Hinweis zu Affiliate-Links: Alle Produkte werden von der Redaktion unabhängig ausgewählt. Im Falle eines Kaufs des Produkts nach Klick auf den Link erhalten wir ggf. eine Provision.

Clemens Weißhaar revolutioniert den Produktionsprozess

von Alexander Runte
Der Designer revolutioniert den Produktionsprozess: der Robochop erschafft jedes Objekt, das man ihm per App aufmalt.

Das neueste Spielzeug in Clemens Weisshaars Studio in München ist zwei Meter groß und nicht zu übersehen: ein orangefarbener Indus­trieroboter von Kuka, wie er ansons­ten in Autofabriken überall auf der Welt am Fließband steht und tagein, tagaus robotert. Da hat der von Weisshaar einen erheblich weniger eintönigen Arbeitsalltag. Er heißt Robochop und kann per Thermosäge aus einem Block Styropor jedes Objekt herausschneiden, das man ihm vorher in einer App auf dem Smartphone aufgezeichnet hat. Die Thermosäge ar­beitet wie die früher aus dem Werk­unterricht: Ein glühender Draht wird zwischen die Arme des Roboters gespannt, während sich diese in alle Richtungen um jede Achse drehen können – das zu programmieren, ist die anspruchsvollste Aufgabe.

Wenn alles perfekt funktioniert, könnte dieser Roboter – ähnlich wie 3D-Drucker – eine kreative Revolu­tion auslösen und das Produktdesign für immer verändern. Indem er es total demokratisiert: Robochop könnte aus uns Konsumenten auf einen Schlag Produzenten machen, Gestalter unserer eigenen Lebenswelt.
Die Utopie und die Technologie dazu gibt es zwar schon längst, doch bisher war Letztere zu umständlich zu benutzen. Eine App aber, mit deren Hilfe jeder mit wenigen Wischen Möbel, Töpfe, Schüsseln, was auch immer entwerfen und schneiden lassen könnte: Das wäre die ultimative Do-it-yourself-Steuerung. Man bräuchte nicht mal handwerkliche Fähigkeiten zu besitzen, der Roboter erledigte die konkrete Umsetzung ja. Wenn man ganz utopisch denkt, könnte man sich Hallen voll von diesen Robotern vorstellen, die im Auftrag Objekte zurechtsägen, die bloß noch verschickt werden müssten.

Robofun: Kuka baut auch Spaßmaschinen: etwa die Robocoaster,die in den Legoland-Vergnügungsparks Leute durchschütteln

Dass er mit der Idee seinen Berufsstand in letzter Konsequenz abschaffen könnte, scheint den Designer Weisshaar nicht zu stören. Im Gegenteil, euphorisch hüpft der 37-Jährige um den Kuka-Roboter herum in seinem Studio, das er mit seinem Partner Reed Kram leitet. Die beiden lernten sich kennen, als der Architektur-Superstar Rem Koolhaas sie vor Jahren damit beauftragte, das Multimedia-Design von Prada-Läden gemeinsam umzusetzen. „Wir haben beide den Job bekommen, weil wir so eine rotznasige Klar-kann-ich-das-Haltung hatten“, sagt Weisshaar. „Die gefiel Rem.“

Nach dem Ende des Projekts beschließen Kram und Weisshaar, ein gemeinsames Büro für digitales Design, aber auch für reale Produkte und Räume aufzubauen. An zwei Standorten: einerseits in Stockholm, wo es Kram der Liebe wegen hin verschlagen hatte, aber auch viele Software-Spezialisten leben; andererseits in München, woher Weisshaar stammt. Die vielen dort ansässigen Industrieunternehmen sind sehr gut darin, Dinge herzustellen – aber manchmal nicht ganz so gut darin, neue Ideen zu finden. Damit betrauen sie gerne kleine, schnelle Büros wie eben Kram/Weisshaar.

Der Kuka-Roboter aus Augsburg, der wie viele Projekte Weisshaars die digitale mit der materiellen Welt verbindet, soll auf der diesjährigen CeBit präsentiert werden, im Rahmen der Start-up-Plattform CODE_n. 2014 waren Kram und Weisshaar dort bereits vertreten, mit einem völlig anderen, aber inhaltlich verwandten Projekt: Der 3000 Quadratmeter große Textilvorhang, der den Ausstellungsbereich von CODE_n markierte, stammte von ihnen; auf dem hatten sie Big-Data-Aufkommen visualisiert, in Form eines riesenhaften Tintenstrahldrucks.

