Hinweis zu Affiliate-Links: Alle Produkte werden von der Redaktion unabhängig ausgewählt. Im Falle eines Kaufs des Produkts nach Klick auf den Link erhalten wir ggf. eine Provision.

Wie es nach #Landesverrat weitergeht: Netzpolitik-Gründer Markus Beckedahl im Interview

von Sonja Peteranderl
Plötzlich Landesverräter: Die Ermittlungen gegen Netzpolitik.org, die jetzt eingestellt wurden, haben das Onlineportal gestärkt. Im WIRED-Interview erzählt Netzpolitik-Gründer Markus Beckedahl, warum der Skandal noch nicht abgeschlossen ist — und wie es nun weitergeht.

WIRED: Wie fühlt ihr euch als Ex-Landesverräter?
Markus Beckedahl: Unser Leben ist jetzt nicht mehr im Ausnahmezustand. Es waren tatsächlich zehn Tage Ausnahmezustand: Wenn man morgens ins Büro kam, standen schon wieder drei Kamerateams dort und das Telefon klingelte ununterbrochen, aus allen Teilen der Welt. Insofern sind wir ganz froh, die Souveränität über unser Leben zurückzugewinnen und ein bisschen mehr Zeit zu haben, für die Sachen, die wir eigentlich machen wollten, die über das netzpolitische Alltagsgeschäft hinausgehen. Wir hatten uns auf die parlamentarische Sommerpause gefreut, aber alles ist liegengeblieben und in drei Wochen geht es wieder los mit Störerhaftung, Netzneutralität, Vorratsdatenspeicherung — all den großen netzpolitischen Themen, die jetzt vor dem Abschluss stehen.

Die Verantwortlichen haben entweder ihren Laden nicht unter Kontrolle oder sagen nicht die Wahrheit.

WIRED: Die Ermittlungen gegen euch wurden gestoppt. Was beschäftigt euch jetzt am meisten?
Beckedahl: Es ist immer noch vollkommen ungeklärt, warum diese Ermittlungen gegen uns überhaupt eingeleitet worden sind. Wer stand politisch dahinter? Wer wurde wann darüber informiert? Es ist äußerst unglaubwürdig, dass bei solch einem schweren Fall alle politisch Verantwortlichen aus den Medien davon erfahren haben wollen. Das zeugt davon, dass sie entweder ihren Laden nicht unter Kontrolle haben, oder nicht die Wahrheit sagen. Es ist auch ungeklärt, ob wir überwacht wurden oder überwacht werden.

WIRED: Habt ihr Indizien, dass ihr überwacht wurdet?
Beckedahl: Seit Snowden wissen wir ja, dass wir alle überwacht werden. Wir gehen davon aus, dass wir in amerikanischen oder britischen Selektorenlisten stehen. Allein schon, weil wir von den Snowden-Enthüllungen wissen, dass die Geheimdienste bei der Überwachung um drei Ecken gehen und wir mit vielen Leuten, die garantiert auf diesen Listen stehen, direkt zu tun haben. Ob das Bundeskriminalamt uns im Rahmen der dreimonatigen Ermittlungen überwacht hat, werden wir wahrscheinlich irgendwann herausfinden, wenn uns Akteneinsicht gewährt wird. Ob der Verfassungsschutz uns auch überwacht hat, werden wir wahrscheinlich niemals erfahren, weil es keine Checks-and-Balances-Mechanismen, keine Kontrolle gibt. Das zeigt, dass wir ein riesiges Problem mit diesem Staat im Staate haben.

WIRED: Wie wollt ihr weiter vorgehen?
Beckedahl: Unsere Anwälte verlangen Akteneinsicht. Nach eineinhalb Wochen hat man sich bequemt, uns zu informieren, dass jetzt Akten vom Generalbundesanwalt nach Berlin weitergereicht werden und dass zumindest unsere Anwälte Einblick nehmen können. Aber wir als Betroffene, auch als Journalisten, dürfen das nicht — weil es sich bei den Gutachten, die sich damit beschäftigen, ob wir jetzt Landesverrat begangen haben oder nicht, um als geheim eingestufte Dokumente handelt. Das Absurde ist, dass diese Gutachten, die beweisen wollen, dass wir Geheimnisse verraten haben, geheimer eingestuft sind als die Dokumente, die wir geleakt haben.

Es gibt anscheinend für die Bundesregierung gute und schlechte Leaks.

