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Nach dem Internet Of Things kommt nun das Internet der Tiere

von Caspar Clemens Mierau
Was haben Smartphones mit Tieren zu tun? Zukünftig ziemlich viel, wenn es nach dem Autor Alexander Pschera geht. Der Philosoph und Kommunikationsexperte widmet sich in seinem neuen Buch „Das Internet der Tiere“ der digitalen Vernetzung von Mensch und Tier. Seine These: Neue Technologien könnten uns nach Jahrhunderten der Entfremdung die Natur wieder zugänglich machen.

Vom vielfach heraufbeschworenen „Internet der Dinge“ und seinen intelligenten Kühlschränken ist in freier Wildbahn bisher noch nicht viel zu sehen. Wohl aber sind es unzählige Tiere, die weltweit mit Positions- und Biodaten-Sendern ausgestattet wurden. Seien es Störche, Antilopen, Fledermäuse oder gar Schmetterlinge, Libellen und Heuschrecken. Eine neue Stufe technologischer Miniaturisierung ermöglicht winzige Sender, die selbst Insekten überwachbar machen. Oder wie es Pschera ausdrückt: ein „Internet der Tiere“.

Forscher „besendern“ diese Tiere, aus wissenschaftlicher Neugier, vor allem aber, um sie besser schützen zu können. Gut nachvollziehen lässt sich das am Waldrapp – einer heute eher unbekannten Zugvogelart. Anfang 2013 hatte sich der Bestand mit intaktem Zugverhalten auf ein Exemplar reduziert. Faktisch war die Art damit als freilebender Zugvogel ausgestorben. In einem Modellprojekt werden die Vögel nun wieder ausgewildert. Um ihnen das Zugverhalten anzutrainieren, leiten Piloten in Ultraleicht-Flugzeugen die Vögel als Zieheltern auf ihre Flugstrecken zwischen dem nördlichen Alpenvorland und der Toskana. Ziel ist es, brutfähige Kolonien auszusiedeln, die wieder selbständig zwischen ihren Sommer- und Winterquartieren wechseln. Da die Tiere aber nicht permanent von Menschen beobachtet werden können, wurden die Waldrappen mit Sendern ausgestattet. Die funken in regelmäßigen Abständen ihre Position – zunächst per SMS, später mit nur 20 Gramm leichten Solarsendern.

Mithilfe der Tier-Sender lassen sich Wilderer besser bestrafen und Naturkatastrophen vorhersagen.

Die Bewegung der einzelnen Vögel kann jeder im Internet und auf dem Smartphone verfolgen. Es gibt sogar eine App für Android und iOS, mit der sich die aktuellen Standorte und der Verlauf eines jeden Tieres abfragen lassen. Oder man sieht sich gleich auf Movebank nach, einer Datenbank, die auch andere Arten umfasst. Die Daten der Tiere erzählen interessante Geschichten: Zum Beispiel die von der Waldrapp-Dame Shorty, die schon zwei Mal statt der Toskana die Schweiz anflog und damit für Irritation sorgte.

Richtig spannend wird es im Fall des drei Meter langen Hais Shark Alpha: Die Daten des besenderten Tieres zeigen, dass der Hai im Juni 500 Meter in die Tiefe gerissen wurde und danach tagelang von 26 Grad warmer Körpertemperatur umgeben war. Monate später fand man seinen von Magensäften ausgeblichenen Sender am Strand. Bis heute ist nicht ganz klar, wer oder was den Raubfisch gefressen haben könnte. Man vermutet einen riesigen genmutierten Hai, der auch Artgenossen vertilgt.

Tierinteressierte können aber noch mehr tun, als ihre Favoriten nur am Bildschirm zu verfolgen. Im Falle der Waldrapps gibt es beispielsweise eine eigene Facebook-Seite, auf der User Bilder posten können, wenn sie eines seltenen Exemplare sichten. Diese oft mit dem Handy gemachten Amateurfotos helfen Wissenschaftlern und bringen die Vögel zugleich ihren Fans näher.

Mit den Positionsdaten lassen sich der Auswilderungserfolg und das Flugverhalten der Tiere genau nachvollziehen. Die Lokalisierung bietet außerdem einen zusätzlichen Schutz vor Wilderern. Durch genaue Positionsangaben konnten in den letzten Jahren Jäger von geschützten Tierarten ermittelt und bestraft werden. Und damit nicht genug: Miniatursender an Tieren ermöglichen es auch, Naturkatastrophen besser vorauszusagen. Viele Arten reagieren frühzeitig auf Anzeichen kommenden Unheils. Das Beobachten dieser Tiere ermöglicht es, Verhaltensänderungen zeitnah zu erkennen. Vielversprechend verlief das zum Beispiel in einem Versuch mit Ziegen, die am Vulkan Ätna auf Sizilien leben: Sie zeigten Messungen zufolge schon Stunden vor einem Vulkanausbruch auffällige Bewegungsmuster. Ähnliches gilt für Fregattvögel in der Karibik, die demnach als Indikator für Wirbelsstürme dienen können.

Es ist schon paradox, dass gerade Technologie die Brücke sein soll, die dem Menschen die Natur wieder ​näherbringt.

Doch noch wichtiger ist der präventive Aspekt. Die Ausstattung der Tiere mit Sendern ermöglicht eine zunehmende Grenzüberschreitung des Menschen zur oft fast unnahbar gewordenen Natur. Naturschutz bedeutet heute aber vor allem Abstand. Wir sollen Reservate schützen, indem wir sie meiden. Alexander Pschera findet das paradox, weil wir durch diese Entfremdung genau jenen Kontakt verlieren, der uns eine Wertschätzung der Natur erst ermöglichen würde. Die Zugänglichmachung der Natur durch das Smartphone könnte genau diese Brücke wieder schlagen, hofft der Philosoph.

Wenn die Natur auf diese Weise wieder begreifbar und Tiere personalisiert werden, können Menschen die Natur wieder verstehen und schätzen lernen. Was wir kennen, das schützen wir eher. Oder im Fall des Jägers: Töten wir seltener. Technologie erfüllt hier die Rolle des Wiedereinbringens des Menschen in die Natur. Pschera fragt sich sogar, wo die Grenze zwischen Netz und Natur verläuft: „Ist nicht auch das Internet, mit dem wir uns so gerne und oft freiwillig einlassen, Teil der Natur?“

Was Pschera schreibt, klingt nach Zukunft, ist aber schon weitgehend Realität. Große Datenbanken wie die Movebank des Max Planck Instituts für Ornithologie bieten jedermann Zugang zu Bewegungsdaten. Im nächsten Jahr sollen auf der Internationalen Raumstation Sensoren für Tier-Tracker installiert werden. Im Weltraum. Der notwendige Aufwand lässt den erwarteten Nutzen erahnen.

Zugleich ist es ein Paradoxon, dass gerade Technologie die Brücke sein soll, die dem Menschen die Natur wieder näherbringt. Hier unterscheidet sich Pscheras Buch von einem rein populärwissenschaftlichen Werk: Er beschreibt nicht nur den Status Quo, sondern denkt über einen davon ausgehenden Wandel nach. Er spricht dem Internet der Tiere die Kraft zu, heutige verfahrene Debatten um Datenschutz, die Beschleunigung des Lebens und digitale Lebensstrukturen noch einmal neu zu stimulieren und einen Ausweg zu bieten. Das klingt ein wenig utopisch, doch ein bisschen Utopie ist vielleicht gar nicht so schlecht. Die Beschäftigung mit dem Internet der Tiere öffnet in jedem Fall die Augen für einen neuen Blick auf die Natur. Und allein das macht schon Spaß. 

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