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Chaos Communication Congress / Hacker, die auf Kochtöpfe starren

von Caspar Clemens Mierau
Was haben 3D-Druck und Kochen gemeinsam? Beides sind Themen die auf Hacker-Congressen behandelt werden. Die Verbreitung des 3D-Drucks der letzten Jahre könnte sich nun für automatische Kochgeräte wiederholen. Ein Vortrag auf dem 31. Chaos Communication Congresses gab einen Einblick.

Der Maschinenbau-Ingenieur Alexis Wiasmitinow steht am Rednerpult neben einem Gerät, das nicht nur zufällig wie ein Schnellkochtopf mit Bildschirm aussieht: Er referiert über seine Vision einer automatisierten Küche von morgen. Das tut er nicht zum ersten mal. Schon vor zwei Jahren stellte er auf dem Hacker-Congress den Prototypen der automatischen Multifunktions-Kochmaschine »EveryCook« vor. Nun sieht das Gerät deutlich ausgereifter aus und die Pläne werden konkreter.

Schneiden, Häckseln, Wiegen, Kochen - wenn es nach Wiasmitinow und seinem Schweizer StartUp-Team geht, sollen möglichst viele Kochschritte automatisiert werden. Das meiste kann die EveryCook-Hardware bereits. Diese wird in kurzen Spot vorgestellt:

Genauso wichtig ist die Software, die eine automatisierte Zubereitung erst ermöglicht. Grundlage dafür sind neben der Programmierung Daten: Rezepte, Nährwerte und Sensorik machen das Kochen maschinenlesbar. Wie das aussehen kann, zeigt die EveryCook-Rezept-Datenbank DigiMeals, die Rezepte wie Steinpilzrisotto als Zubereitungsgrundlage für das Gerät vorhält.

Es soll ein Ökosystem entstehen, das Unterstützung vom Einkauf bis zur Diät bietet

Das EveryCook Team möchte aber mehr als nur Rezepte mit einer automatischen Multifunktions-Kochmaschine zu verbinden. Es soll ein Ökosystem entstehen, das Unterstützung vom Einkauf bis zur Diät bietet. Ob man regionale Zutaten bestellen möchte, darauf achten muss, dass die Ernährung koscher oder vegan ist oder CO2-neutral gekocht wird: Geht es nach dem Schweizer StartUp, wird EveryCook die Schnittstelle für all diese Anforderungen. Selbst das Verschenken zu viel gekaufter Zutaten möchte das Projekt vereinfachen.

Man fragt sich beim Zuhören, ob so viele Funktionen überhaupt sinnvoll umsetzbar sind. Doch Wiasmitinow ist zuversichtlich. Zwar brachte es ein Indiegogo-Crowdfunding Anfang des Jahres nur auf knapp 16.000 statt 100.000 Dollar, aber der Elan ist noch nicht gewichen. Der Vortrag wirkt damit auch wie eine interaktive Investoren- und Mitarbeiter-Werbung. Diesen Status hatten die heute gesetzten 3D-Drucker von »MakerBot« einst auch auf dem CCC-Congress.

Ein wenig erinnert der halbstündige Kochgeräte-Vortrag an Loriots Sketch über den Besuch eines Staubsauger-Vertreters.

Und in der Tat: Wiasmitinow verweist bei einem Blick auf andere Projekte darauf, dass die Firma Vorwerk mit ihrer Multifunktions-Küchenmaschine »Thermomix« technologisch weit vorn ist. Dieses Jahr erst hat sie ein neues digitales Modell vorgestellt (und von Kunden nicht nur erfreutes Feedback wegen der fehlenden Ankündigung erhalten). Der Werbespot für das Gerät wirkt wie der Trailer für den nächsten StarWars-Film.

Freier Wissenstausch - auch bei Kochrezepten.

Abgesehen von der Machart des Trailers: Vorwerk hat mit dem Thermomix immerhin ein halbes Jahrhundert Erfahrung mit automatischen Kochmaschinen. Das noch nicht digitale Thermomix-Vorgängermodell verkaufte sich allein 2013 über 200.00 mal in Deutschland. Maschinen wie der EveryCook sind also zunächst nicht besonders innovativ. Doch die größte Kritik der Hacker an Vorwerks digitalem Vorstoß richtet sich auch nicht gegen die Zubereitungsfunktionen, sondern die Geschlossenheit des Systems. Es sei eine »Black Box«, bei der man nicht wisse, wie sie funktioniere. Der Thermomix erlaube es zum Beispiel nicht, beliebig Rezepte einzugeben und online frei zu tauschen. Denn das ist eines der Hauptanliegen des EveryCook Projekts: Freier Wissenstausch - auch bei Kochrezepten.

Es gibt andere moderne Küchengeräte, die durch ihre Geschlossenheit an Nutzwert verlieren. Zum Beispiel das digitale Thermometer »iGrill«: Das Gerät übermittelt per Bluetooth den Temperaturstatus von Grillgut an ein Smartphone, so dass Fleisch optimal gebraten werden kann. Dabei wäre das Thermometer eigentlich auch für andere Speise einsetzbar. Doch das geschlossene System lässt sich nicht nach eigenen Vorstellungen anpassen oder gar mit anderen Geräten verbinden.

Es gibt aber auch gute Beispiele wie das Projekt »Open Food Facts«. Die freie Datenbank für Nahrungsmittel wird von Wiasmitinow besonders hervorgehoben. Wie auf Wikipedia und OpenStreetMap wird hier kollektiv freies Wissen gesammelt. Im speziellen Fall genaue Informationen über Nahrungsmittel. Eine ideale Datenbank, um später von Projekten wie EveryCook genutzt zu werden.
»Bieder wie die alte BRD« wird Vorwerks Thermomix bezeichnet. Und bieder wirken auch die Vorhaben um Projekte wie EveryCook.

Es geht den Hackern nicht um die Lösung sozialer Probleme oder coole Molekularküche

Es geht den Hackern nicht um die Lösung sozialer Probleme oder coole Molekularküche. Nein, es geht schlicht um die möglichst einfache, reproduzierbare tagtägliche warme Mahlzeit. Wenn hier etwas Bewegung in den Markt kommt, kann das nur gut sein. Innovativ sind die Maschinen nicht unbedingt - die Offenheit des Systems schon eher. Preislich wird der EveryCook wohl mehrere hundert Euro kosten und damit wie 3D-Drucker fürs erste eher ein Wohlstandsgerät werden. Aber wenn in weniger Küchen das Risotto anbrennt, ist das ja auch schon ein gesellschaftlicher Schritt nach vorn.

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