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Neues vom Admin / Die nervigsten Zombies der Netzpolitik

von Armin Hempel
Mit dem nächsten Anlauf zur Vorratsdatenspeicherung, der erst kürzlich erfolgten Abschaffung der Netzneutralität und der geplanten Wiedereinführung des Leistungsschutzrechts machen die Parlamente das Netz kaputt. Und die Telekom-Unternehmen werden zu ihren Erfüllungsgehilfen.

Es ist doch zum Mäusemelken! Kurz nach Halloween sind wir mit so vielen netzpolitischen Zombies konfrontiert wie schon lange nicht mehr. Die Wiederauferstehung der Vorratsdatenspeicherung wurde vergangene Woche im Bundestag verabschiedet, die Abschaffung der Netzneutralität vor zwei Wochen durchs EU-Parlament gewinkt, und die EU-Kommission arbeitet an einem neuen Versuch, das Leistungsschutzrecht durchzusetzen. Ich kann es einfach nicht mehr hören!

Dieser wieder und wieder ausgegrabene Unfug zerrt an meinen Nerven. Als Admin bin ich häufig genug damit beschäftigt, genau diese Überwachungsmechanismen und die Bevorzugung von bestimmten Diensten im Rahmen von Sicherheits-Audits oder Quality-of-Service-Maßnahmen in Unternehmensnetzwerke einzubauen. Auch im privaten Bereich möchten zum Beispiel viele Eltern von mir wissen, wie sie den Internetkonsum ihrer Kinder am einfachsten einschränken und überwachen können oder was sie tun müssen, um die Kleinen jederzeit zu orten. Sozusagen die Miniaturvariante von abgeschaffter Netzneutralität, Vorratsdatenspeicherung und Totalüberwachung.

Unsere Gesellschaft ist kein Unternehmen und der Staat ist nicht mein Erziehungsberechtigter.

Und genau diese trübe Suppe versuchen unsere Politiker, allen voran Günther Oettinger in seiner Rolle als EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft, uns immer wieder schmackhaft zu machen. Dumm nur, dass unsere Gesellschaft kein Unternehmen und der Staat nicht mein Erziehungsberechtigter ist. Offenbar wurde mit der Ernennung Oettingers der wirtschaftsnahe Bock zum Gärtner gemacht. Bleibt nur zu hoffen, dass weiterhin jeder einzelne Versuch dieser Art von den obersten Gerichten einkassiert wird und sich in der Bevölkerung ausreichend Widerstand regt, um wenigstens die Netzneutralität wiederzubeleben.

Nachdem 2010 das Bundesverfassungsgericht und 2014 der Europäische Gerichtshof alle bis dato verabschiedeten Gesetze und Richtlinien zur Vorratsdatenspeicherung für ungültig erklärt hatten, hätte die Regierung die Gelegenheit gehabt, es gut sein zu lassen und sich als sportlicher Verlierer zu zeigen. Aber nein, weit gefehlt. Am 16. Oktober 2015 wurde vom Bundestag ein neuer Gesetzesentwurf dazu verabschiedet — obwohl schon lange erwiesen ist, dass die Vorratsdatenspeicherung weder von Straftaten abschreckt noch deren Aufklärungsquote erhöht. Wie oft sollen die Gerichtshöfe sie denn noch einkassieren müssen, bis ein für alle Mal klar ist, dass es keine gute Idee ist, alle Bürger unter Generalverdacht zu stellen?

Der nächste Untote ist das Leistungsschutzrecht, das Presseverleger vor systematischen Zugriffen durch Suchmaschinenanbieter schützen soll. Eine fixe Idee, denn die Verlage sind eher auf die Zugriffe über Suchmaschinen angewiesen als umgekehrt. Das Leistungsschutzrecht hat sich nach der Einführung in Deutschland im August 2013 als riesiger Flop herausgestellt und ist durch die Tatsache, dass ausgerechnet der Branchenprimus Google nicht zur Kasse gebeten wird, zu einem Instrument der Wettbewerbsverzerrung geworden, das die Mächtigen begünstigt und von den Schwachen einsammelt. Genau diesen Unsinn bringt nun die EU-Kommission wieder in Form des kürzlich publik gewordenen Entwurfs einer Urheberrechts-Reform auf den Tisch. Oettinger findet das gut. Julia Reda hingegen, Piraten-Abgeordnete im EU-Parlament, spricht in diesem Zusammenhang zurecht von einem „Frontalangriff auf den Hyperlink“ und damit auf die Grundfesten des Internets.

