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Was es über Tarantino aussagt, dass alle seine Filme im selben Universum spielen

von Dirk Peitz
Quentin Tarantino hat zugegeben, dass seine Filme alle im gleichen Universum spielen. Damit bestätigt der Regisseur und Drehbuchautor die (Verschwörungs-)Theorien seiner Bewunderer und zeigt: Er ist selbst (leider) auch nur ein Fan.

„Star Wars“ ist schuld, wie so oft. Besser gesagt: Es muss schuld sein. Denn wirklich wissen kann man es nicht. Aber weil ja alles immer mit allem zusammenhängt, zusammenhängen muss, kann es also gar nicht anders sein als so: „Star Wars“ ist schuld daran, dass der Regisseur und Drehbuchautor Quentin Tarantino nun zugegeben hat, dass seine Filme alle im gleichen Universum spielen.

Was „Stars Wars“ damit zu tun hat? Nun, seit es „Star Wars“ gibt, also den ersten Film aus dem Jahre 1977, gibt es im modernen Kino Fortsetzungen, enden viele Geschichten also einfach nicht mehr. Sie gehen weiter, und zwar in dem konkreten Fall damit, dass in immer neuen Filmen immer neue Verwandtschaftsverhältnisse in ein und derselben Familie enthüllt werden, den Skywalkers. Wären deren Mitglieder bloß netter zueinander und mehr füreinander da, statt sich gegenseitig zu verraten oder gar zu töten, hätte es die bislang sechs Fortsetzungen gar nicht gebraucht. „Star Wars“ ist am Ende eben nichts als die gigantische Auswalzung der ursprünglichen Trauer von George Lucas, dass die Familie als kleinste Einheit in der modernen Welt nicht  mehr so funktioniert, wie sie es früher angeblich getan hat.

Alles hängt mit allem zusammen, muss miteinander zusammenhängen. Es kann also doch wohl kein Zufall sein, dass Quentin Tarantino nun kurz nach dem Kinostart von „Star Wars: Das Erwachen der Macht“ damit herausrückt, dass die seit langem kursierenden Fan-Theorien über seine Filme stimmen und zum Beispiel Vic Vega (Michael Madsen) aus „Reservoir Dogs“ und Vincent Vega (John Travolta) aus „Pulp Fiction“ wirklich Brüder sind. Und wären die beiden Vega-Jungs zusammen ins Kino gegangen, sagte Tarantino nun außerdem in einer australischen Talkshow, dann hätten sie sich ganz bestimmt Tickets für den Tarantino-Film „Kill Bill“ gekauft.

Wären alle Figuren von Samuel L. Jackson miteinander blutsverwandt — was für ein Stammbaum!

Was wiederum bedeutet, dass die beiden „Kill Bill“-Filme (2003 und 2004) in der Zeitrechnung, die im des Tarantino-Universum herrscht, vor „Reservoir Dogs“ (1992) und „Pulp Fiction“ (1994) existiert haben müssen. Denn die Vega-Brüder sterben ja in ihren jeweiligen Filmen, können also nur vor „Reservoir Dogs“ mal zusammen im Kino gewesen sein, statt anderen Leuten die Ohren abzuschneiden oder was von Viertelpfündern und Mayonnaise zu erzählen.

Uma Thurman wiederum, die in „Pulp Fiction“ die gescheiterte Schauspielerin Mia Wallace gibt, wäre demnach als Protagonistin von „Kill Bill“ quasi eine logische Film-im-Film-Figur: Mia hätte theoretisch die Heldin Beatrix Kiddo in „Kill Bill“ gespielt — obwohl es in „Pulp Fiction“ heißt, Mia sei als Schauspielerin nur mal in einem nichtgesendeten Serienpiloten aufgetreten, bevor sie Ehe- und letztlich Hausfrau wurde. Aber man muss es jetzt auch nicht so genau nehmen, das schadet der besten Fan-Theorie.

