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Ist der Virtual-Reality-Hype gerechtfertigt? Vier Experten diskutieren ihre Erfahrungen

von Tim Rittmann
Ist Virtual Reality den Hype wirklich wert? Was kann die HTC Vive im Vergleich zu anderen VR-Brillen? Und ist die Motion Sickness wirklich so schlimm, wie alle sagen? Im WIRED-Gespräch diskutieren vier VR-Experten die drängendsten Fragen.

Die HTC Vive gilt als derzeit fortschrittlichste Virtual-Reality-Brille. Wir haben in Berlin vier Menschen getroffen, die beurteilen können, ob das stimmt: eine Gamedesignerin, einen Videojournalisten, einen VR-Berater und den Direktor des Indiegame-Festivals A MAZE. Sie alle haben die HTC Vive bereits ausgiebig getestet und diskutieren für WIRED über das Headset und das Thema Virtual Reality allgemein.

WIRED: Kennt Ihr das Video von dem kleinen Mädchen, das sich an einen Tisch anlehnt und hinfällt – weil der Tisch nur in der virtuellen Welt existiert, in der es sich gerade befindet?
Thomas Bedenk: Ja, kenne ich. Was dem Mädchen passiert, nennen Psychologen „Over-Learned Behaviour“. Das ist, wenn wir über eine Handlung nicht mehr nachdenken, weil sie automatisch geschieht, wie Türen öffnen oder Fahrradfahren. Und dann kann man sich in virtuellen Räumen eben wehtun, wenn der Tisch nicht echt ist. Das ist ein Grund dafür, warum sich PlayStation dazu entschieden hat, nur VR-Anwendungen anzubieten, bei denen man sitzt.
Julie Heyde: Auch bei der Oculus gilt inzwischen Safety First. Deswegen machen wir auch so gerne VR-Spiele für die Vive, da können wir tun, was wir wollen. Natürlich arbeiten wir daran, gefährliche Situationen konzeptionell zu vermeiden, aber die Spieler sollen von uns keine Limits bekommen, wir wollen keine Wii-Games machen.
Thorsten Wiedemann: Menschen werden so oder so beim Spielen in der Virtual Reality sterben. Das ist ziemlich sicher. Allein wegen der ganzen Horrorspiele, die gerade entwickelt werden. Wenn du etwa ein schwaches Herz hast, können Jump Scares fatal sein.
Martin Heller: Aber sind wir nicht eh dazu angehalten, positiven Content zu schaffen, der Menschen für die Virtual Reality begeistert, anstatt sie zu entfremden?
Heyde: Wir fanden es eine gewisse Zeit lang total lustig, Leuten beim ersten Erlebnis in der Virtual Reality ein bisschen Angst einzujagen. Aber wenn du jemandem die VRginity nimmst…

WIRED: VRginity?
Heyde: Ja, so nennen wir das. Auf jeden Fall haben wir schnell gemerkt, wie destruktiv so ein negatives erstes Erlebnis sein kann. Deswegen verzichten wir inzwischen auf Horror-Entjungferungen oder darauf, jemandem absichtlich einen Kotz-Simulator aufzusetzen.

WIRED: Sind denn alle Menschen anfällig für Motion Sickness?
Bedenk: Nein, etwa die Hälfte ist immun, denen wird auch beim Autofahren nicht schlecht. Für ein Drittel kann die harmlose Achterbahnfahrt aber zur Kotzmaschine werden. Das passiert aber nur, wenn der Gleichgewichtssinn und das Sehen vom VR-Gerät mit unterschiedlichen Informationen gefüttert werden. Da müssen Entwickler immer im Auge drauf haben und ihre Programme mit so vielen Menschen wie möglich testen.
Heyde: Ich bin hypersensibel, deswegen nimmt mein Team immer mich als Testsubjekt. Wenn mir nicht schlecht wird, können wir mit der Entwicklung fortfahren. Nach einer gewissen Zeit bekommt man eh ein Gespür dafür, was Motion Sickness hervorruft. Und ich glaube, dass man sich zu einem bestimmten Grad an virtuelle Umgebungen gewöhnen kann. Aber mit der HTC Vive wird mir eigentlich nie schlecht, weil ich mich ja im Raum bewegen kann, das hilft.

WIRED: Thorsten, du hast neulich 48 Stunden am Stück in der virtuellen Realität verbracht, es gab sogar einen Livestream. Gab es irgendwelche Probleme?
Wiedemann: Also schlecht wurden mir nicht, aber nach etwa 24 Stunden hatte ich eine Panikattacke, die dauerte etwa zwei Stunden. Und eine Woche danach, ich bin gerade aus dem Skiurlaub gekommen und hatte endlich ein bisschen Ruhe, habe ich Flashbacks gekriegt, die aussahen wie Lucid Trips, eine VR-Anwendung, in der ich war.

