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Ex Machina — Künstliche Körper im Kino

von Roland Huschke
Müssen wir uns vor künstlicher Intelligenz fürchten? Ex Machina ist der Kinofilm zur Debatte — und gibt eine überraschende Antwort.

Servieren Roboter uns irgendwann Mango-Lassi und führen danach die Bulldogge aus, sind wir darauf vorbereitet. Künstliche Intelligenzen, die für uns den Urlaub planen, auf der Überlandfahrt den Wagen steuern, während wir Siesta machen, vielleicht sogar eine Blinddarmoperation erledigen, bei der man in vergleichsweise wenige moralische Zwickmühlen gerät — auch diese Zukunftsvisionen überraschen keinen, der in den vergangenen Jahren ein bisschen was mitbekommen, ein paar Kuschelroboter und Boston-Dynamics- Videos gesehen hat.

Aber was wird sein, wenn die lebensechten Maschinen anfangen, mit uns zu flirten? So wie hier, in diesem relativ realistisch möblierten, gar nicht so zeitfern wirkenden Szenario: ein großes Atelierhaus in den Bergen, mitten im menschenverlassenen Naturreservat in Alaska. Der junge Programmierer Caleb, extra eingeflogen, steht im gedimmten Wohnzimmerlicht der zierlichen, wunderschönen Ava gegenüber. Angenehme Aura, sanftes Kindchenschema. „Denkst du an mich?“, fragt sie, schlägt die Augen auf. Ava ist ein Roboter, Caleb nicht. Ja, woran denkt man da nur?

Natürlich ist das eine Kinoszene. Aus Ex Machina, einem der am ungeduldigsten erwarteten Science-Fiction-Filme des Jahres. Am 23. April wird er in Deutschland starten, und weil das Regiedebüt des Schriftstellers und Drehbuchautors Alex Garland eben auch ein großes Gedankenexperiment ist, stellt dieser Film uns wirklich die Frage: Was denken wir, wenn irgendwann die künstliche Intelligenz ankommt und uns anbaggert? Diese immer noch leicht gruselige, robotische Instanz, vor der uns kluge Menschen wie Elon Musk und Bill Gates längst nachdrücklich gewarnt haben?

 

Vielleicht würden wir uns fragen: Ist das ernst gemeint? Ist dieser Flirt der genuine Impuls eines menschenähnlichen Bewusstseins — oder nur Teil des Programms, von irgendjemandem gecodet, von den Regeln des Algorithmus bestimmt? Und welchen Unterschied macht das am Ende? Vor allem, weil ja doch alles nur Kino ist und wir dort schon einige betörende Engines gesehen haben. Meistens weiblich, von der Blech-Maria, die 1927 in Fritz Langs Metropolis einen Arbeiteraufstand anzettelte, bis zum rauchig sprechenden Betriebssystem Samantha, in das sich Joaquín Phoenix 2013 in „Her“ unglücklich verliebte. Vielleicht ist die Frage, die uns zuerst in den Kopf kommt, ja eine ganz andere. Vielleicht ist die erste Frage, woher eigentlich die gewaltige poetische Sehnsucht der Menschen kommt, sich überhaupt von den Maschinen anbaggern zu lassen. Die Sehnsucht, die sich in all diesen Filmen ausdrückt.

Was nichts daran ändert, dass sexy Roboter bislang eher die Ausnahme waren: Noch häufiger traten Computerhirne als dystopische Schreckgespenster auf. Angefangen bei E. T. A. Hoffmanns berühmter Erzählung „Der Sandmann“ von 1816, in der die mysteriöse Androidin Olimpia den Studenten Nathanael in den Wahnsinn treibt. Dann im Kino kanonisiert durch das bösartige Bordsystem HAL aus Stanley Kubricks 2001 — Odyssee im Weltall von 1968, den Kalter-Krieg-Großrechner Joshua aus War Games — Kriegsspiele (1983), den Robocops, Terminatoren und Replikanten, die in allen Geschichten, die wir über sie gehört und gesehen haben, weit außerhalb der Gesellschaft standen, wenn nicht bedrohlich, dann wenigstens zutiefst asozial waren. Wenn überhaupt, dann war die Beziehung zur KI (wir verwenden hier bis auf Weiteres die deutsche Abkürzung) ein Flirt mit dem Desaster.

