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Inside YouTube #1 / Zwischen bösem Kapitalismus und Re-Hippiesierung

von Anja Rützel
„Inside YouTube“ hieß unsere große Reportage, in der WIRED vor einem halben Jahr die deutsche YouTube-Szene beleuchtete. Was seitdem passiert ist, lest ihr in unserer Serie „YouTube revisited“. Heute: Weinen statt Vanillepudding – warum YouTube einen Branchendienst braucht.  

Teil 2: Inside YouTube #2 / Die VideoDays sind verdammt norma-a-a-al!

Pompmusik mit Westernhagenschwulst, mindestens, hätte man gerne schon unter seine ersten Tweets mit #freiheit gelegt. Als der Youtuber Simon Unge Ende Dezember des vergangenen Jahres schließlich in einem Video verkündete, sein Netzwerk Mediakraft verlassen zu wollen, war dies ein unerhörter Vorgang – vor allem, was die Aufmerksamkeit und Resonanz anging. „20.12.2014 der deutsche tag der freiheit im internet. man sollte dies feiern wie die Revolution!“, twitterten aufgewühlte, rechtschreib-agnostische junge Menschen. 

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Genau, Revolution! Ein Fesselabwurf, eine Re-Hippiesierung des früher so freien Videoportals! Die Generalverbimsung des fiesen Systems! Wenn Mediakraft ihn wie angedroht in die Privatinsolvenz treibe, trotzte Unge im Video, „dann mache ich eben ne Weltreise.“ Man sah ihn schon mit träge im Wind trudelndem Rastahaar, die nötigsten Habseligeiten aufgeschnallt, in den Sonnenuntergang longboarden - was braucht man denn schon, so lange man nur frei ist? Weg mit dem bösen wirtschaftlichen Überbau, der die Leidenschaft mit Vertragsklauseln knebelt und kommerzialisiert!


Die gefürchtete Insolvenz hat Unge großbogig umkurvt, sein neuer, Mediakraft-freier Letsplay-Kanal hat längst wieder über eine Million Abonnenten. Zu seiner Weltreise ist er vor drei Wochen trotzdem aufgebrochen. Allerdings hat sich sein Signature-Hashtag #freiheit inzwischen in #beinfreiheit verwandelt: Kaum gestartet, bat er Lufthansa schon mal um ein Upgrade für die Rückreise. Und bekam dann noch für den Hinflug einen besseren Sitzplatz.

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Teil 2: Inside YouTube #2 / Die VideoDays sind verdammt norma-a-a-al!

Pompmusik mit Westernhagenschwulst, mindestens, hätte man gerne schon unter seine ersten Tweets mit #freiheit gelegt. Als der Youtuber Simon Unge Ende Dezember des vergangenen Jahres schließlich in einem Video verkündete, sein Netzwerk Mediakraft verlassen zu wollen, war dies ein unerhörter Vorgang – vor allem, was die Aufmerksamkeit und Resonanz anging. „20.12.2014 der deutsche tag der freiheit im internet. man sollte dies feiern wie die Revolution!“, twitterten aufgewühlte, rechtschreib-agnostische junge Menschen. 

@unge #freiheit 20.12.2014 der deutsche tag der freiheit im internet . man sollte dies feiern wie die Revolution ! hast du toll gemacht ! <3

— Dominik k. (@dodokroemer) 20. Dezember 2014

Genau, Revolution! Ein Fesselabwurf, eine Re-Hippiesierung des früher so freien Videoportals! Die Generalverbimsung des fiesen Systems! Wenn Mediakraft ihn wie angedroht in die Privatinsolvenz treibe, trotzte Unge im Video, „dann mache ich eben ne Weltreise.“ Man sah ihn schon mit träge im Wind trudelndem Rastahaar, die nötigsten Habseligeiten aufgeschnallt, in den Sonnenuntergang longboarden - was braucht man denn schon, so lange man nur frei ist? Weg mit dem bösen wirtschaftlichen Überbau, der die Leidenschaft mit Vertragsklauseln knebelt und kommerzialisiert!

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Die gefürchtete Insolvenz hat Unge großbogig umkurvt, sein neuer, Mediakraft-freier Letsplay-Kanal hat längst wieder über eine Million Abonnenten. Zu seiner Weltreise ist er vor drei Wochen trotzdem aufgebrochen. Allerdings hat sich sein Signature-Hashtag #freiheit inzwischen in #beinfreiheit verwandelt: Kaum gestartet, bat er Lufthansa schon mal um ein Upgrade für die Rückreise. Und bekam dann noch für den Hinflug einen besseren Sitzplatz.

nicht schlecht #beinfreiheit :D Anton pennt die sau! @MafuyuX

— Simon Unge (@unge) 14. April 2015

 


#beinfreiheit landete, natürlich, in den Twittertrends. 