Welche Objekte nun in diesem Jahr die Besucher von „CODE_n“ auf ihren Smartphones entwerfen werden, sich von Robochop zuschneiden lassen und dann per Post nach Hause geschickt bekommen, ist Weisshaar egal. Er gibt keine Formen vor, es sind zunächst auch keine irre ausgefeilten möglich, was Weisshaar nicht weiter schlimm findet: „Design interessiert mich ästhetisch überhaupt nicht.“ Für ihn ist die Frage, was gutes Design ist, immer eine bloß geschmäcklerische. Weisshaar kommt es auf etwas ganz anderes an: „Mich interessieren die vielen Entscheidungen, die man im Laufe eines Designprozesses treffen muss.“ Welches Material, welche Software,welche Werkzeuge: solche Sachen eben. Nicht das Ziel, also die endgültige Form etwa eines Stuhls, fasziniert Weisshaar, sondern der Weg dahin. So wie vor drei Jahren bei seinem R18 Ultra Chair, den er mithilfe Hunderter Probesitzer auf der Mailänder Möbelmesse immer weiter entwickelte. Weisshaar ließ die Verteilung des Sitzdrucks messen und visualisieren, um den Stuhl weiter zu perfektionieren.
Digitale Technologien ermöglichen es ihm, alle denkbaren Konfigurationen sichtbar zu machen und zur Auswahl zu stellen – der Designprozess könnte theoretisch immer weiterlaufen. Weisshaar schüttet einen Haufen Autoschlüssel in Chipform auf einen Tisch in seinem Büro. „Welcher von denen sieht am besten aus?“, fragt er.

Und gibt gleich selbst die Antwort: „Die Unterschiede sind gering, wichtig ist vor allem der Kompromiss zwischen Ästhetik, Machbarkeit, Kosten und Technologie bis dahin.“ Die Chips sind Teil eines neuen Carsharing-Konzepts namens Unite, an dem Weisshaar die vergangenen anderthalb Jahre für Audi gearbeitet hat. Die Idee: Mehrere Leute – ein Freundeskreis etwa oder eine Familie – sollen sich einen Audi leasen und die Infrastruktur des Automobilkonzerns in Anspruch nehmen können. Sinnvoll für jeden, dem Carsharing als Prinzip einleuchtet, der aber gerne mit etwas mehr PS unterwegs
sein möchte.

Also für jemanden wie Weisshaar, der schon als Teenager Mopeds tunte. Seine Eltern – „Menschen mit sehr vielen akademischen Titeln im Namen“ – fuhren mit ihm in den Ferien stets auf bildungsbürgerliche Erkundungstouren. „Aber wir hatten einen Deal“, sagt Weisshaar. „Nach zwei Kirchen und einem Museum kam immer eine Burg.“ Ingenieurswissen aus der Vergangenheit fand Weisshaar mindestens so spannend wie andere Kinder das Bauen von Sandburgen am Strand.

Die Roboter-Idee passt also anscheinend völlig logisch in seinen Lebenslauf. Ebenso wie ein anderes Projekt, mit dem Weisshaar sich beschäftigt, der Entwurf eines mobilen Labors für das Audi-Entwicklungsteam, das an einem autonom fahrenden Auto forscht. Dafür plant er noch „eine Content-Maschine, die den Fahrgästen dieser robotischen Vehikel nach überstandener Fahrt ein dokumentarisches Video automatisch schneidet und zustellt“.

Sein Beruf, sagt Weisshaar, habe meist mehr mit Schreinerei zu tun als mit hochfliegenden Designideen. Aber: „Die Leute, die früher politische Utopien
entwickelt haben oder Künstler wurden, also die intelligentesten Leute ihrer Zeit, die gehen doch heute alle in die Technologie.“ Dort, sagt Clemens Weisshaar, habe man noch die Möglichkeit, Antworten auf politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Fragen zu finden. Und sonst nirgends.

Eine Übersicht aller Innovatoren der Februar-Ausgabe von WIRED gibt es hier.

GQ Empfiehlt