„Der Blade Runner-Film von 1982“, sagt Alex Garland, „war offensichtlich ein Wendepunkt für das Science-Fiction-Kino. Doch mich hat immer gestört, dass die Geschichte aus der -Perspektive des altmodischen Detektivs erzählt wird – den -alles Neue fast zu Tode ängstigt.“ Der Ex Machina-Erfinder, 44, sitzt in einer Londoner Hotelsuite. Er ist heiser, den ganzen Tag schon hat er den Journalisten seine Roboterliebe erklärt und dabei in manch zweifelndes Gesicht geblickt — von Leuten, denen schon Siri nicht ganz geheuer ist. Garland atmet tief durch, lächelt. Und holt dann noch ein bisschen weiter aus.
Der Regisseur selbst hatte nämlich einen langen Weg des Zweifelns hinter sich, als Ex Machina nach jahrelangen Gesprächen mit einem befreundeten Neurologen Gestalt annahm. „Selbst wenn tausend Argumente gegen KI sprächen, wird es so sein wie mit nuklearer Energie“, sagt Garland. „Wenn Menschen etwas erschaffen können, dann tun sie es auch. Bis es so weit ist, müssen wir ernsthaft darüber nachdenken, was passieren soll, wenn wir diese Maschinen dann irgendwann wieder abstellen wollen — sie aber Nein sagen.“

„Ex Machina“ nähert sich der Frage mithilfe eines Experiments, das der schon erwähnte Programmierer Caleb (Domhnall Gleeson) stellvertretend fürs Publikum startet, nachdem er unter einem Vorwand zu seinem Chef nach Alaska geflogen wird: Nathan (gespielt von Oscar Isaac, bekannt aus Inside Llewyn Davis), ein Silicon-Valley-Tycoon, der mit der Suchmaschine Bluebook sein Imperium errichtete und die Milliarden nun heimlich in einem unterirdischen Bunker verpulvert, wo er wie ein moderner Dr. Moreau an KI-Prototypen bastelt. Er stellt dem jungen Gast eine Aufgabe. Caleb soll im Selbstversuch herausfinden, ob Nathans neuestes Geschöpf tatsächlich ein Bewusstsein hat. Ein Turing-Test für Fortgeschrittene.

So stark die Warnlampen vor der Erstbegegnung auch blinken: Alles ist vergessen, als sie — es? — ihren Auftritt hat. Mit den Bewegungen einer Artistin gleitet Ava durch den halbdunklen Raum, fast lautlos, wäre da nicht der Hauch eines mechanischen Summens, wenn sie ihre Gliedmaßen bewegt. Dass Ava, gespielt von der Schwedin Alicia Vikander (deren Gesicht und Bewegungen mit einem CGI-Körper gemorpht wurden), nicht wie der Terminator knurrt, sondern Caleb als rehäugiges Mädchen mit fluoreszierendem Innenleben begrüßt: Es macht einem den Glauben an eine neue, schöne Roboterzukunft doch gleich leichter. Auch wenn an dieser Stelle nicht verraten werden darf, wie Caleb mit den Flirtversuchen klarkommt. Weil das ein massiver Spoiler wäre.

Mitentscheidend für die Richtung, in die sich das Projekt „Ex Machina“ entwickelte, war ein Buch, das Regisseur Garland während der Recherche fand: Embodiment And The Inner Life: Cognition And Consciousness In The Space Of Possible Minds, geschrieben von Murray Shanahan, einem Londoner Professor für kognitive Robotik. Die psychologischen, philosophischen und neurowissenschaftlichen Argumente, mit denen Shanahan einige populäre Missverständnisse über das Bewusstsein der Maschine zurecht-rückt, inspirierten Garland. So sehr, dass er den ersten Drehbuchentwurf zum Gegenlesen an den Experten schickte.

„Ich war sehr erleichtert, als ich das Skript las“, sagt Murray Shanahan. „Eine aufregende Geschichte, ein Psychothriller, der unter der Oberfläche trotzdem den ganzen intellektuellen Diskurs transportiert. Wenn man als Wissenschaftler schon mal in einen -KI-Film hineingezogen wird, dann am besten in einen so guten.“ Vom Expertenrat hat das Science-Fiction-Genre immer schon gelebt, doch mit den komplexer werdenden Themen steigt die -Bedeutung der Plausibilitätstests — wie die enge Zusammenarbeit zwischen Christopher Nolan und dem theoretischen Physiker Kip Thorne bei der Weltraumfantasie Interstellar gezeigt hat. „Filme über Wissenschaft, die intellektuellen Ansprüchen einigermaßen standhalten, sieht man eher selten“, urteilte dann auch das Magazin New Scientist über Ex Machina. „Ein willkommener Energiestoß für die Science-Fiction.“

Alex Garland, ursprünglich Schriftsteller, dann Drehbuchautor, hat mit seiner ersten Regiearbeit seinen Weg Richtung Kino vollendet. In Garlands Debütroman und dem daraus entstandenen Leonardo-DiCaprio-Film The -Beach (2000) ging es um den Verlust der Idylle, in 28 Days Later (2002) um die Folgen einer Zombie-Apokalypse. Zuletzt folgten zwei Dystopien, erst die schwermütige Romanadaption Alles, was wir geben mussten (2010) über Klone als Organ-Ersatzteillager der Oberschicht. Kontrastiert von Dredd (2012), seines subversiven Porträts eines faschistoiden Polizeistaats.

