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Inside YouTube #4: Schminktutorials sind Lebenszeit-Verschwendung

von Anja Rützel
„Inside YouTube“ hieß unsere große Reportage, in der WIRED vor einem halben Jahr die deutsche YouTube-Szene beleuchtete. Was seitdem passiert ist, lest ihr in unserer Serie „YouTube revisited“. Heute: YouTuberin Joyce Ilg, die findet: Schminken ist Lebenszeit-Verschwendung. Und: Die Zeit ist reif für weibliche Let’s Player.

Teil 1: Inside YouTube #1 / Zwischen bösem Kapitalismus und Re-Hippiesierung
Teil 2: Inside YouTube #2 / Die VideoDays sind verdammt norma-a-a-al!
Teil 3: Inside Youtube #3 / YouTuber Michael Buchinger hat euch etwas mitgebracht — Hass, Hass, Hass

Sie zieht ein Gesicht, als hätte man sie gerade gebeten, doch eben mal nackend ein paar Purzelbäume quer durch den Raum zu schlagen und dabei den neuesten Hit der „Lochis“ zu pfeifen. „Ich würde nie Schminktutorials machen, definitiv“, sagt Joyce Ilg, YouTuberin mit ungefähr 747.000 Abonnenten, mit allem Nachdruck, den ihre haselmäusige Freundlichkeit hergibt. Auf ihrem Kanal dreht sie das, was sie „Blödsinn“ nennt: Comedyfilmchen darüber, wie es wäre, wenn Pärchen sich nicht gegenseitig anlügen, oder zehn Gründe, warum Festivals so toll sind. Manchmal wachst sie auch Oliver Pocher den Hintern.

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„Schminken“, sagt Joyce, sei „Lebenszeit-Verschwendung“: Fünfzehn Minuten Spachtelzeit jeden Tag, das müsse man mal aufs ganze Leben hochrechnen! Und nichts gegen all ihre YouTube-Kolleginnen, die ihre Kanäle mit Tiefenreviews der neuen Nude-Lidschattenpalette oder Einlassungen zu enttäuschender Schnütchenschmiere füllen, aber; „Kosmetik ist jetzt ja nicht unbedingt das intelligenteste Thema“.

Warum trotzdem noch immer so viele Mädchen und Frauen mit Süßi-Stimme und sonderbarem Drang zur Selbstverharmlosung täglich so viele Schminkvideos hochladen, dass das Beauty-Genre immer noch das unbestrittene weibliche Video-Klischee erfüllt, darauf weiß Joyce Ilg auch keine Antwort. Ohnehin ist es sonderbar, wie stark auf einer schnellen, wendigen, demokratisch gedachten Plattform wie YouTube noch ranzige Gender-Stereotypen konserviert werden: Mädchen schminken sich, Jungs spielen Computerspiele oder machen Klamauk. Und in beliebten Comedy-Formaten wie „10 Dinge“ — „10 Dinge, die Jungs an Mädchen hassen“, „10 Dinge, die du nicht beim ersten Date sagen solltest“, „10 Dinge, die Mädchen nur heimlich machen“, und so weiter — werden diese Klischees zwar parodiert, aber aben auch reproduziert. Manchmal in Kalauerkloppern, die selbst den ältlichsten TV-Show-Chauvis zu platt wären.

Als Joyce Ilg vor zwei Jahren begann, YouTube-Videos zu drehen, war sie eines der ersten Mädchen in Deutschland, die dort Comedy-Filmchen hochlud. „Eigentlich wollte ich nur meine Freizeit sinnvoll nutzen — ich bin Schauspielerin und Moderatorin und wollte eben zwischen zwei Jobs etwas auf YouTube machen“, sagt sie. Bevorzugt eben Schabernack: „Weil ich den Mädchen, die meine Videos sehen, einfach sagen will: Ihr müsst nicht immer hübsch aussehen. Ihr dürft euch auch mal zum Affen machen.“ Oder schlau sein und das auch zeigen. Studiert hat sie einmal Fotoingenieurwesen, 2010 mit Diplom abgeschlossen. „Die klassischen Designstudiengänge waren für mich ein bisschen zu wenig fürs Köpfchen.“ Dann habe sie bei ihrer Arbeit als Schauspielerin auch schon mal einen Job angenommen, hinter dem sie nicht hundertprozentig stand, sagt Ilg. „Vor drei Jahren war ich einfach froh über jeden Auftrag, den ich bekommen habe. Das hat sich jetzt total gewandelt“.