WIRED: 48 Stunden VR sind ja auch eine extreme Erfahrung. Generell sind die ersten Reaktionen auf die HTC Vive aber sehr überschwänglich. Wie seht ihr das?
Heller: Ich war neulich für fünf Wochen im Silicon Valley und überrascht, wie viele Entwickler die HTC Vive der Oculus Rift vorziehen, eben weil man mehr Raum für das Position-Tracking hat. Das ist übrigens auch für uns Journalisten interessant, weil wir Menschen leichter an fremde Orte bringen können, die sie dann zu Fuß erkunden können.
Bedenk: Das Tolle an Systemen wie der Vive ist, dass man in Zukunft mit der Raumwahrnehmung des Nutzers spielen kann. In der Virtual Reality läufst du geradeaus, aber eigentlich läufst du im Kreis, deine Laufrichtung wird immer leicht korrigiert. Das nennt man „Redirected Walking“. In einem Raum von zehn mal zehn Metern kann durch Redirected Walking fast jeden beliebigen Ort simulieren. Leider gibt einem die Vive noch nicht so viel Raum, deswegen funktioniert es noch nicht richtig.
Heyde: Für uns sind auch die Controller toll, sie machen die Anwendungen viel interaktiver. Bei unserem Spiel Selfie-Tennis hat man wirklich das Gefühl, einen Tennisschläger in der Hand zu haben. Die Umgebungsphysik, das Feedback des Schlägers, das funktioniert einfach, das ist für uns eine Revolution.

WIRED: Also ist der Hype gerechtfertigt?
Bedenk: Sagen wir mal, der Hype hat Substanz. Noch sind die High-End-Geräte sehr teuer, deswegen glaube ich, dass es so sein wird wie damals in den Achtzigern, als wir uns immer bei dem einen Menschen abgehangen haben, der gerade den neuen Computer oder die neue Spielekonsole hat. Ab der nächsten Generation sind dann schon viel mehr mit an Bord.
Heller: Ich bin regelrecht enthusiastisch, wenn ich Menschen dabei beobachte, wie sie zum ersten mal mit Virtual Reality in Berührung kommen. Ihre Emotionen überzeugen mich davon, dass wir gerade Zeuge von etwas ganz Großen werden.

WIRED: Was ist das wichtigste, das ihr im Umgang mit Virtual Reality gelernt habt?
Heller: Dass du niemals jemanden direkt hinter der Kamera hergehen lassen darfst, höchstens seitlich daneben. Sonst hat der Nutzer in der Virtual Reality hinterher einen Stalker, der einem die ganze Zeit folgt, was wirklich unheimlich ist.
Bedenk: Generell finde ich es enorm wichtig, den Avataren von anderen Nutzern in die Augen schauen zu können. Das gibt es etwas in einem simplen Mehrspieler-Quiz für die Oculus. Das hat etwas sehr soziales. Meine Frau ist Amerikanerin, und wir haben über lange Zeit eine Fernbeziehung geführt. Sowas hätte ich mir damals gewünscht.
Heyde: Das ist aber nur angenehm, wenn man in einem Raum mit Menschen ist, die man kennt. Sind es Unbekannte, fühlt sich das für mich immer total seltsam an, so wie wenn Fremde einem ganz nahe kommen und ins Gesicht fragen, wer man sei.

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WIRED: Eine VR-Filmemacherin hat neulich einen kurzen VR-Film über einen verstorbenen Freund gemacht. Könnt ihr euch vorstellen, dass euch das bei der Trauerbewältigung helfen würde?
Heyde: Auf jeden Fall. Ich habe ein Pferd, eine Stute, sie ist jetzt 25 Jahre alt und ich wünschte mir so sehr, eine vernünftige Aufnahme davon zu machen, wie ich mit ihr durch den Wald reite oder sie im Stall striegele, um immer wieder an diesen Moment zurückgehen zu können.
Bedenk: Irgendwann sehen wir vielleicht eine Firma, die so eine Geschäftsidee vernünftig umsetzt, seriös und qualitativ hochwertig. Alle wichtigen Erinnerungen, alle Familienmitglieder abgespeichert in der Cloud. Das kann ein Multimilliarden-Dollar-Unternehmen werden, da bin ich mir sicher. Gleichzeitig ist das auch ein bisschen unheimlich. 

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