Kompliziert? Nicht im Vergleich dazu, die Realer-Schauspieler-fiktionale-Figur-Logik mal auf Samuel L. Jackson anzuwenden. Der hat nach „Pulp Fiction“ noch in oder an den Tarantino-Filmen „Jackie Brown“, „Kill Bill 2“, „Inglourious Basterds“ (als Erzählerstimme), „Django Unchained“ und nun „The Hateful Eight“ (Kinostart 28. Januar) mitgewirkt. Und außerdem noch in „True Romance“ mitspielte, für den Tarantino das Drehbuch geschrieben, bei dem er aber nicht Regie geführt hat. Wären all die Figuren, die Jackson schon für Tarantino verkörpert hat, in irgendeiner Weise miteinander in der Fiktion blutsverwandt — das wäre wirklich kompliziert. Was für ein Verwandtschaftsstammbaum!

Fan-Theorien sind nichts anderes als Verschwörungstheorien der harmloseren Sorte.

Quentin Tarantino hat mit der Behauptung, seine Filme spielten in ein und demselben Universum, also letztlich etwas ganz anderes bestätigt als Fan-Theorien: Er hat bestätigt, dass er auch nur ein Fan ist. Lustigerweise einer seiner eigenen Filme. Fan-Theorien aber sind nichts anderes als Verschwörungstheorien der harmloseren Sorte (weil sie nicht um reale Geschehnisse herum gestrickt sind, sondern nur die Fiktion). Und die erste und wichtigste Hypothese jeder Verschwörungstheorie lautet: Alles hängt mit allem zusammen, muss miteinander zusammenhängen. Denn sonst funktioniert die Theorie nicht.

Letztlich steckt hinter allen Fan- und böseren Verschwörungstheorien der Glaube an eine Hermetik der Welt, wie sie alle okkulte Glaubensformen seit der Antike gepredigt haben: Ein transzendentales Band, eine unbestimmte, weil unbestimmbare Kraft, also Gott durchdringt und verbindet alles und jeden. Die Lebewesen und Dinge auf der Welt bildeten demnach eine ursprüngliche Einheit, ein komplexes System — das der Mensch jedoch in seiner ganzen grauenhaften Unvollkommenheit wieder und wieder stört, bedroht, am Ende zerstören wird.

Gegen die Apokalypse, das haben den Gläubigen von heute, also den Fan die Fortsetzungsfilme und Fernsehserien gelehrt, hilft nur die Einheit der Erzählung, — die Logik des Seriellen.

Die Apokalypse wird mit jeder Fortsetzung weiter vertagt.

Alles hängt mit allem zusammen, muss miteinander zusammenhängen: Das ist die Forderung, die Fans an jedes Werk stellen. Sie ertragen es nicht, wenn ein Handlungsstrang im Nirgendwo versandet. Alle Fäden müssen stets irgendwann verknüpft und verknotet werden, sonst droht der Erklärungsnotstand. Und am besten endet es nie. Disney, der neue Besitzer der „Star Wars“-Rechte, hat zum Glück für alle Fans versprochen, dass „Star Wars“ einfach immer weitergehen werde, mit zusätzlichen Nebenerzählungsfilmen. So wird auch die Galaxis weiterexistieren, in dem „Star Wars“ spielt. Die Apokalypse wird mit jeder Fortsetzung weiter vertagt.

Demgegenüber hat Quentin Tarantinos Universum leider das Problem, dass sein Erfinder und Alleinerzähler ein Mensch ist, der als Autorenfilmer nicht nur begrenzte Arbeitskapazitäten hat im Vergleich zu einem Riesenkonzern wie Disney. Sondern außerdem sterblich ist. Das hat Tarantino offensichtlich auch verstanden: Vor anderthalb Jahren hat er ja schon angekündigt, nur zehn Filme machen zu wollen und danach aufzuhören. Das bedeutet: Nach „The Hateful Eight“ kommen nur noch zwei, dann ist Schluss. Und Tarantinos Universum ist auserzählt. Damit hätte er sich, bevor er sich nun als Fan outete, schon mal als Anti-Fan geoutet.

Wie das zusammengeht? Vielleicht ist ja auch dieser Text hier nichts anderes als eine verschwörungstheoretische Erzählung. Und leider nicht mal eine, die am Ende alle ihre Fäden verknüpft bekommt. Aber wenigstens ist sie an dieser Stelle: zu Ende. 

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