuen Code verwenden, käme es zur Vergrößerung des Blocks. Wenn nicht, würde im Zweifelsfall einfach gar nichts passieren. Genau das ist nun eingetreten.


Nicht nur das ist für Hearn ein Grund, Bitcoin als gescheitert zu erklären. Das Hauptproblem sind für ihn die derzeitigen Core Maintainer, neben Gavin Andresen gibt es vier weitere Entwickler, die die Kontrolle über den Hauptcode von Bitcoin besitzen.

Andresen hatte sie damals mit an Bord gebracht, als er den Code vom Bitcoin-Erfinder Satoshi Nakamoto übernahm. Heute scheint er diesen Schritt zu bereuen. Denn eine Möglichkeit, diese anfangs eingesetzten Bitcoin-Oligarchen zu feuern oder neu zu wählen, wurde nie etabliert und liegt nicht mehr in deren Interesse.


75 Prozent der User müssten zum neuen Protokoll wechseln.

Drei der fünf derzeitigen Core Maintainer lehnen eine Vergrößerung des Blocks ab. Hearn argumentiert, dass dabei vor allem persönliche und finanzielle Interessen im Spiel seien. Die einzige Alternative wäre die erwähnte Urabstimmung gewesen. Wenn mehr als 75 Prozent der User zum neuen Protokoll gewechselt hätten, könnten sich auch die Core Maintainer nicht mehr querstellen.

Aber auch hier kamen dem Gemeinwohl die persönlichen Interessen Einzelner in die Quere. Große Unternehmer haben zu viel Einfluss auf das System gewonnen — eigentlich genau das, was eine dezentrale Währung hätte verhindern sollen. Zwei chinesische Bitcoin-Miner kontrollieren knapp 50 Prozent der für die Transaktionen verwendeten Rechenpower. Kommt es zu Engpässen, erhöhen sich die Gebühren für eine Transaktion, dieses fallen den Minern zu. Es war ein Mechanismus, der im ursprünglichen Protokoll eher als Rettungsanker gedacht war, damit das Netzwerk nicht zusammenbricht. Früher lagen diese Gebühren quasi bei null, mittlerweile erreichen sie fast die von Kreditkarten. Es liegt also nicht im Interesse der Miner die Blocks zu vergrößern.


Anstatt etwas Simples zu machen, haben sie sich entschieden etwas Kompliziertes zu tun.

Mike Hearn

Die Kontroverse um die Vergrößerung der Blocks hat die Bitcoin-Community in einen regelrechten Bürgerkrieg gestürzt. Der größte amerikanische Anbieter für Bitcoin-Konten Coinbase entschied sich etwa, Bitcoin XT zu unterstützen und wurde daraufhin auf der offiziellen Bitcoin-Seite geächtet und von unbekannten mit DDoS-Angriffen überzogen. Die Diskussion über Bitcoin XT oder die Vergrößerung des Blocks ist mittlerweile im offiziellen Bitcoin-Forum untersagt. 15 Prozent des Netzwerks hatten zeitweise für die Vergrößerung der Blocks gestimmt — doch wer auf das neue Protokoll umstieg, sah sich immer wieder Angriffen ausgesetzt oder wurde ausgegrenzt. Es ist ein Kampf, der das Bitcoin-System von innen zerstört.

Die Core Maintainer arbeiten derzeit an ihrer eigenen neuen Version von Bitcoin. Sie soll durch einige Tricks die Währung wieder stabiler machen. Die Block-Größe soll dabei aber nicht verändert werden. „Anstatt etwas Simples zu machen, haben sie sich entschieden etwas Kompliziertes zu tun, dass im besten Fall Monate rausholt“, kommentierte Hearn den Plan der Core Maintainer. Auch Andresen, der Nachfolger des Bitcoin-Erfinders, kritisiert den Ansatz. Die Folge des neuen Protokolls würden höhere Transaktionsgebühren und mehr Kontrolle von Einzelpersonen über das System sein. Auch das könnte im Interesse mächtiger Einzelpersonen stehen.

Unter der Unsicherheit über die Zukunft leidet auch der Bitcoin-Preis: Während er seit Oktober 2015 von knapp 250 Euro auf fast 450 Euro gestiegen war, fiel der Preis am 14. Januar — als Hearn seinen Beitrag veröffentlichte — auf fast 350 Euro und erholte sich seitdem nur leicht. Die Besitzer von Bitcoins sind unruhig, sie alle wissen, dass es zum Crash kommen könnte, wenn sich nichts ändert. Aber vielleicht ist es längst zu spät.

Am 28. April 2016 findet in Berlin die Konferenz WIRED Money statt. Mehr zum Thema digitales Geld findet ihr hier.


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