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Apple wird 40 – und überlebte nur deshalb, weil Steve Jobs alle Regeln brach

von Karsten Lemm
Am 1. April feiert Apple seinen 40. Geburtstag. Aber dass es etwas zu feiern gibt, liegt nur an einem Mann: dem 2011 verstorbenen Mitgründer Steve Jobs. Drei seiner Entscheidungen retteten nicht nur die Firma, sondern machten Apple zum wertvollsten Unternehmen der Welt. Und von diesem Erfolg können heute alle lernen.

Mit 20 fast am Ende, mit 40 stärker denn je und profitabler als die gesamte Konkurrenz: Das ist die ungewöhnliche Erfolgsgeschichte von Apple, einer Firma, die am 1. April 1976 von zwei Hippie-Kids in einem Tal südlich von San Francisco gegründet wurde. Das Auf und Ab, das folgte, ist legendär. Gleich mit ihrem ersten kommerziellen Produkt, dem Apple II, landeten Steve Jobs und Steve Wozniak einen Welthit: Ihr Rechner wurde zum ersten Homecomputer, der auch Nicht-Bastler begeistern konnte, und machte Apple so erfolgreich, dass die Jungstars sich unbesiegbar wähnten.

Als 1981 auch IBM beschloss, einen Personal Computer auf den Markt zu bringen, begrüßte Apple den Konkurrenten kokett mit dem Werbespruch: „Willkommen, IBM. Ganz im Ernst.“ Nur, um dann schnell festzustellen, dass die Welt doch nicht groß genug für beide war.

Apple verschwand kurz darauf in einer Nische und stand 1996 vor dem Aus. Immer weniger Menschen waren bereit, einen Aufpreis zu zahlen, um dem Macintosh die Treue zu halten. Dass der 1984 vorgestellte Rechner leichter zu bedienen war und sich freundlicher gab als ein Windows-PC, war für die meisten Käufer kein Argument: Denn überwiegend waren Computer zum Arbeiten da. Sie standen im Büro und IT-Manager entschieden, was angeschafft wurde. Da hatte Apple als teurer Außenseiter selten etwas zu melden.

Apples 20. Geburtstag erlebten beide Gründer aus der Ferne. Steve Wozniak war 1981 mit seinem Privatflugzeug abgestürzt und anschließend kaum mehr ins Tagesgeschäft involviert. Er verließ Apple 1985 aus Protest, weil der Vorstand Steve Jobs vor die Tür gesetzt hatte. Beide mussten zusehen, wie eine Reihe blasser, fantasie- und glückloser Manager Apple an den Rand des Ruins führten.

Der Letzte von ihnen, Gil Amelio, holte Jobs zurück. Für 430 Millionen Dollar kaufte er Next, die Firma, die Jobs im Anschluss gegründet hatte — eigentlich, weil er einen Supercomputer für Unternehmen und Unis entwickeln wollte. Doch an dem eleganten, vom deutschen Designpapst Hartmut Esslinger gestalteten Rechenwürfel zeigten nur wenige Interesse. Der eigentliche Wert lag in der Software, dem modernen Betriebssystem, das Apple 1996 dringend brauchte, um verlorenen Boden wieder gutzumachen.

Jobs zögerte nicht lange. Schon ein halbes Jahr nach seiner Rückkehr musste Amelio gehen und Jobs bestimmte wieder die Geschicke seiner alten Firma — auch wenn er die nächsten drei Jahre nur als „Interims-CEO“ (kurz: „iCEO“) fungierte. Er war offiziell damit beschäftigt, das Animationsstudio Pixar mit zu führen, das er 1986 gekauft hatte.

Als erstes schockte Jobs die eigene Gemeinde: Er handelte mit seinem Erzrivalen Bill Gates einen 150-Millionen-Kredit von Microsoft aus. Apple machte hohe Verluste und brauchte das Geld. Aber mehr noch brauchte Apple die Zusicherung von Microsoft, dass es auch in Zukunft eine Macintosh-Version von Microsoft Office geben würde. Denn dies waren die Glanzzeiten der PC-Ära — und der PC gehörte Microsoft.

Das allerdings sollte sich ändern. Drei Entscheidungen, die Jobs in den kommenden Jahren fällte, stellten die Computerwelt auf den Kopf und machten aus dem beinahe bankrotten Unternehmen das erfolgreichste, teuerste und profitabelste Unternehmen, das die Wirtschaft heute kennt. Bei 234 Milliarden Dollar Umsatz blieben im jüngsten Geschäftsjahr knapp 54 Milliarden Dollar Gewinn übrig — fast so viel wie das Bruttosozialprodukt von Bulgarien.

