Hinweis zu Affiliate-Links: Alle Produkte werden von der Redaktion unabhängig ausgewählt. Im Falle eines Kaufs des Produkts nach Klick auf den Link erhalten wir ggf. eine Provision.

Ausgelauscht: Vier sehr persönliche Positionen zur Privatsphäre

von WIRED Staff
Eine Sozialwissenschaftlerin, ein Informatikstudent, eine Netzaktivistin und ein Schriftsteller schildern ihre Sicht auf Privatsphäre, Geheimnisse und wie wir damit umgehen sollten.

Dieser Artikel erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe des WIRED Magazins im September 2015. Wenn ihr die Ersten sein wollt, die einen WIRED-Artikel lesen, bevor er online geht: Hier könnt ihr das WIRED Magazin testen.

Wir brauchen neue Normen
„Privatsphäre ist ein bürgerliches Konzept: Der moderne Mensch lernt, sich selbst zu kontrollieren, und bekommt seinen Platz in der Gesellschaft, während der gesellschaftliche Rand überwacht oder sogar eingesperrt wird. Die vernetzten Zeiten, in denen wir leben, bringen zwangsläufig einen Verlust dieser Kontrolle mit sich – Konzepte wie die informationelle Selbstbestimmung müssen daher radikal neu gedacht werden. Post-Privacy-Selbstversuche sind wichtig für die Debatte, weil sie soziale Normen infrage stellen. Sie schaffen aber auch neue soziale Normen: Wenn ich
Daten aus der Health-App direkt an die Krankenkasse übermittele, ist das eine Entscheidung von gesellschaftlicher Tragweite.“ 
Kathrin Ganz ist Sozialwissenschaftlerin und Mitglied der Forschungsgruppe Arbeit-Gender-Technik an der Technischen Universität Hamburg-Harburg.

Auch Omas sind auf Twitter
„Für mich bedeutet Privatsphäre, dass nur die Menschen, von denen ich das möchte, die Dinge sehen können, die ich mit ihnen teile. Das kann wie auf Twitter quasi die ganze Welt sein – aber bei einer privaten Nachricht ist es eben doch nur eine einzige Person. Natürlich ist mir ständig bewusst, dass meine Tweets für alle durchsuchbar im Internet landen und auch meine Oma sie sich anschauen kann. Sie tut das übrigens wirklich! Deshalb schreibe ich nur Tweets, die auch meine Oma lesen könnte. Ich war nie ein großer Fan davon, besonders private Angelegenheiten einfach mal öffentlich zu pos-ten. Aber was Überwachung betrifft: Ich denke zu selten daran, weil ich oft zu viel Spaß mit all den Diens-ten habe. Auch als jemand, der Informatik studiert und sich mit der Technik ein bisschen auskennt. Das ist traurig, aber wahr.“ 
Max Friedrich ist Informatikstudent, Programmierer, Podcaster, Blogger, Snapchatter und mehr.

Kannst du dir Mut leisten? 
„Privatsphäre ist ein Privileg. Aber deswegen für ihre Abschaffung zu argumentieren, ist ziemlich absurd. Die Protagonisten solcher Debatten sind in der Regel mehrfachprivilegierte Männer, für die sich viele der Probleme überhaupt nicht stellen. Sie denken gesellschaftliche Machtverhältnisse nicht mit. Die Frage ist doch: Für wen ist es einfach, offen zu sein? Wir haben nicht alle dieselben Voraussetzungen. Einige benötigen den Schutz der Privatsphäre dringender als andere. Die einen können offen über ihre Depression reden, anderen ruiniert das Jobchancen. Hetero-Paare können Händchen haltend durch die Stadt laufen. Wenn zwei Frauen das tun, werden sie belästigt. Vor Kurzem
hat ein Mann eine stillende Frau fotografiert und das Bild auf Facebook gepostet, um sie zu beschämen. ,Trau dich doch einfach‘ ist eben kein Argument.“
Sandra Laczny ist Netzaktivistin und bloggt u. a. zu feministischen Themen.

Der Diskurs hinkt hinterher
„Privatsphäre ist für mich ein so essenzieller Wert, dass jeder Versuch, sie einzuschränken, eine Provokation bedeutet. Schon 2010 haben Juli Zeh und ich das Buch Angriff auf die Freiheit geschrieben, in dem es um die Gefahren digitaler Überwachung ging. Damals wur-den wir von vielen als hysterisch und paranoid beschimpft. Als dank Edward Snowdens Enthüllungen klar wurde, dass alles noch viel schlimmer war, hieß es: „Ihr habt untertrieben!“ Damit muss man leben. Aber der Diskurs über dieses Thema ist bei uns immer noch viel zu verhalten. Als ich vor Kurzem im Iran war, erzählte mir schon der Taxifahrer von VPN-Netzwerken. Die Menschen dort sind sehr kompetent darin, Zensur-strukturen zu umgehen. Ich hoffe, auch wir kommen bald an diesen Punkt.“
Der Schriftsteller Ilija Trojanow floh als Kind mit seinen Eltern aus Bulgarien. Sein neuer Roman heißt „Macht und Widerstand“. 

Hier geht's zum großen Privatsphäre-Dossier der WIRED.

 

GQ Empfiehlt