Als würde man sagen: Die Menschenwürde ist unantastbar — mit einigen Ausnahmen.

Auch die Einschränkung der Netzneutralität fügt sich gut in diese Reihe nicht totzukriegender Vorhaben ein. Seit 2013 wird in der EU darüber beratschlagt. Was mit der klaren Idee begann, alle Datenströme gleich zu behandeln, verschob sich bis zur kürzlich vom EU-Parlament abgenickten Verordnung allerdings deutlich: Netzneutralität sollte grundsätzlich vorhanden sein, allerdings mit Ausnahme sehr schwammig definierter Spezialdienste. Das ist dann ungefähr so, als ob man sich darauf einigt, dass die Menschenwürde grundsätzlich unantastbar sein sollte, allerdings mit Ausnahme einiger nicht genau definierter Spezialfälle. Also absoluter Unsinn! Und wer findet das gut? Richtig geraten, auch hier trat erneut Günther Oettinger in Erscheinung, der die Kritiker der Gesetzesentwürfe mal eben mit den Taliban verglich.

Was mir darüber hinaus im Zusammenhang mit der Einführung dieser Spezialdienste Sorgen bereitet, ist der weiterhin nur langsam voranschreitende Netzausbau: Die Provider dürfen bislang ungestraft lahmende „Bis zu“-Tarife und gedrosselte Flatrates verkaufen. Nun ist es ihnen darüber hinaus auch noch erlaubt, von jenen Firmen, die sich über eine zu langsame Leitung zu ihren Kunden beschweren, für die Nutzung der „Überholspur“ auf ihrer Daten-Schlaglochpiste Geld zu verlangen. Je schlechter das Netz insgesamt funktioniert, desto deutlicher werden sich diese Schnellstraßen bemerkbar machen. Und um so größer ist der Anreiz für die Anbieter von Inhalten, dafür tief in die Tasche zu greifen. Welche Motivation bliebe dann noch für die Provider, auch nur einen einzigen Cent in den allgemeinen Netzausbau zu stecken?

Die deutsche Staatsbürgerschaft lässt sich nur schwer kündigen.

Noch einmal zum Mitschreiben: Entscheidet sich ein Unternehmen für die Auswertung von Zugriffsprotokollen oder dafür, dass VoIP-Telefonie oder Videokonferenzen auch dann noch funktionieren sollten, wenn das Netzwerk gerade einmal überlastet ist, dann geht das absolut in Ordnung. Als Angestellter eines solchen Unternehmens habe ich immerhin noch ein Kündigungsrecht, wenn mir diese Art der Überwachung oder der Drosselung widerstreben. Die deutsche Staatsbürgerschaft allerdings lässt sich nur schwer kündigen, obwohl das manchmal das einzige Mittel zu sein scheint, was gegen diesen Wahnsinn noch helfen könnte.

Anstatt uns ewig die gleichen Wiedergänger vorzusetzen, könnten sich die Regierung und allen voran Herr Oettinger doch zur Abwechslung mal darum kümmern, echte Anreize dafür zu schaffen, den Netzausbau schneller voranzutreiben. Noch wichtiger wäre es, Dienste zu fördern oder gar selbst bereitzustellen, die das Internet wieder ein bisschen mehr zu dem machen, was es eigentlich sein könnte und wofür wir es lieben: ein freies und zutiefst demokratisches Medium.

In der letzten Folge „Neues vom Admin“ stellte Admin Armin fest: Der medizinische Teil des Netzes braucht dringend eine Generalüberholung! 

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