Mit der im Dezember von vielen herbeifantasierten Revolution hat das, rein äußerlich, nicht viel zu tun. Was hat sich seit dem in der Szene, die sich immer weiter zur Branche professionalisiert, getan? Vordergründig vielleicht nicht viel, sagt Youtuberin Marie Meimberg, doch hinter den Kulissen sei viel passiert. Die wichtigste Neuerung: „Es wird geredet.“
 

Alles ist viel politischer geworden: Welcher YouTuber kann gut mit wem? Wer mauschelt miteinander? Die Gruppenbildungen haben sich leider verhärtet.

Marie Meimberg

Unges Freiheitsvideo habe nicht nur viele Videoantworten angestoßen, in denen andere YouTuber über ihre Netzwerkerfahrungen und andere Probleme mit den Strukturen hinter dem Portal sprechen, vor allem untereinander sei die Atmosphäre offener geworden, sagt Meimberg, die als Mitglied des Berliner Freundeskreises 301+ ohnehin daran arbeitet, den Austausch über Netzwerkgrenzen zu fördern: „Es ist viel Bewegung reingekommen: Was läuft denn bei dir, ist es bei dir auch so wie bei mir? Und man fragt jetzt einfach auch mal nach beim Kollegen, der bei einer Veranstaltung neben einem sitzt: „Sag mal, kriegst du Geld dafür, dass du heute hier bist?“. Gleichzeitig sei, eigentlich paradox, auch die gegenteilige Entwicklung zu beobachten: „Alles ist viel politischer geworden: Welcher YouTuber kann gut mit wem? Wer mauschelt miteinander? Die Gruppenbildungen haben sich leider verhärtet“, sagt Marie Meimberg. 

Als interessierter Zuschauer mit viel Tagesfreizeit kann man vor allem letztes Phänomen wunderbar auf Twitter beobachten, wo die einzelnen Protagonisten und Klüngel, die ebenfalls über ausreichend Freizeit verfügen, regelmäßig aufeinander losgehen wie früher die Zigarettenbürschchen in der Schulhofraucherecke. Auch diese Schnappfreudigkeit hat zugenommen in den letzten Monaten. Und wenn Simon Unge von seiner Weltreise twittert, er bräuchte dringend eine neue Computermaus, schießt C-Bas von den Comedy-Youtubern Bullshit-TV direkt mit einem Tweet hinterher: „Zahncreme ist leer! @Zahncremefirma, könnt ihr bitte kostenlosen Nachschub rüberschippen? Mache im Gegenzug ein ungekennzeichnetes Placement.“

Das wäre der erste Kurs in ihrer noch zu gründenden Youtube-Kompetenzschule, sagt Marie Meimberg: „Wie twittert man bedacht?“ Es nützt wenig, dass unbedachte Tweets dann oft auch wieder gelöscht werden: Wie jede richtige Branche hat auch YouTube inzwischen seinen Branchendienst, sogar gleich mehrere, mit eigenen Philosophien und unterschiedlicher Gossip-Kultur. Weil, auch das ist eine Nebenwirkung der Professionalisierung, Hintergründe wichtiger geworden sind und Videos nicht mehr nur für sich stehen.

Manchmal verbergen sich diese YouTube-Watcher wie ein Geheimdienst in unauffälligen Hinterzimmern, in die man durch eine Katzenklappe hineinkriechen muss: Der bestinformierte, regste inoffizielle YouTube-Klatschfundus firmiert beispielsweise in einem entlegenen Unterforum einer Second-Hand-Kleidershoppingseite. Aufmerksamer und meinungsfroher als manch professioneller Nachrichtendienst werden hier besonders dämliche YouTuber-Tweets archiviert, bevor der Absender sie in später Einsicht wieder löscht, neue Videos kommentiert, über Zusammenhänge spekuliert. Entwicklungen prognostiziert. Meistens auch noch ziemlich amüsant.

Auch auf YouTube selbst gibt es Meta-Formate: Den wöchentlichen Rückblick „WuzzUp!?“ von Mr.Trashpack zum Beispiel.

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Oder Marie Meimbergs „Maries Stammtisch“, bei dem sie mit anderen YouTubern am Bartresen über Themen wie „Fangirls ficken“ diskutiert. 

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Die Zwillingsbrüder Dennis und Benni Wolter haben auf ihrem YouTube-Kanal Twin.tv eine wöchentliche Sendung, in der sie mit unterschiedlichen Formaten das YouTube-Geschehen persiflieren. Auf einen YouTube-unkundigen Zuschauer wirkt „WorldWide Wohnzimmer“ wie das TV-Programm aus einer fremden Welt am Ende des Kaninchenlochs. 