WIRED: Wie brisant waren die Leaks tatsächlich, die die Affäre ins Rollen gebracht haben?
Beckedahl: Das waren Dokumente des Verfassungsschutzes. Wir haben sie online als Ergänzung veröffentlicht, weil sich jeder selbst ein Bild machen sollte, aber sie enthielten keine personenbezogene Daten von Agenten, es stand keine große Enthüllung darin, sondern nur, wie viele Ressourcen, also Zeiteinheiten für Internetüberwachung genutzt werden. Wir hatten das Gefühl, dass wir schon andere Sachen veröffentlicht hatten, die ein bisschen heikler waren und dass auch andere Medien brisantere Informationen veröffentlicht haben. Es gibt anscheinend in der Bundesregierung gute Leaks und schlechte Leaks. Die Informationen rund um Geheimdienste, die Behörden selbst leaken, etwa in Richtung der Bild am Sonntag, sind die guten Leaks. Aber die Veröffentlichungen, die sie nicht selbst steuern, um die Öffentlichkeit zu beeinflussen, das sind die schlechten Leaks.

WIRED: Würdest du das Vorgehen der Bundesregierung gegen euch in die Trendwelle einordnen, die man in England und den USA beobachten kann: mit harten juristischen Mitteln gegen Whistleblower und Whistleblower-Plattformen vorzugehen?
Beckedahl: Klar. Zwei Jahre nach Start der Snowden-Enthüllungen hat in unserer Bundesregierung keiner mehr Bock auf die Überwachungsdebatte, die einzige Antwort auf die Enthüllungen ist: mehr Kompetenzen für den Verfassungsschutz, mehr Kompetenzen für den Bundesnachrichtendienst, beides bei der Internetüberwachung. Sie sehen die Snowden-Analyse als Machbarkeitsstudie, nicht als Warnung. Dazu kommt die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung.

WIRED: Mit der Landesverrat-Affäre haben die Behörden kostenlos Werbung für Netzpolitik.org gemacht. Kannst du die Unterstützung und Aufmerksamkeit beziffern, die ihr durch den Skandal erhalten habt?
Beckedahl: Unsere Facebookseite hat ihre Follower in den letzten Wochen fast verdoppelt, von 35.000 auf 70.000. Bei Twitter sind vielleicht 10.000 Follower dazu gekommen. An Spenden haben wir 180.000 Euro reingekommen — das ist soviel wie im ganzen letzten Jahr. Wofür wir sehr beneidet wurden, war, wie oft unser Name in den zehn Tagen, in denen die Affäre so richtig präsent war, in den Medien genannt wurde, wie oft unser Logo auch in der Tagesschau gezeigt wurde. Das kann man nicht beziffern, ob das einen Markenwert von 20, 30 oder 40 Millionen hat.

Wir sind mit der stärksten Waffe, die der Staat gegen Journalisten hat, angegriffen worden. Und wir sind glücklich, dass wir überlebt haben.

WIRED: Ist es zynisch zu sagen, euch hätte nichts Besseres passieren können?
Beckedahl: Wir sind mit der stärksten Waffe, die der Staat hat, um gegen Journalisten vorzugehen, angegriffen worden. Und wir sind glücklich, dass wir diesen Angriff überlebt haben und gestärkt daraus hervorgegangen sind. Das schützt uns hoffentlich auch bei zukünftigen Auseinandersetzungen, weil sich der eine oder andere überlegen wird, ob er uns angreifen will oder nicht. In diesem Fall war es offensichtlich so, dass Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen sich dafür entschieden hatte, massiv gegen uns zu schießen. Es ist gut, dass der Versuch, über uns einen Präzedenzfall zu schaffen, um auch gegen viele andere Journalisten vorzugehen, jetzt erst einmal gestoppt wurde.

WIRED: Glaubst du der Strafanzeige liegt eine Fehleinschätzung zugrunde: dass Verfassungsschutz und Co. euch als kleinen, wehrlosen Blog eingeschätzt haben?
Beckedahl: Das weiß ich nicht. Wir sind Blogger, wir kommen aus der Blogger-Kultur, aber wir arbeiten journalistisch und selbstverständlich gilt so auch für uns die Pressefreiheit, egal ob wir für eine Zeitung schreiben oder ein Online-Magazin. Ich war verwundert, dass die FAZ wieder diese Debatte aufmacht, die schon vor zehn Jahren veraltet war. Von deren Politikredaktion wurde uns zum Beispiel vorgeworfen, dass wir eine Haltung haben, und sie haben uns deswegen die Pressefreiheit abgesprochen. Wobei die FAZ in allen netzpolitischen Themen genau die gegenteilige Meinung von uns vertritt — nur, dass wir offen dazuschreiben, dass wir eine Haltung haben und wie sie aussieht.

