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Alexander Gerst ist zurück von der ISS: „Mir wird auch auf der Erde nicht langweilig“

von Dominik Schönleben
Fünf Monate lang war Alexander Gerst als Bordingenieur auf der Internationalen Raumstation ISS. Am 10. November kehrte der Astronaut zur Erde zurück. WIRED hat mit ihm über Experimente im All und die erste Jogging-Runde nach der Landung gesprochen.

WIRED: Menschen, die mit einem großen Projekt fertig sind, fallen oft in ein Loch. Ging es dir auch so, als du zur Erde zurückkamst?
Alexander Gerst: Ich bin noch gar nicht fertig mit meinem Projekt, die Mission ist noch nicht vorbei. Wir erheben immer noch Vergleichsdaten und ich habe immer noch jede Menge Bilder, die ich gern veröffentlichen würde. Ich möchte meine Eindrücke gern mit den Menschen hier auf der Erde teilen. Und das passiert jetzt, auch in diesem Moment mit diesem Interview. Deswegen sehe ich jetzt noch nicht irgendein Loch vor mir. Mir wird es nicht langweilig werden, auch nicht hier auf der Erde. Außerdem stehe ich ja auch für weitere Flüge zur Verfügung.

WIRED: Möchtest du wieder zurück ins Weltall?
Gerst: Das ist wohl bei den meisten Astronauten so, wenn man sie fragt. Da gibt es keinen, der nein sagen würde. Ich zumindest würde mich sehr darüber freuen.

Wir als Europäer können es uns nicht leisten, in der Raumfahrt zurückzufallen.

Alexander Gerst

WIRED: Was wäre dein nächstes großes Ziel?
Gerst: Ich finde alle Missionen, die man sich vorstellen kann, sehr interessant. Aber wenn man mal einen Schritt zurück geht: Was wir als Menschen als nächstes großes Abenteuer planen können, ist natürlich ein Trip zum nächsten Planeten, den wir kennen, und das ist der Mars. Eventuell mit Umwegen über einen Asteroiden oder den Mond. Schon allein, um zu vermeiden, dass wir zu wenig über unsere Umwelt wissen. Es gibt Gefahren, die von außen auf unsere Erde einwirken und derer wir uns gerade erst bewusst werden: Kometen oder Asteroiden, die uns wirklich gefährlich treffen können. Oder das Weltraumwetter: Gerade in der Hochtechnologiezeit von heute sind unsere gesamten Systeme auf der Erde plötzlich sehr anfällig für Sonneneruptionen.

WIRED: Gerade hat die ESA mit der Rosetta-Mission einen Kometen erforscht. Was sollte der nächste große Fokus der europäischen Raumfahrt sein?
Gerst: Das hört sich so an, als ob man immer nur einen Fokus setzen würde. Das wäre ein Fehlschluss. Das gute an der ESA ist, dass sie an allen wichtigen Ecken gleichzeitig arbeitet: robotische Raumfahrt, Satelliten, die Raumstation, Erdbeobachtung, Missionen wie Rosetta. Es ist wichtig, dass man das alles tut. Weil gerade wir als Europäer es uns nicht leisten können, da zurückzufallen. Wir müssen auf allen diesen Gebieten ganz vorne dabei bleiben.

WIRED: Wenn du an deinen ersten Tag auf der Erde zurückdenkst: Wie war der?
Gerst: Das hat alles einen sehr automatischen Ablauf: Man kommt mit der Kapsel auf der Erde an und erst einmal wirkt alles sehr schwer, man kann sich kaum bewegen. Dann wird man herausgezerrt und auf einen Sitz gesetzt, kann ein paar Interviews geben und wird fotografiert. Anschließend kommt man in ein Zelt und kann seinen Raumanzug ausziehen. Dann fliegt man mit dem Helikopter in die nächste Stadt und von dort aus geht es weiter mit dem Flieger. Letztlich war ich dann am Ende eines sehr langen Tages hier in Köln, im Astronautenzentrum der ESA, wo ich noch bis nach Mitternacht untersucht wurde. Als ich endlich ins Bett durfte hatte ich schon mehr als 24 Stunden nicht geschlafen. Denn gerade in den ersten Momenten anch der Rückkehr ist es wichtig, sofort schon die ersten Vergleichsdaten zu sammeln. Für Studien über Knochen- und Muskelschwund, über das Immunsystem, zur Krebsforschung. Da kann man erst mal nicht die Dinge tun, die man gern tun würde. Zum Beispiel im Wald joggen gehen, das habe ich erst später gemacht.