1. Mein Rechner, mein Leben

Kaum wieder bei Apple, ging Jobs daran, den Computer aus dem Arbeitszimmer in die Stube zu holen. Ein junger Designer namens Jonathan „Jony“ Ive war ihm aufgefallen. Zusammen mit dem gebürtigen Briten brütete Jobs einen Rechner aus, der ganz anders war als die grauen Kisten von Dell, HP und vielen anderen. „Think different“ hatte der neue Apple-Chef als Werbespruch für seine Firma ausgerufen und diesen Computer iMac getauft — in Anlehnung an das Internet (und vielleicht auch den iCEO).

Der iMac kam quietschbunt daher, fröhlich kurvig und ließ tief blicken: Das transparente Gehäuse zeigte, wie es im Innern des Computers aussah und signalisierte, dass man vor dieser Maschine keine Angst haben muss. Der iMac begrüßte seine Nutzer nicht nur freundlich mit einer Fanfare und einem Lächeln auf dem Bildschirm, wie es Macintosh-Rechner getan hatten, sondern war beinahe moderne Kunst. Es machte gute Laune, den iMac anzuschauen und deshalb gehörte er mitten ins Leben — nicht weggesperrt ins Büro.

Das Internet kam Jobs zu Hilfe: Wer surfen wollte, musste den Rechner immer in der Nähe haben.

Das Internet spielte Jobs in die Hände: Wer surfen wollte, musste den Computer in der Nähe behalten und der iMac signalisierte schon mit seinem eingebauten Griff: „Ich bin immer für dich da.“ Eigentlich hatten die Ingenieure protestiert, denn der Henkel schien ihnen überflüssig: Trieb er nicht einfach nur die Produktionskosten in die Höhe? Jobs aber widersprach, so berichtet sein Biograf Walter Isaacson: Er wollte ein Signal setzen, dass diese Maschine „nichts dagegen hat, wenn man sie anfasste“.

Die Hardware ergänzte Apple bald mit Software: Jobs ließ zunächst iMovie entwickeln, ein Programm zum Bearbeiten von Heimvideos, die sich dank iDVD in halbwegs professionell wirkende DVD-Produktionen verwandeln ließen. Mit iPhoto, Garage Band und iWeb war bald das ganze iLife-Paket komplett: Macintosh-Nutzer bekamen alles, was sie brauchten, um ihr Leben digital zu leben. Und zwar gratis — sie mussten sich nur für Apple entscheiden.

Plötzlich wirkte der traditionelle Aufpreis, den die Kalifornier weiterhin verlangten, viel eher gerechtfertigt. Wer einen iMac kaufte, erhielt im Gegenzug das Versprechen für schönes Design, einfache Bedienung und sorglose Benutzung: „It just works“, lautete der Werbespruch der Marke damals.

All das sind Dinge, die zählen, wenn der Computer in den Mittelpunkt des Alltags rückt und man zu Hause keine IT-Abteilung hat, die bei Problemen schnell zur Stelle ist. Jobs gab seinen Kunden später sogar noch die Support-Abteilung kostenlos dazu — in Form der „Genius Bar“ im Apple Store. Schritt für Schritt positionierte Apple sich als bester Freund seiner Nutzer im digitalen Alltag. Den Durchbruch brachte der Erfolg des iPods und des iPhones.

2. Erlebnisse strahlen heller als Produkte

Am 23. Oktober 2001 stand der Apple-Chef in der Firmenzentrale in Cupertino vor der Presse und stellte einen Musikspieler vor, der auf seiner winzigen Festplatte bis zu 1000 Lieder unterbringen konnte. „Dies ist ein Quantensprung“, prahlte Jobs. „Jetzt passt Ihre gesamte Musiksammlung in die Hosentasche. So etwas wie den iPod hat es noch nie gegeben.“

Der iPod war nicht der erste MP3-Player, aber er wurde schnell der erfolgreichste. Jobs hatte erkannte, dass Hardware allein nicht reicht, genau so wichtig war die Software iTunes. Erst das reibungslose Zusammenspiel aus beidem machte Musikhören mit dem iPod zum Vergnügen. Andere Hersteller verkauften Geräte, Apple verkaufte ein Erlebnis. Der iPod war für 400 Dollar nicht gerade billig und erntete anfangs reichlich Spott — doch bald zeigte sich, dass viele Musikfans bereit waren, für dieses Erlebnis einen Aufpreis zu zahlen.

