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Die Schönheit des Gewöhnlichen: Im First-Person-Modus wird „GTA V“ zum Spaziergang-Simulator

von Oliver Klatt
Seit 1997 der erste Teil von „Grand Theft Auto“ erschien, geht es in der Videospielreihe der Firma Rockstar um genau drei Dinge: schnelle Autos, ausufernde Gewalt und die Freiheit, innerhalb der vom Spiel gesteckten Grenzen machen zu können, was man will. In immer größeren und immer wirklichkeitsgetreueren Nachbildungen von Metropolen wie New York und Los Angeles gilt es, vom Kleinkriminellen zum Lebemann aufzusteigen — reich zu werden und dabei über Leichen zu gehen.

Dass man in den „GTA“-Spielen alles und jeden über den Haufen schießen und unschuldige Passanten mit dem Auto überfahren kann, sorgt seit jeher für Kritik. Die bitterböse Gesellschaftssatire der Serie erntet dagegen Lobeshymnen. Kein anderes Medium hat bisher ein treffenderes — und lustigeres — Spiegelbild des American Way Of Life hervorgebracht. Von korrupten Politkern über waffenvernarrte Rednecks bis hin zu Filmsternchen mit Yoga-Fimmel: Alles an „GTA“ wirkt leicht übertrieben. Und dennoch verlässt einen nie der Verdacht, dass all das viel näher an der Wirklichkeit ist, als man wahrhaben möchte.

Autos und Kampfjets zu steuern fühlt sich jetzt nicht mehr so an, als würde man mit Matchbox-Autos und Modellflugzeugen spielen.

Ein Jahr, nachdem „Grand Theft Auto V“ für die Playstation 3 und Xbox 360 herauskam, ist das Spiel nun in grafisch aufbereiteter Form für die jüngste Konsolengeneration Playstation 4 und Xbox One zu haben. Genau wie bei den Neuauflagen von „The Last Of Us“ und „Sleeping Dogs“ stellt sich aber auch diesmal die Frage, warum Gamer für ein wenig Kosmetik und einige Zusatzfeatures noch einmal den vollen Preis zahlen sollen. Die neuen Drogen, die man im Spiel einnehmen kann und einen für kurze Zeit in die Haut einer Katze oder einer Möwe schlüpfen lassen, dürften kaum ausreichen, um eine Kaufentscheidung zu rechtfertigen. Auch das Reissue von „GTA V“ scheint auf den ersten Blick nichts weiter zu sein, als ein schneller Cash Grab zum Weihnachtsgeschäft.

Wäre da nicht der neue First-Person-Modus. Denn der verändert das Spielerlebnis erheblich. Die L.A.-Hommage Los Santos und die umliegende Landschaft aus der Ich-Perspektive zu erleben, verwandelt „GTA V“ in eine Abfolge ganz neuer Herausforderungen. Wagen und Kampfjets zu steuern fühlt sich nicht mehr an, als würde man mit Matchbox-Autos und Modellflugzeugen spielen, sondern als säße man wirklich am Steuer und müsse widerspenstige Maschinen im Zaum halten. Sogar das Überqueren einer Straße wird durch das deutlich eingeschränkte Sichtfeld zum Risiko: Wer nicht gewissenhaft nach links und rechts blickt, findet sich schnell auf der Motorhaube eines Humvee wieder.

Man lässt Banküberfälle und Verfolgungsjagden links liegen und macht sich stattdessen als Spaziergänger und Fototourist auf den Weg.

Aber das sollte niemanden abschrecken. Denn gerade zu Fuß wird „GTA V“ so zu einer Erfahrung der anderen Art. Anstatt wie bisher als körperloser Geist hinter einem der drei Psychopathen durch die Luft zu schweben, mit denen man sich in „GTA V“ identifizieren soll, fühlt man sich nun selbst in die Welt von Los Santos hineinversetzt. Man begegnet anderen Spielfiguren auf Augenhöhe, die Größenverhältnisse entsprechen denen der Realität, und man kann ganz nah ran gehen an die Dinge, sich Schaufensterauslagen und Graffiti, die Notizen an Laternenmasten oder die Struktur verknorrter Bäume genauer anschauen.

Das lädt dazu ein, Banküberfälle und Verfolgungsjagden links liegen zu lassen und sich stattdessen als Spaziergänger und Fototourist auf den Weg zu machen. Erstaunt kann man dabei feststellen, wie friedliebend und gewöhnlich es in den Wohnvierteln und Gewerbegebieten von Los Santos zugeht. Was als detailversessene Kulisse für Gewaltverbrechen gedacht war, entpuppt sich als verblüffende Simulation von Normalität: Vor den Häusern gut situierter Bürger stehen Gartenzwerge Spalier; Hunde bellen Passanten an, ohne zu beißen; Obdachlose schlafen unter Autobahnbrücken; und am Strand trifft man auf Hipster, die entspannt auf die Wellen starren und einfach mal nichts machen außer zu rauchen oder ihren Sozialstatus per Smartphone abzugleichen. Wer hätte gedacht, dass man in einem Action-Game so viel Ruhe finden kann?

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Aber Vorsicht: Wer in der falschen Gegend den falschen Leuten zu lange ins Gesicht starrt, hat schnell Ärger am Hals.

Möchte man Impressionen aus dieser pittoresken Parallelwelt als Andenken mitnehmen, kann man dafür den Fotomodus des Ingame-Mobiltelefons nutzen, das mit Fokus, Zoom und Filtern ausgestattet ist. Noch schneller reagiert man auf sich spontan anbietende Motive, wenn man einfach einen Screenshot macht. Störende Bildschirmanzeigen und Untertitel sollte man vorher jedoch ausschalten. Besonders Architekturfotografen dürften am First-Person-Modus von „GTA V“ ihre Freude haben. Die sich ständig ändernden Wetterverhältnisse und der Wechsel von Tag und Nacht setzen glitzernde Wolkenkratzer und abbruchreife Wohnruinen gleichermaßen ins rechte Licht. Bürotürme und verlassene Industrieanlagen entfalten ihren tristen Charme. Naturliebhaber wiederum können Wanderungen unternehmen und sich ganz der Landschaftsfotografie hingeben.

Und sogar Milieustudien und Portraitaufnahmen sind möglich. Aber Vorsicht! Wer in der falschen Gegend den falschen Gestalten zu lange ins Gesicht starrt, hat schnell Ärger am Hals. Auch Hillbillies mögen es nicht, wenn man ihre mobilen Eigenheime ungefragt ablichtet. In solchen Situationen findet „GTA V“ schnell wieder zu seiner angestammten Bestimmung als Eskalationsmaschinerie zurück. Aber das kennt man ja bereits.

„Grand Theft Auto V“ mit First-Person-Modus ist für Playstation 4 und Xbox One erhältlich. Eine Version für PC erscheint am 27. Januar 2015. 

 

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