„Ich bin überzeugt, dass das Kino das beste Medium ist, um komplexe Gesellschaftsfragen unter die Leute zu bringen“, sagt Garland über seinen Abschied von der Literatur. „Und kein Genre eignet sich besser als Science-Fiction, weil man dort hyperreale Bühnen schaffen kann, auf denen sich Figuren naturalistisch verhalten.“

Die künstlerischen Entwicklungsschritte erklären das Selbstbewusstsein, mit dem Garland in Ex Machina für seine Vision wirbt: eine Zukunft, mit der wir womöglich nicht allein fertig werden, sondern gut die Hilfe von Roboternachwuchs gebrauchen könnten. „Das Problem liegt in unserer Herangehensweise an KI“, sagt der Regisseur. „Wir sagen, dass wir Maschinen auf unser Level heben wollen — haben aber nicht diskutiert, was passiert, wenn wir unsere intellektuelle Überlegenheit über andere Lebewesen aufgeben müssen. Ein denkender Humanoid ist uns voraus, weil er nicht krank wird oder durch unterbewusste Probleme blockiert ist. Viele Leute ängstigt diese Vorstellung, so wie sich die Neandertaler vom Homo sapiens bedroht fühlten. Während ich KI als fantastische Chance sehe.“

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Der Letzte, der im Kino mit so einer rosaroten Brille auf nahende Evolutionsstufen blickte, war 2001 Steven Spielberg mit A. I. — Künstliche Intelligenz. Der sich damals nicht vorstellen konnte, wie rasant die technologische Entwicklung die Computer tatsächlich auf den Weg zum eigenen Bewusstsein bringen würde. Am Ende seines Films wurde sein kleiner Roboterjunge zwar von einer neuen Eiszeit eingefroren — wie ein Fossil konserviert —, doch auch Menschen spielten keine Rolle mehr in Spielbergs Zukunft, in der die Roboter zum Schluss eine freundliche Weltherrschaft errungen hatten.

Mit solch großäugiger Naivität begegnet heute niemand mehr der KI. Auch Alex Garland nicht, dessen Film — das darf man verraten — keineswegs im Happy End mündet, auf das Androiden und Menschen mit Champagner anstoßen würden. Trotzdem: Ex Machina ist und bleibt meilenweit entfernt vom Defätismus, den wir aus anderen Robotergeschichten kennen. Der Film benutzt das Thema nicht einfach nur. Er interessiert sich wirklich dafür.

Als Feindbild wird KI auf der Leinwand zwar noch oft genug zu sehen sein, aber vielleicht irrt Garland, was die pessimistischen Kulturprognosen angeht. Nicht nur der Blade Runner wird schließlich in wenigen Jahren in einer zweiten Folge zurückkehren, in der Harrison Ford seiner mutmaßlichen Identität als Replikant auf die Spur geht. Auch der Roboter-Vergnügungspark Westworld, einst eröffnet für den gleichnamigen Yul-Brynner-Film von 1973, soll beim Sender HBO für eine große Serie wiederbelebt werden. Beide Stoffe haben gewiss größeres Potenzial als, sagen wir, der nächste Krieg der Sterne-Film oder The Avengers 2, um uns weiter mit KI-Wesen vertraut zu machen.

Ava, die Roboterfrau aus „Ex Machina“, werden wir ganz sicher nicht wiedersehen. Garland denkt gar nicht an eine Fortsetzung. „Ich wurde gefragt, ob das infrage kommt, doch ein Sequel würde den ganzen Sinn der Geschichte verdrehen. Ich habe Ava nicht als Figur eingeführt, um sie durch lauter Abenteuer zu schicken, sondern um zu verstehen, welche Gefühle sie in ihrer speziellen Situation haben könnte. Sie entscheidet selbst über ihr Schicksal, das ist der Punkt.“ Er vermisse die Androidin jetzt schon, sagt Garland — aber eine Figur müsse man als Schöpfer irgendwann loslassen können. Dass uns ausgerechnet die Roboterfrau Ava als eine der glaubwürdigsten Kunstkreaturen im Gedächtnis bleiben wird, die wir zuletzt im Kino gesehen haben — vielleicht ist das ein Zeichen dafür, dass die Maschinen uns schon jetzt gar nicht mehr so fremd sind, wie wir denken.

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