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Wer jedoch das Personal dieser Parallelwelt kennt, amüsiert sich köstlich, wenn die Zwillinge die bizarrsten Tweets von BibisBeautyPalace pantomimisch nachspielen oder mit der Flinte auf die Jagd nach Taddl gehen, dem scheuen, gesichtstätowierten YouTube-Beau. Als die sogenannte Gang, eine Zusammenrottung Kölner Laut-YouTuber um DagiBee und Liont, kollektiv ihre Teilnahme an den Videodays absagte, produzierte Twin.tv zur Melodie von Trios „Da da da“ den passenden Song: „Nee! Nee! Nee! (ätschibätsch, wir kommen nicht)“. Nur so für die zeitliche Dimension: Als das Original-Lied 1982 veröffentlicht wurde, waren sämtliche beteiligten YouTuber noch gar nicht geboren.

Finden sie es heikel, in ihren Acht-Minuten-Shows auch die YouTuber hopps zu nehmen, mit denen sie vor ein paar Jahren noch selbst Videos drehten? „Wir versuchen, unabhängige Moderatoren und gleichzeitig Teil der Szene zu sein“, sagt Dennis Wolter. Das funktioniere ganz gut: „Wir sind ja auch ein bisschen älter, schon 24. Das ist in YouTube-Jahren, wo 13-Jährige schon Schminktipps geben, ziemlich alt.“ Als Beobachter sagen sie: Natürlich hat sich die Szene im letzte halben Jahr verändert, wie sie sich dauernd weiter wandelt, schneller als andere Unterhaltungsbranchen: „Alleine an Unge kann man zum Beispiel sehen, dass er jetzt genau weiß, wie viel er verdienen kann. Und dass er für ein Video mit dem Titel 'Ich treffe meine Exfreundin und ich weine' mehr Klicks bekommt als für ein Video, in dem er sich einen Vanillepudding kocht.“

Noch sind&nbsp;YouTube-Fernsehen-Crossover-Formate selten, dabei nähert sich das Videoportal mit fortschreitender Entwickung der ältlichen TV-Tante immer mehr an.

Mit „WorldWideWohnzimmer“ bedienen sie eine interessante, neue Zielgruppe: Zuschauer, die zwischen der YouTube-Welt und klassischen Unterhaltungspraxen hin- und herspringen können. Die wissen, wer Shirin David ist (Tipp: die Lösung hat viel mit Extensions zu tun), aber auch Ironie lesen können. Gerade letzteres ist auf YouTube und drumherum noch ausbaufähig.

Spitzer scheint noch diese Zielgruppe bei den regelmäßigen, so fachsinnigen wie komischen YouTube-Attacken von Jan Böhmermann: Nach seinen herrlichen Konfettiangriffen auf Sami Slimani hat er in seinem Neo Magazin Royale kürzlich die Top Five der Songs über deutsche YouTuber vorgesungen: Wer sowohl „Hypnotize“ von Notorious B.I.G. und BibisBeautyPalace kennt, amüsiert sich köstlich über sein „Bibi-Bibi-Bibi, can’t you see / sometimes your Schminktipps hypnotize me“. Aber wie viele frühjugendliche Fans des LetsPlayers Dner sind gleichzeitig mit dem Gesamtwerk von Pur vertraut? Und wieviele ja auch nicht mehr taufrische Pur-Fans kennen Dner? Unverdrossen singt Böhmermann seine neue Version des Pur-Hits „Lena“: „Dner /du hast es oft nicht leicht / Mediakraft macht dich reich“. Und covert die "Ärzte": "Unge - warum hast du nichts gelernt?"  

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Noch sind solche YouTube-Fernsehen-Crossover-Formate selten, dabei nähert sich das Videoportal mit fortschreitender Entwickung der ältlichen TV-Tante immer mehr an. So wenig man wie das Fernsehen sein will - man braucht am Ende vielleicht doch  ähnliche Systeme und Setzkästen. Es ist die Konsequenz aus stetig wachsender Reichweite, dass sich die YouTuber irgendwo einordnen müssen, einsortieren lassen in die Gesamtpalette. 

Oder, um im TV-Bild zu bleiben: Sich entscheiden, ob man mit seinem YouTube-Kanal eher RTL oder EinsPlus sein möchte. Ob man lieber mit seinen Videos für seine besondere Schnittechnik einen Webvideopreis gewinnen will –oder doch den Kids’ Choice Award, für den sich die Fans von Sami Slimani und Dagi Bee auf Twitter die Nächte durchvoteten. „Auf YouTube ist es auch nicht anders als im Fernsehen: Dort werden die Oscars übertragen, aber es gibt auch den Bambi“, sagt Marie Meimberg. „Steht zu dem, was ihr macht. Macht das, was ihr macht, transparent. Und wenn für Euch die Quote zählt und die stimmt, dann freut Euch doch darüber. Aber sich als YouTuber immerzu wie RTL zu verhalten und dann plötzlich mit der Arte-Fahne zu wedeln, das ist seltsam. “

Weiter zu Teil 2: Inside YouTube #2 / Die VideoDays sind verdammt norma-a-a-al!

Die Vorgeschichte: Vor einem halben Jahr hat WIRED die YouTube-Szene schon einmal beleuchtet, die große Reportage dazu lest ihr hier.

 

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