Dennoch wäre Apples Erfolg von heute undenkbar, hätte Steve Jobs nicht beschlossen, iPod und iTunes auch Windows-Nutzern anzubieten — samt dem damals noch neuen iTunes Music Store zum Einkaufen und Herunterladen von Songs. „Die Hölle ist gerade zugefroren“, kommentierte Jobs selbstironisch im Oktober 2003, denn zum ersten Mal war Apple aus seinem eigenen Gehege ausgebrochen und hatte sich in die Windows-Welt vorgewagt.

Jobs soll lange mit der Entscheidung gerungen haben, Apple so weit zu öffnen. Die volle Kontrolle über das Nutzer-Erlebnis zu behalten, gehört bei Apple von jeher zum Konzept. Die dahinter liegende Argumentation: Nur weil die Ingenieure genau wissen, welche Chips, Grafikkarten und Displays in der Hardware stecken, können sie Apples Software haargenau darauf abstimmen.

Doch erst als Jobs gezielt eine Ausnahme machte, gewann die Erfolgsgeschichte seines Comebacks wirklich Fahrt. Im Zusammenspiel mit Windows erreichte der iPod plötzlich die mehr als 90 Prozent der Computer-Nutzer, die keinen Macintosh besaßen — und brachte später so manchen dazu, auf Apple umzusteigen.

Das Projekt, das Jobs als nächstes anging, hatte ein unerhörtes Ziel: Sein Erfolg würde bedeuten, den größten Hit in der Unternehmensgeschichte, den aktuellen Gewinnbringer Nummer eins, zur Bedeutungslosigkeit zu verdammen.

3. Angriff von innen

„Heute werden wir zusammen Geschichte schreiben“, begrüßte er auf der Bühne sein Publikum, das aufgeregt klatschte und johlte. 20 Minuten ließ Steve Jobs sie zappeln, bevor er gleich drei „revolutionäre neue Produkte“ ankündigte: einen „Breitbild-iPod mit Touch-Kontrolle“, ein „revolutionäres Mobiltelefon“ und ein „bahnbrechendes Internet-Kommunikationsgerät“. Nicht gerade elegant formuliert, aber den Begriff Smartphone gab es damals noch nicht. Apple hatte diese Kategorie gerade erfunden. Wieder und wieder zählte Jobs die drei Funktionen auf, bis es jeder kapiert hatte: Die drei Geräte waren in Wahrheit ein und dasselbe.

Und so banal das heute klingen mag, im Januar 2007 ging Apple mit dem iPhone ein enormes Wagnis ein. Handys waren fest in der Hand der Netzbetreiber, die den Herstellern wie Nokia, Ericsson und Siemens die Bedingungen diktierten. Bis Apple kam und den Spieß umdrehte. Durch geschickte Verhandlungen gewann Jobs den US-Giganten AT&T als Exklusivpartner, der anfangs als Einziger in den USA das iPhone anbieten konnte. 

Mag sein, dass die AT&T-Manager geblendet waren vom Charme des Apple-Chefs, dem nachgesagt wird, er habe ein „reality-distortion field“ besessen: Wer ihm gegenüber saß, sah die Welt durch seine Augen, ließ sich einfangen und verführen. Mit AT&T an seiner Seite fiel es Jobs leicht, in anderen Ländern weitere Netzbetreiber zu finden. Darunter für Deutschland die Telekom.

500 Dollar? Das ist das teuerste Telefon der Welt!

Steve Ballmer, ehemaliger Microsoft-Chef

Alle stellten bald fest, dass Apples Erfolg eine Eigendynamik entwickelte: Die Kunden rissen sich um das iPhone. Sie wollten Musik hören, Apps ausprobieren, im Internet surfen — jederzeit und an jedem Ort. Alles spielte sich rund um iTunes und den App Store ab. Apples Welt, in der Apples Regeln galten, nicht die Regeln von AT&T, der Telekom oder Telefónica. Bis heute ist das so, und die Netzbetreiber haben ihre Macht längst verloren — zunächst an Apple, dann auch an Google und Android.

Applaus für das iPhone gab es anfangs vorwiegend von Apple-Fans, einer 2007 noch überschaubaren Gruppe. Keinesfalls groß genug, um das finanzielle Abenteuer zum Erfolg zu machen. Der damalige Microsoft-Chef Steve Ballmer verlachte die Herausforderung: „500 Dollar? Das ist das teuerste Telefon der Welt!“, mokierte er sich in einem TV-Interview. Niemand werde so etwas kaufen, schon gar nicht Unternehmen, „denn es hat keine Tastatur und damit ist es kein besonders gutes Gerät für E-Mail“.

