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Zukunft des Social Web / Emojis vor Gericht

von Sonja Peteranderl
Pistolen, Totenköpfe, Dollarbündel: Auch Drogendealer und andere Kriminelle lieben Emojis. Die niedlichen Symbole können deswegen zu relevanten Beweismitteln vor Gericht werden.

Am 18. Januar um drei Uhr morgens stand bei Osiris A., einem 17-jährigen Teenager aus New York, plötzlich die Polizei vor der Tür. Der Vorwurf: terroristische Drohungen. Das Verhalten des Beschuldigten habe dazu geführt, dass New Yorker Polizeibeamte „um ihre Sicherheit fürchten mussten, ebenso um die öffentliche Sicherheit und dass sie Alarmbereitschaft und Ärger erleiden mussten“, hieß es in der Anklageschrift.

Ein paar Tage vorher, am 15. Januar, hatte Osiris A. auf Facebook Morddrohungen gepostet — inklusive Emojis. Er veröffentlichte das Gesicht eines Polizisten, auf den Pistolen zielen, dazu schrieb er Ankündigungen wie „feel like katxhin a body right now“. Sein Facebook-Konto war öffentlich zugänglich, jemand informierte daraufhin die Polizei.

 

Dass Emojis zu Strafverfolgung führen können, klingt absurder, als es ist. Denn die bunten, visuellen Piktogramme, die in Japan entwickelt wurden und heute bei Smartphones, aber auch sozialen Netzwerken wie Facebook integriert sind, gehören längst zur Alltagskommunikation. In Chats, SMS oder E-Mails vermitteln wütende, lachende oder winkende Gesichter, aber auch Tiere und andere Icons Botschaften, ergänzen, ersetzen, betonen oder ironisieren den geschriebenen Text. Und sie bilden Lebenswelten ab: Apple hat inzwischen Gesichter mit verschiedenen Hautfarben eingeführt, Unternehmen wie IKEA bieten ihre Produkte vom Fleischbällchen bis zum Regal als Emojis zum Download an.

Aber auch Kriminelle kommunizieren mit den Symbolen. Kronen, Geldbündel und Pistolen sind zum Beispiel bei jungen Mitgliedern der mexikanischen Drogenkartelle auf Twitter und Facebook sehr beliebt. Nur das AK-47-Sturmgewehr müssen die Gangster sich aus Gedankenstrichen zusammenbasteln — das Standard-Schusswaffen-Emoji ist nur ein kümmerlicher Revolver. „Sie müssen ein neues Waffen-Emoji machen, ich bin es leid, immer mit diesen Bitches zu schießen, mit diesem alten, blöden .38er-Kaliber“, regt sich ein US-Gangster bei Twitter auf.

Emoticons sind Teil der Beweiskraft des Dokuments.

Richterin im Silk-Road-Prozess

Die Piktogramme ernstzunehmen ist also nicht absurd, sondern zeitgemäß. Auch vor Gericht spielen Emojis als Bestandteil von mobiler Kommunikation und Unterhaltungen im Netz immer häufiger eine Rolle. Beim Prozess gegen den Betreiber der Darknet-Drogenhandelsplattform Silk Road im Januar und Februar 2015 zählten Chats, ein Onlinetagebuch und OKCupid-Nachrichten zum Beweismaterial. Joshua L. Dratel, der Anwalt des Angeklagten, forderte, dass sich die Ankläger die Chat-Protokolle genau durchlesen sollten. Weil die Aussagen beim Lesen anders wirken würden als beim Hören und Betonungen durch großgeschriebene Buchstaben, Wiederholungen von Satzzeichen oder eben Emoticons und Emojis „nicht zuverlässig oder angemessen vermittelt werden können“.

Die Richterin Katherine B. Forrest lehnte dies zwar ab, da zum Beispiel auch Protokolle von mitgeschnittenen Telefongesprächen vorgelesen und so ebenfalls nicht eins zu eins wiedergegeben würden. Allerdings ordnete sie an, dass die Jury „Punktierung und Emoticons berücksichtigt“ und auf diese hingewiesen wird. Jedes Mal, wenn etwa ein Smiley am Ende eines Satzes stand, wurde „Emoticon“ vorgelesen. „Das ist Teil der Beweiskraft des Dokuments“, begründete die Richterin ihre Entscheidung.

Emojis sind allerdings kniffelige Indizien, bei denen der Interpretationsspielraum groß ist. Natürlich ist nicht jeder, der auf Twitter und Facebook einem Smiley einen Revolver an die Kopf hält, gleich ein potentieller Mörder oder Suizidkandidat. Bei einem strittigen amerikanischen Fall, bei dem ein Mann seine Frau auf Facebook bedroht, zum Teil aber Zeilen aus Rap-Songs übernommen hatte, wurde etwa diskutiert, wie ein Emoji mit heraushängender Zunge zu werten sei. Sollte alles nur ein Witz sein?

Bei Osiris A. führten nicht allein die Emoji-Drohungen zur Festnahme.

Für Ermittler, Richter und Anwälte sind Emojis eine neue Herausforderung — doch sie bleiben nur Informationen innerhalb eines ganzen Bündels von Indizien, die bewertet und gewichtet werden müssen. Auch bei Osiris A. aus New York führten nicht die Emoji-Drohungen allein zur Festnahme: Auf Facebook hatte der Teenager Fotos von sich mit Drogen und einer Waffe gepostet und sich mit seinem Gangsterleben gebrüstet: „Ich bin der Boss und ich breche immer das Gesetz“, schrieb er etwa im Dezember. Zuvor war er schon zwölfmal straffällig geworden, mit Waffenbesitz, Überfällen und Körperverletzung.

Die New Yorker Polizei war in dieser Zeit ohnehin in Alarmbereitschaft: Einen Monat zuvor, am 20. Dezember 2014, hatte der 28-jährige Ismaaiyl Abdullah B. zwei Polizisten in ihrem parkenden Auto getötet und sich wenig später selbst erschossen. Es sollte ein Racheakt für Eric Garner sein, den Polizisten im Juli 2014 mit einem Würgegriff erstickt hatten, und dessen Tod Massenproteste gegen Rassismus und Polizeigewalt ausgelöst hatte. Auch Ismaaiyl Abdullah B. hatte seine Morde mit Emojis wie Pistolen, die auf Köpfe von Polizisten zielen, angekündigt. „Ich werde Schweinen heute Flügel verleihen“, schrieb er auf Facebook. „Sie haben einen von uns genommen, lasst uns zwei von ihnen nehmen. Dies könnte mein letzter Post sein“ — es folgt eine feuernde Emoji-Pistole.

Auch in der Wohnung von Osiris A. beschlagnahmten die Ermittler bei seiner Festnahme einen Smith & Wesson-Revolver Kaliber .38 und 25 Gramm Marihuana, verkaufsbereit abgepackt. Die Anklage wegen terroristischer Drohungen wurde inzwischen fallengelassen, der Teenager muss sich nun nur noch wegen Besitzes illegaler Waffen und Drogen verantworten. 

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