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Made in China / Wo Kapitalisten und Kommunisten einander „Gute Nacht” sagen

von Katharin Tai
In unserer Reihe „Internet Made in China“ beleuchten wir den boomenden chinesischen Online-Markt hinter der großen Firewall. Welche Big Player revolutionieren das Netz im Reich der Mitte und wie erschaffen sich Millionen von Nutzern ein eigenes Netz zwischen Zensur und Selbstzensur? Diesmal: Das Verhältnis Kapitalismus zu Kommunismus.

Mit 650 Millionen Internetnutzern, noch einmal genauso vielen Chinesen, die vermutlich in den nächsten Jahren online gehen werden, und einer wachsenden Mittelschicht mit Geld, das sie aufgeben kann, ist China eine wahre potentielle Goldgrube. Der Haken an der Sache? Wer im chinesischen Internet geduldet werden möchte, muss mit den Behörden kooperieren. Chinesische Internetseiten beschäftigen selber Heere an Zensoren, die unliebsame Beiträge löschen, um in der Gunst der Kommunistischen Partei zu bleiben. Landen zu viel sensible Inhalte auf einer Webseite oder in einer Community, kann sie schlicht von einen Tag auf den anderen nicht mehr erreichbar sein — wie Instagram, das im Herbst 2014 zu einem Sammelbecken für Fotos von den Hong Konger Occupy-Protesten wurde. Plötzlich war die App in China gesperrt.
 

Geld oder Menschenrechte?


Gerade die amerikanischen Unternehmen aus dem Silicon Valley stellen sich gerne als Wohltäter dar: Ob Google mit seinem „Don’t be evil!“-Motto oder Facebooks Mark Zuckerberg mit seinen nicht unumstrittenen Kampagnen in Entwicklungsländern, eine „gute“ Firma zu sein ist gut fürs Image und die Profite.

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Aber was tun, wenn diese beiden Dinge nicht zusammengehen? Was, wenn man sich zwischen der im Westen weitgehend verdammten chinesischen Internetzensur und gar keinen Profiten entscheiden muss? Diesem Dilemma sehen sich gerade Internetunternehmen in China seit Jahren gegenüber und ihre Entscheidungen werfen oft kein besonders gutes Licht auf die jeweiligen Entscheidungsträger.

2004 wurde einer breiten Öffentlichkeit zum ersten Mal bewusst, welche Kompromisse Firmen eingehen, die in China operieren möchten: Server müssen in China stehen, sodass gespeicherte Daten chinesischen Gesetzen unterliegen. Effektiv bedeutet das, dass Firmen der chinesischen Regierung alle Informationen geben müssen, um die sie bittet — so wie Yahoo es 2004 tat, als die Regierung E-Mails des Dissidenten Shi Tao sehen wollte. Der amerikanische E-Mail-Anbieter gab die Mails raus, die später die Grundlage für eine achtjährige Haftstrafe bildeten.
 
Facebook und Twitter wurden in China bereits 2009 geblockt, bevor sie jemals richtig in dem Land Fuß fassen konnten. Damit waren schon einmal zwei Social Media- und Informationsgiganten ausgesperrt. Google blieb, entschied sich aber ein Jahr später dafür, das Land zu verlassen und nur noch in Hong Kong Server zu betreiben. Offiziell sagte die Firma, sie wolle nicht länger ihre Suchergebnisse zensieren und die eigenen Werte kompromittieren, ein angeblicher Hack seitens der chinesischen Regierung könnte aber auch eine Rolle bei dieser Entscheidung gespielt haben. Google-Dienste blieben zwar noch einige Jahre nutzbar, sind seit Ende 2014 aber auch komplett gesperrt.
 

Von denen, die drinnen sind...

Die Weitergabe von unliebsamen Informationen in irgendeiner Form kann auf Wegen stattfinden, an die man zunächst gar nicht denkt — und so werden in China auch Unternehmen unter Druck gesetzt, deren Angebote auf den ersten Blick unpolitisch wirken. Ein Beispiel ist Dropbox, das Onlinespeicher anbietet, und in China nicht ohne VPN erreichbar ist. Ein anderes Beispiel ist Evernote — während der Hong Konger Proteste wurde die Funktion „öffentliche Notizen“ populär, um Informationen zu den aktuellen Ereignissen vor Ort ohne Regierungszensur mit Menschen in Festland China zu teilen. Seit Januar 2015 ist diese Funktion für Nutzer in China, Evernote zweitgrößtem Markt, nicht mehr verfügbar. Der Grund ist vermutlich in einer formellen Änderung von vor drei Jahren zu suchen: Seit 2012 funktioniert Evernote China quasi unabhängig vom globalen Evernote und alle Daten chinesischer Nutzer werden auf Servern in der Volksrepublik gespeichert, die chinesischen Gesetzen unterliegen.
 