Ähnlich schlecht dachten viele über das iPhone. Der Brite Kevin Ashton, Erfinder des Begriffs „Internet der Dinge“, beschreibt in seinem Buch How To Fly A Horse eine Besprechung bei einem (ungenannten) Handy-Hersteller, in dessen Aufsichtsrat er saß: „Einige Monate nachdem das iPhone herausgekommen war, traf sich der Aufsichtsrat. Und ich fragte, was das Unternehmen davon halte. Der Leitende Ingenieur sagte: ,Es hat ein wirklich schlechtes Mikrofon.‘“

Über Jahre hinweg klagten viele iPhone-Nutzer, dass ihr Handy für so ziemlich alles tauge, nur nicht zum Telefonieren.

Das stimmte. Über Jahre hinweg klagten viele iPhone-Nutzer, dass ihr Handy für so ziemlich alles tauge, nur nicht zum Telefonieren. Aber genau das war das große Missverständnis, dem viele traditionelle Handy-Hersteller aufsaßen: Sie dachten, Mobiltelefone sollten zum Telefonieren und SMS-Verschicken da sein. Steve Jobs und sein Team erkannten früher als die meisten anderen, dass die Zeit reif war für Taschencomputer mit Internetanschluss, die unter anderem auch telefonieren können.

Selbst diese Einsicht aber hätte wenig genutzt, wäre Steve Jobs nicht bereit gewesen, den beachtlichen Erfolg von heute aufs Spiel zu setzen, um morgen allen anderen davon zu laufen. Im Geschäftsjahr 2006 verdankte Apple 40 Prozent seiner Einnahmen dem iPod. Welcher Firmenchef würde es wagen, solch ein goldenes Kalb zu schlachten — selbst wenn absehbar ist, dass der Erfolg nicht ewig halten kann, weil die Welt sich rasant verändert?

„Lieber machen wir uns selbst Konkurrenz, als dass wir das anderen überlassen“, verkündet auch Jobs’ Nachfolger, der heutige Apple-Chef Tim Cook. Aber diese Haltung ist die Ausnahme. Der Harvard-Ökonom Clayton Christensen hat dem Problem den Namen „Innovator’s Dilemma“ gegeben: Das Neue scheint anfangs so klein und unbedeutend, dass es vernachlässigbar wirkt. Es bringt nicht genug Geld, um das bestehende Geschäft zu ersetzen, also investieren Firmen lieber in die Produkte, die ihnen im nächsten Jahr Gewinn versprechen, nicht in zwei oder fünf Jahren. Wenn überhaupt.

Bis es zu spät ist. Die erste Digitalkamera baute 1975 der Kodak-Ingenieur Steve Sasson. Doch seine Chefs ließen die Erfindung in der Schublade verschwinden: Kodak verdiente hervorragend am Filmgeschäft — warum Geld in die Entwicklung einer Erfindung stecken, die Film eines Tages überflüssig machen würde? Eines fernen Tages, der immer nur schemenhaft am Horizont zu sehen ist. Bis es zu spät war. Heute ist Kodak ein Schatten seiner selbst.

Und plötzlich schwächelt auch das iPhone: Apple erwartet einen Rückgang der Verkaufszahlen.

Auch Apple wird sich vorsehen müssen, nicht in diese Falle zu tappen. Bei aller vermeintlichen Stärke häufen sich die Zeichen, dass dem Überflieger aus Cupertino frische Ideen fehlen. Die Apple Watch bleibt ein Jahr nach ihrer Einführung eine Randerscheinung: von Technikfans begehrt, kein Flop, aber auch kein Mainstream-Erfolg wie der iPod und das iPhone. Apple TV hat sich gefühlt seit Jahren kaum verändert. Zum ersten Mal vorgestellt wurde es im Januar 2007, gemeinsam mit dem iPhone. Beim Trend-Thema Virtual-Reality sind Rivalen wie Facebook und Google die Taktgeber, von Apple ist bisher wenig zu sehen. Und plötzlich schwächelt auch das iPhone: Zum ersten Mal erwartet Apple für die nahe Zukunft einen Rückgang der Verkaufszahlen.

Nichts davon muss Tim Cook und seinen 110.000 Mitarbeitern die Champagnerlaune verderben. Durchaus denkbar, dass wir ohne jene Apple-Dienste, die jetzt noch leicht zu übersehen sind, eines Tages gar nicht mehr leben wollen — Apple Pay etwa, den Bezahlservice, der das iPhone zur Geldbörse machen soll, oder das Healthkit als Schnittstelle zu den eigenen Gesundheitsdaten. Klar ist nur: Wenn Apple zum 50. Geburtstag noch so fit sein will wie jetzt zum 40., dann muss sich das Führungsteam um Cook ähnlich weitsichtig und risikofreudig zeigen, wie Steve Jobs es war. 

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