Seit zwei Monaten hat sie ein Management, das all die Anfragen vorsortiert, die mögliche Kooperationspartner ihr schicken. Ein „Fulltime-Bürojob“ wäre das, würde sie alles selbst beantworten, sagt Ilg. Was vor allem daran liege, dass die Begehrlichkeit nach frischen YouTube-Menschen bei vielen Unternehmen und PR-Menschen zwar groß sei, man dort aber noch nicht kapiert habe, dass YouTuber und vor allem YouTuberinnen eben keine universellen Wollmilchhäschen sind, die irgendwie doch alle was mit Mode und Kosmetik machen. Jede Menge Angebote aus diesem Bereich kämen bei ihr an, sagt Ilg, die sie natürlich sämtlich absage, weil sie nicht ihrem Profil entsprechen. Ebensowenig wie die Moderation einer bekannten Klatsch- und Promitratsch-Sendung: „Das Casting habe ich auch abgelehnt: Ich stehe nicht für diese Themen, also kann ich sie auch nicht vernünftig verkaufen. Stattdessen sauste sie bei Stefan Raabs Wok-WM in der Einer-Aluschüssel durch den Eiskanal, ein Abenteuer von eher ideellem Wert: „Wenn ich zusammen mit einem anderen größeren YouTuber ein Video mache, gehen die Abozahlen sofort — Zack! — nach oben, TV-Auftritte wie die Wok-WM wirken sich dagegen kaum aus.“

Aber sie feilen an ihrem Image, dem Nicht-Schmink-Profil, das viele oberflächliche Betrachter noch nicht wahrnehmen hinter der Drogerietüten-Hochhalterinnen-Phalanx. In Ilgs Wok-Team saß eine zweite prominente Vertreterin der Spaß-YouTuberinnen: Die Fränkin Kelly Svirakova, die als Kelly MissesVlog ebenfalls einen erfolgreichen Comedy-Kanal betreibt — mit Videos wie „Nähen — ein Wechselbad der Gefühle“, dem Meta-Format „Kelly kommentiert Kommentare“ oder „Was Mädchen auf dem Klo denken“.

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Vor ein paar Wochen startete Kelly eine bislang überschaubare Videoreihe als Let’s-Playerin, in der sie sich am Open-World-Game „Minecraft“ versuchte — allerdings eher komödiantisch: „Was mach ich jetzt? Warum kommt keine Musik meeeeeehr?“. Alles Spaß, aber tatsächlich, sagt Kollegin Ilg, gebe es gerade in diesem Bereich sowohl Platz als auch Bedarf an weiblichen YouTubern, genauso im Bereich News oder bei technischen Erklärvideos.

Klischeeknacker eben, die der jungen Zuschauerzielgruppe eine andere, unerwartete Identifikationsauswahl bieten könnten. So wie das Projekt #nichtschön, ins Leben gerufen von YouTuberin Marie Meimberg, die dazu Kolleginnen aus verschiedenen Winkeln der Plattform zusammenbrachte. „Frauen machen auf YouTube unterschiedlichsten Stuff, aber in den Kommentaren geht es immer nur darum, ob sie schön sind“, heißt es in dem gemeinsamne Video, für das alle teilnehmenden Frauen jetzt als „Person of the Year — Female“ nominiert sind (neben der ebenfalls nominierten Kelly MissesVlog). Jede YouTuberin nennt in dem Video ein alternatives Adjektiv, das sie beschreibt: selbstironisch, loyal, lustig, mega-random, mutig, undiszipliert — eben nicht schön.

Fortgesetzt wurde der gemeinsame Gedanke in diversen Kollaborations-Videos, die Überraschendes enthüllen: Frauen mögen demnach Pipi-Kaka-Humor, können gut rückwärts einkaufen, gehen mitunter nicht gern shoppen und zocken manchmal den ganzen Tag. Vielleicht demnächst auch auf YouTube.

Vor einem halben Jahr hat WIRED die YouTube-Szene schon einmal beleuchtet, die große Reportage dazu lest ihr hier.

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