Man realisiert: Alles, was ich als Heimat ansehe, das gibt es nicht unendlich oft im Universum.

Alexander Gerst

WIRED: Hast du dich darauf besonders gefreut?
Gerst: Ja, auf jeden Fall. Auf der Raumstation haben wir zweieinhalb Stunden Sport am Tag gemacht, aber es hat mir natürlich gefehlt, mich richtig zu bewegen. Wieder in der Natur zu sein, Grün zu sehen, das hat mir schon sehr gefehlt. Letztendlich vermisst man da oben auf der Raumstation all das, was man als Mensch einfach gewohnt ist: mit Freunden auszugehen, gemütlich zu Abend zu essen oder einfach auf der Couch zu sitzen. Man realisiert: Hoppla, alles, was ich als meine Heimat ansehe, das gibt es nicht unendlich oft im Universum. Sondern nur ein einziges Mal, auf einem einzigen kleinen blauen Planeten.

WIRED: Welches Experiment, dass du auf der ISS durchgeführt hast, war am faszinierendsten?
Gerst: Es wäre unfair, wenn ich mir da eins raussuchen würde. Wir haben über 100 Experimente bearbeitet und jedes einzelne für sich ist besonders. Weil jeder Wissenschaftler demonstrieren muss, dass das Experiment, das er vorschlägt, auf der Erde nicht machbar wäre. Das heißt, es herrscht eine Riesen-Konkurrenz. Es gibt zum Beispiel riesige Schmelzöfen für neue Legierungen, aber eben auch kleinere Experimente, die nicht so spektakulär aussehen. Wo wir mit Hefe- oder Krebszellen oder multiresistenten Bakterien neue Medikmamente testen. All das kann man in der Schwerelosigkeit viel besser erforschen.

Wie würde ich mein GPS-Navi verwenden, wenn es keine Weltraumforschung gäbe?

Alexander Gerst

WIRED: Gibt es schon Ergebnisse, wo man sagen kann: Das wirkt sich direkt auf das Leben auf der Erde aus?
Gerst: Die Daten meiner Expedition sind gerade erst erhoben und die Auswertung wird noch Monate dauern. Aber ganz konkret gibt es zum Beispiel Medikamente gegen Osteoporose, die aus der Schwerelosigkeitsforschung kommen. Oder Materialien die in jedem iPhone, oder Tablet zu finden sind, die bei Herzoperationen oder in Flugzeugtriebwerken verwendet werden. Das merken wir als Menschen natürlich nicht, weil uns im Prinzip egal sein kann, wo das Material herkommt. Wir wissen vielleicht nicht, dass es aus der Weltraumforschung kommt, aber wir profitieren ganz direkt davon. Ganz klar wird das, wenn man sich zum Beispiel fragt: Wie würde ich denn mein GPS-Navi verwenden, wenn es keine Weltraumforschung gäbe? Da finde ich es schon faszinierend, wie wenig  wir dafür ausgeben, als Europäer zehn Euro pro Jahr im Durchschnitt.

WIRED: Wirst du weiter an den Experimenten mitarbeiten oder ist das für dich jetzt erledigt?
Gerst: Das kommt auf das Experiment an. Die technischen Experimente, die ich aufgebaut habe, die finden weiter auf der ISS statt. Da könnte ich mich auch gar nicht einmischen. Aber es gibt Experimente, für die wir immer noch Daten erheben. Gerade heute war ich noch mal auf dem Laufband für einen Versuch mit neuen Kleidungsmaterialien, die bakterien- und geruchsresistent sein sollen. Für einen anderen Versuch zum Immunsystem gebe ich nach wie vor regelmäßig Speichelproben ab, bestimmt noch ein Jahr lang von jetzt an. Man braucht immer Vergleichsdaten, die man vor dem Flug erhebt, während des Fluges und auch noch einmal danach. Damit man ganz genau herausfinden kann, was durch die Schwerelosigkeit verursacht wurde und was vielleicht ein längerfristiger Trend ist. 

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