WIRED: Welche Einstellung habt ihr gegenüber den Geheimdiensten?
Beckedahl: Wir haben keine Redaktionsmeinung zu dem Thema, sondern unterschiedliche Positionen. Aber der gemeinsame Nenner ist, dass die derzeitige Kontrolle der Geheimdienste in Deutschland eine reine Demokratiesimulation ist. Das zeigt vor allem der Geheimdienst-Untersuchungsausschuss, bei dem herauskommt, dass Kontrolleure wie die G10-Kommission und die parlamentarischen Kontrolleure nur aus den Medien von den ganzen Skandalen erfahren, die der Bundesnachrichtendienst in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren verbrochen hat. Offensichtlich funktioniert die vierte Macht bei der Kontrolle der Geheimdienste besser — und der Versuch gegen uns mit Landesverrat vorzugehen, bedeutet auch, das kleine Bisschen, das wir noch an Geheimdienstkontrolle haben, kaputtzuschießen. Deswegen berichten wir gern und häufig darüber, dass wir eine bessere Geheimdienstkontrolle brauchen.

Wir stehen an einer Gabelung, wo vielleicht vielen bewusst wird: Wenn wir das jetzt nicht stoppen, verlieren wir einen großen Teil unserer Demokratie

WIRED: Es ging bei der Anzeige nicht in erster Linie um euch, sondern um die Quellen, die euch Dokumente zugespielt haben. Wie schützt ihr sie?
Beckedahl: Wir waren schon immer eine der bestgeschützten Redaktionen und klären unsere Leserschaft seit vielen Jahren über Gefahren und Risiken der digitalen Kommunikation auf. Insofern haben wir das Gefühl, dass wir unsere Quellen durch unsere Berichterstattung mitschulen. Dass wir gestärkt aus dieser Sache herausgehen, wirkt sich hoffentlich auf potentielle Whistleblower aus, dass sie das Gefühl bekommen, dass der Staat eindeutig zu weit gegangen ist in Verbindung mit der massiven Aufrüstung der Überwachungskompetenzen. Wir stehen im Moment an einer Gabelung, wo vielleicht vielen in den Apparaten bewusst wird: Wenn wir das jetzt nicht stoppen, dann verlieren wir einen großen Teil unserer Demokratie. Denn es wird ein Trend sein, den man nicht zurückdrehen kann. Vielleicht motiviert das Menschen, weiter und noch mehr Dokumente durchzustechen.

WIRED: Was wäre ein sinnvoller Umgang mit Whistleblowern?
Beckedahl: Also erstmal bräuchten wir überhaupt einen Whistleblower-Schutz. Im Moment ist Deutschland da Entwicklungsland. Es muss vertrauenswürdige, unabhängige Stellen geben, an die sich Whistleblower wenden können. Und es muss Straffreiheit gewährleistet werden, wenn es Missstände sind, auf die Whistleblower hinweisen, und wo das Interesse an einer öffentlichen Aufklärung überwiegt. In solchen Fällen sollten wir sie zu Helden machen, statt sie ins Gefängnis zu stecken und zu kriminalisieren, wie es derzeit der Fall ist.

WIRED: Was würdest du Leuten raten, die euch Dokumente zuspielen wollen?
Beckedahl: Auf keinen Fall als Plaintext per Mail schicken — kreativ sein. Aber wir haben das Gefühl, dass Quellen, die uns erreichen wollen, uns erreichen, auch auf nicht-digitalem Weg.

WIRED: Habt ihr genug Ressourcen, um den Hinweisen nachzugehen, wie groß ist eure Redaktion?
Beckedahl: Im Moment sind wir fünf Redakteure, verteilt auf 3,75 Stellen. Dazu kommen einige feste Freie, die aber arbeiten, wenn sie Zeit und Lust haben, pro bono. Wir haben jetzt mehr Geld, wir müssen sehen, wie viel davon für Anwälte und Gerichtskosten, die möglicherweise noch kommen werden, benötigt wird — aber es wird etwas übrigbleiben. Dann besteht die Herausforderung gute Redakteure zu finden, die eine technische Expertise mitbringen und bereit sind, zu unseren Konditionen zu arbeiten, obwohl sie mit ihrer Qualifikation woanders das drei oder vierfache Gehalt bekommen könnten.

WIRED: Ihr feiert Anfang September den 11. Geburtstag von Netzpolitik.org. Was ist deine Bilanz?
Beckedahl: Vor elf Jahren habe ich auf dem Blog einfach die ganzen Links zusammengestellt, die ich vorher über Mailinglisten verschickt hatte. Als Linkschleuder gestartet, ist aus Netzpolitik ein journalistisches Angebot geworden, dass jetzt mit dem Landesverratspreis der Bundesregierung ausgezeichnet worden ist. Wir stehen noch am Anfang und wollen unsere Arbeit ausbauen — Politik, Verwaltung und Gesellschaft in netzpolitischen Fragen aus einer Grundrechtsperspektive auf die Finger zu schauen. 

GQ Empfiehlt