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Digital ist besser / Bei In-App-Käufen bekommt Johnny Haeusler Spielautomaten-Nostalgie

von Johnny Haeusler
Es hat lange gedauert, bis ich herausfand, dass man „Arcade“ sagt. Wie die Amis. Bei uns Gamern hieß das nämlich einfach nur „Spielautomat“. Damals, bevor es PlayStation, Xbox und Wii gab, und bevor man sich an einen großen Kasten mit einem eingebauten Fernsehbildschirm stellen musste (bevor man „Monitor“ sagte), um Pacman, Defender, Galaxian, Space Invaders oder Centipede spielen zu können.

Und natürlich standen diese Kisten auch nicht überall oder gar zu Hause, sondern wir mussten uns nach der Schule in Kneipen oder Spielhallen rumdrücken. Damals, als Jugendliche in Kneipen (in denen geraucht wurde!) noch ein völlig normaler Anblick waren und die Spielhallen voller Videospiele, Flipper und Geldautomaten noch nicht „Casino“ hießen, weil es in echten Casinos Roulette und Blackjack gab, wofür man sich fein anziehen musste, aber das führt jetzt zu weit.

Die Spielautomaten stehen längst nicht mehr in Kneipen. Wir halten sie als Smartphone oder Tablet in unseren Händen.

Eine Deutsche Mark musste man in diese Videospielautomaten einwerfen, um eine Runde spielen zu können. Waren die drei Leben im Spiel aufgebraucht, war auch die Mark verloren. Die Möglichkeit, mit einem neuen Spiel und einem neuen Markstück an das zuletzt gespielte Level anzuknüpfen, gab es erst später. Doch ich erinnere mich an den Adrenalinschub noch genau, der durch die Panik ausgelöst wurde, wenn man innerhalb von 30 Sekunden die neue Münze nachschmeißen musste, um den Score nicht zu verlieren. Und ich habe weder eine Ahnung, wie ich meinen damaligen Spieltrieb finanziert habe, noch, wie ich es vor meinen Eltern verborgen habe, dass ich einen Teil meiner Jugend in Kneipen verbrachte.

Diese Games setzen auf unsere Ungeduld, lassen uns ein paar Leben lang kostenlos spielen — und verlangen dann Geld.

Eine Deutsche Mark waren damals nach aktueller Währung 50 Cent. Heute, mehr als 30 Jahre später, würde sie wohl eher einem Euro entsprechen. Oder den 89 Cent, die man inzwischen per „In-App-Kauf“ nachwerfen muss. Denn die Spielautomaten stehen natürlich schon lange nicht mehr in Kneipen (außer in wenigen Hipster-Läden). Wir halten sie als Smartphone oder Tablet in unseren Händen, und die Spiele von damals — nebst neueren, viel moderneren — haben wir als Apps zur freien Auswahl und ständigen Verfügbarkeit installiert.

Ich bin noch unsicher, ob ich es geschäftlich genial oder kulturell dreist finden soll, und vermutlich ist es beides, denn den Spieleentwicklern und App-Anbietern ist es tatsächlich gelungen, das Modell aus meiner Jugendzeit in die moderne App-Welt zu übertragen. Schritt für Schritt zurück in die Zukunft. Nachdem Spiele-Apps mit dem Aufkommen von Smartphones vor etwa sieben Jahren nämlich zunächst kostenlos waren, begann danach die langsame, aber konstante Einführung von kostenpflichtigen Games, die jetzt mit dem virtuellen Münzeinwurf ins nächste Level gehen.

Das Gefühl beim In-App-Kauf erinnert auf erschreckende Weise an den Kick meiner Spielautomaten-Zeit.

Immer häufiger setzen Spiele auf die Ungeduld der Spielenden, lassen sie ein paar Leben lang kostenlos spielen und bieten nach Verbrauch dieser Freieinheiten entweder eine Zwangspause an („Neue Leben in 22:34 Minuten“) oder den sofortigen Fix für wenige Cent. Ein Druck mit dem Finger aufs Display, mal eben 89 Cent nachlegen (oder auch sehr viel mehr, je nach Verlängerungswunsch und etwaigen Sonderwünschen), und weiter geht’s! Freemium-Modelle, bei denen sich Werbung in Spielen durch eine Gebühr ausblenden ließ, sind von gestern, das neue und offenbar äußerst rentable Modell zur Game-App-Finanzierung sind solche und ähnliche Mechanismen von InApp-Käufen.

Ich gebe zu, selbst ein paar Mal dem Reiz der schnellen Spielfortsetzung durch Zahlung nachgegeben zu haben. Das Gefühl bei diesem Münzeinwurf per Finger-Tab — eine bizarre Mischung aus Scham über den Einfluss eines albernen Spiels auf meine Selbstdisziplin und Freude darüber, dass es endlich weitergeht und ich das Level dieses Mal wirklich schaffen werde — erinnerte mich auf fast erschreckende Weise an den Kick meiner Spielautomaten-Zeit.
Es ist ein wenig irre, aber auch ein bisschen lustig: Über 30 Jahre, nachdem wir als Jung-Gamer unser Taschengeld häppchenweise an Arcade-Automaten verfüttert haben, um einen gelben Kreis Pünktchen in einem Labyrinth sammeln zu lassen, investieren Jugendliche ihre Ersparnisse nach und nach in Spielfortsetzungen oder -vorteile, in den Bau von Pixeldörfern oder in virtuelle Juwelenvorräte.

Manchmal frage ich mich schon, ob sich die Welt wirklich so sehr verändert hat, wie gerne behauptet wird, oder ob wir uns das nur einreden. 

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