Eine Firma, die in der Vergangenheit besonders viel Kritik für ihr Verhalten in China abbekommen hat, ist LinkedIn. Die Firma war schon vor dem Launch ihrer chinesischen Version in China aktiv und hatte nach eigenen Aussagen 4 Millionen Nutzer. Eine offizielle chinesische Seite einzurichten, verschaffte LinkedIn allerdings einige Vorteile im Umgang mit Geschäftspartnern vor Ort und verpflichtete die Firma dazu, sich an chinesische Gesetze zu halten und Inhalte permanent diesen Gesetzen zufolge zu zensieren. Anstatt aber nur Inhalte innerhalb des Landes zu zensieren, wurden Texte zu sensiblen Themen wie dem Tiananmen-Massaker plötzlich weltweit gesperrt. Als Erklärungen wurde zunächst ein Versehen bemüht, später hieß es, die Firma wollte ihre Nutzer in China schützen. Laut der Seite „Greatfire.org“, die seit Jahren an der Umgehung chinesischer Zensurmaßnahmen arbeitet, finden sich auch keinerlei Informationen zu diesen Zensurmaßnahmen im Transparenzbericht von LinkedIn — überhaupt enthält der Bericht keinerlei Informationen zu LinkedIn China oder LingYing, wie es offiziell heißt.
 
Der Taxidienst Uber, der in China genauso aggressiv expandiert wie in anderen Märkten, schlug sich auch außerhalb des Internets auf die Seite des chinesischen Staates: Das Unternehmen verbot seinen Fahrern, an einem Protest in der ostchinesischen Stadt Hangzhou teilzunehmen. Uber warnte auch, dass es GPS nutzen würde, um Fahrer zu identifizieren, die sich dieser Anweisung widersetzten. Die Begründung? Die Firma wolle „die soziale Ordnung“ bewahren und seine Mitarbeiter vor „extremem Verhalten“ warnen, das „Stabilität und Harmonie gefährden könnte“. Die rhetorischen Parallelen dieses Statements zur chinesischen Regierung, die immer wieder „soziale Harmonie“ betont, sind unverkennbar.
 

…und denen, die gerne wieder reinwürden


Diese Erfahrungen westlicher Firmen in China scheinen andere, bereits geblockte Seiten jedoch nicht davon abzuschrecken, sich wieder auf China zuzubewegen — im Gegenteil. Sowohl Google als auch Facebook haben weiterhin Büros in Peking, von denen aus sie in erster Linie Werbeplätze an chinesische Firmen verkaufen.
 
Besonders Facebook hat sich in den letzten Monaten auf eine regelrechte Charme-Offensive begeben: Im Oktober machte ein Video von CEO Mark Zuckerberg die Runde, der an der Pekinger Tsinghua-Universität auf Chinesisch ein halbstündiges Interview bestritt. Kurz darauf kam der Gegenbesuch aus China nach Kalifornien und chinesische Nachrichtenagenturen verbreiteten Bilder von Zuckerberg mit Chinas „Internetzar“ Lu Wei, seines Zeichens Internetminister und praktisch oberster Zensor des Landes. Lu besuchte die Facebookbüros in Kalifornien und auf einem der Fotos sieht man Xi Jinpings Buch über die „Regierung Chinas“ auf einem Tisch liegen. Zuckerbergs Kommentar? Er wolle, dass seine Mitarbeiter den Sozialismus mit chinesischen Charakteristiken verstehen. Auf Fragen, ob Facebook sich bemühen würde, in China entsperrt zu werden, reagiert das Unternehmen meist ausweichend.

Auch Google zeigt anscheinend wieder Interesse am chinesischen Markt — nicht als Suchmaschine, aber am Smartphonemarkt, in dem es gerne wieder seinen momentan gesperrten Playstore etablieren würde. Ob auch da zensiert werden müsste, wird sich zeigen. Zu erwarten ist es aber: Apps von VPN-Anbietern, mit denen man die staatliche Zensur umgehen kann, dürfte man sicher nicht herunterladen.
 
Letztendlich zeigen Beispiele wie LinkedIn oder Evernote deutlich, dass es keine halben Sachen geben kann, wenn man als Unternehmen in China operieren möchte: „Ein bisschen Zensur“ gibt es nicht. Und im Zweifel sitzt die chinesische Regierung am längeren Hebel: Angesichts der aktiven chinesischen Internetbranche hat sie nicht das Gefühl, auf ausländische Unternehmen angewiesen zu sein. 

Alle Texte der „Made in China“-Serie gibt es hier zum Nachlesen.

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