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Der WDR nimmt „Infinite Jest“ Hörspiel auf – mit 1500 ehrenamtlichen Sprechern

von Chris Köver
Es soll das längste Hörspiel aller Zeiten werden: Der WDR vertont den 1500-Seiten-Roman „Unendlicher Spaß“ von David Foster Wallace. Nicht mit Profi-Schauspielern im Studio, sondern mit allen, die von ihrem Rechner aus mitmachen wollen.

Mehr als 80 Stunden, vielleicht auch 100, wenn noch Musik dazu kommt. Mit dieser Länge rechnet Andreas Ammer, Hörspielproduzent und Autor hinter „Unendliches Spiel“, der bislang vielleicht unorthodoxesten Hörspiel-Produktion des WDR.

Die irrwitzige Idee: Der Roman „Infinite Jest“ (auf Deutsch: „Unendlicher Spaß“) des amerikanischen Autors David Foster Wallace soll als Hörspiel aufgenommen werden. Das Problem: Der Roman, der als postmodernen Meisterwerk gilt und Foster Wallace zum Starautor machte, hat mehr als 1500 Seiten. Der Übersetzer Ulrich Blumenbach verbrachte sechs Jahre seines Lebens damit, sie ins Deutsche zu übertragen. 44.000 Euro bekam er dafür vom Verlag Kiepenheuer & Witsch: viel für eine Übersetzung, nicht genug, um davon sechs Jahre lang zu leben. Abends musste er nebenher Börsennachrichten übersetzen, um sich zu finanzieren.

Kurz: „Unendlicher Spaß“ ist ein Projekt, das selbst das Budget eines öffentlich-rechtlichen Senders wie des WDR bis über die Schmerzgrenze hinaus strapazieren würde. Hätte man mit klassischen Hörspielmitteln gearbeitet.

Hat man aber nicht. Stattdessen hat sich Andreas Ammer wohl eher von der Wikipedia inspirieren lassen. Oder von Linux. Womöglich auch von David Foster Wallace selbst. Man weiß es nicht. Klar ist nur: Er hat „Unendliches Spiel“ zum Open Source Projekt erklärt: Statt die 1500 Seiten von Schauspielern einsprechen zu lassen, will er sie mit Laien aufnehmen. Das erste Kapitel wurde noch von Schauspielern eingesprochen, die verbleibenden 1404 Seiten warten auf der Website des Projektes ab heute auf Sprecher und Sprecherinnen: Jeder kann sich eine Seite reservieren und sie dann binnen einer Stunde einsprechen und hochladen – entweder mit dem eigenen Telefon oder direkt über die Webseite und das eingebaute Mikro des eigenen Computers.

Die Kapitel, die Ammer und seine Mannschaft aus der Gesamtheit dieser Aufnahmen zusammensetzen werden, fallen ebenfalls aus dem Rahmen dessen, was man bei WDR bisher so kannte: Sie werden nicht im linearen Radioprogramm gesendet, sondern sollen abschnittweise im Netz zu hören sein.

Auch die Komposition des Sountracks haben die beiden Musiker Andreas Gerth und Acid Pauli (Martin Gretschmann) ausgelagert, allerdings nicht an die Crowd, sondern an eine Maschine. Ihre „Goldene Maschine“ ist ein analoger Synthesizer, der „mit Spannungsschwankungen eine Musik erzeugt, die sich theoretisch nie wiederholt“, steht dazu auf der Website. Ein ganzes Jahr lang wird die Maschine laufen, 24 Stunden am Tag. Am Ende wird das Material über die Sprechpassagen gelegt: jede Tonaufzeichnung bekommt so den Soundtrack, den die Maschine genau im Moment der Aufzeichnung spielte.

In David Foster Wallaces Buch sterben die Zuschauer des Filmes „Unendlicher Spaß“, weil sie vor lauter Begeisterung vergessen zu essen und zu trinken, nichts mehr wollen als immer wieder diesen Film zu sehen. Falls der WDR Vergleichbares anstrebt, wird „Unendliches Spiel“ womöglich die erfolgreichste öffentlich-rechtliche Produktion aller Zeiten. In jedem Fall ist sie aber ein postmodernes Experiment, das David Foster Wallace alle Ehre erweist.

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