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Smartphones können stressen! Zurück zum MP3-Player

von Johnny Haeusler
Unsere Smartphones können fast alles, und genau deshalb lenken sie uns auch so oft ab vom Wesentlichen, auf das wir uns doch gerade konzentrieren wollten. Unser Autor zwingt sich durch Produkte mit beschränkten Funktionen dazu, zu fokussieren. Und glaubt, dass digitale Nischenprodukte daher noch eine Weile interessant bleiben werden.

Eltern, denen die Smartphone-Nutzung ihrer Kinder Sorgen bereitet, erkläre ich in Gesprächen gerne die Misere – und das Tolle! – unserer Handcomputer mit der Vielfalt ihrer Möglichkeiten. Ein Smartphone ist eben nicht nur eine Spielekonsole, ein Telefon, ein Nachrichtengerät oder ein Video-Player, sondern all dies und außerdem noch eine Bibliothek, das größte Musikarchiv der Welt und die familiäre und freundschaftliche Kontaktzentrale.

Das macht es natürlich nicht leichter, denn die Frage der Eltern lautet ja oft: „Was machen die da eigentlich die ganze Zeit?“. Und ich versuche dann zu betonen, dass es wenigstens nichts Schlimmes sein muss. Das Kind könnte gerade ein Buch lesen, Musik hören, mit Freunden chatten oder sogar für die Schule recherchieren!

Bei fortgeschrittenen Eltern bin ich ehrlicher und gebe zu, dass der Nachwuchs mit großer Wahrscheinlichkeit gerade abwechselnd YouTube-Videos schaut und ein Spiel spielt und dabei gleichzeitig Musik hört und mit mindestens drei Freundesgruppen chattet. Danach trinken wir einen dritten Kaffee, fragen uns, was dieser Fokusverlust wohl mit den Jugendlichen anstellen mag und stellen dann fest, dass wir der dauernden Ablenkung mindestens so sehr unterliegen wie unsere Kinder. Wir könnten uns also genauso fragen, was ständiges Multitasking mit uns macht.

Bei mir selbst habe ich diesbezüglich ein paar interessante Veränderungen festgestellt, ich gehe nämlich – manchmal bewusst, manchmal unbewusst – zurück auf Geräte, die nur für bestimmte Zwecke vorgesehen sind, um mich nicht so sehr ablenken zu lassen.

Wenn ich zum Beispiel am Abend Musik hören möchte, tue ich das wieder verstärkt mit dem Plattenspieler – und eben nicht via Spotify oder iTunes Music. Ganz abgesehen von der auch für Normalhörer wie mich spürbar besseren klanglichen Qualität einer Schallplatte an einer ganz normalen Anlage gegenüber einem Stream, der via Bluetooth an einen Lautsprecher gesendet wird, macht es mir mehr Spaß, ein Album konzentriert zu hören, das mir sogar Geld wert war. (Das eigentliche Verfahren bei uns im Haus: Wir entdecken über die Streamingdienste neue Musik oder hören in neue Alben bekannter Künstler rein, um dann das wirklich gute Zeug oder auch mal einen Klassiker auf Vinyl zu kaufen. Im Grunde ergänzen die Streamingdienste also eher das Radio.)

Anderes Beispiel: Lesen. Ich lese die täglichen Nachrichten auf dem Smartphone oder Tablet, Bücher aber entweder auf Papier oder (häufiger) auf einem Kindle. In der beleuchteten Version empfinde ich E-Book-Reader mit E-Ink-Displays sogar als optisch angenehmer und besonders am Abend weniger ermüdend als Papier, sie sind zudem leichter als ein Tablet und ihre Batterie hält länger durch. Den Vorteil des Nachschlagens bestimmter Worte bei englischsprachigen Büchern bringen sie dennoch mit, aber eben ohne ablenkende Apps für Mails oder das Web. Keine Notification, keine Updatemeldungen, keine Tweets. Aufs Tablet weiche ich wegen der farblichen Darstellung nur noch aus, wenn ich Comics lese.

(Anmerkung am Rande: Ich hätte gerne ein E-Ink-Tablet in etwas größerem Format als bisherige E-Book-Reader, das Anmerkungen und Notizen in PDFs oder anderen Dokumenten auch mit einem Stift zulässt, aber keine Mail- oder Twitterfunktion besitzt, sondern die gewünschten Dokumente über eine Cloud mit meinem Rechner synchronisiert. Auf Wunsch ließe sich das Gerät auf farbige Darstellung umschalten für Comics oder wichtige Bilddarstellungen in Dokumenten. Das Tablet von reMarkable ist da auf einem richtigen Weg, war bei meinem Test aber noch nicht überzeugend genug.)

Nischenprodukte für nur wenige Funktionen, die ein Smartphone eigentlich mit abdeckt, wurden oft totgesagt, doch sie sind meiner Meinung nach noch lange nicht erledigt.

Im täglichen Alltag gibt es dann außerdem noch die Smartwatch. Zu Beginn meiner Nutzung hatte ich nicht damit gerechnet, inzwischen mag ich es aber sehr, die Uhrzeit, die Außentemperatur und auch noch meinen aktuellen Puls mit einem Blick aufs Handgelenk ablesen und Timer beim Kochen schnell einstellen zu können und zu wissen: Die wenigen wirklich wichtigen Benachrichtigungen und Terminerinnerungen, die ich auf der Uhr zugelassen habe, erreichen mich auch, wenn das Smartphone nicht in der Nähe ist. Und mit einer Smartwatch, die LTE integriert hat, können die ganz Mutigen das Haus sogar ganz ohne Smartphone verlassen. E-Mails, Tweets, Facebook-Blödsinn und Instagram-Benachrichtigungen lässt man dann mal eine Weile hinter sich, wichtiges kommt trotzdem durch. Ein gutes Gefühl.

Selbstverständlich geht das alles auch mit einem Smartphone, das man sehr spartanisch einrichtet und einstellt. E-Mails nur auf dem Rechner am Schreibtisch. Notifications nur für sehr wichtige Nachrichten. Keine Games, kein Facebook.

Dieses Vorgehen habe ich ausprobiert, aber es funktioniert für mich nicht. Ich bin einfach zu undiszipliniert dafür. Wenn ich Fokus will, muss ich mich ein wenig dazu zwingen, und ein E-Book-Reader, eine Schallplatte oder eine Smartwatch als Zentrale für nur das Allernötigste wirken bei mir Wunder.

Und ich vermute, dass es auf Dauer auch jungen Smartphone-Nutzerinnen und -Nutzern ähnlich ergehen wird. Will man wirklich in Ruhe lesen, greift man zum Buch. Will man gemeinsam spielen, bringt die Konsole oder der Game-PC mehr Konzentration mit sich. Und in Sachen Musikhören, der bei vielen Jugendlichen sicher wichtigsten Funktion ihres Smartphones, kann ich mir sogar eine Renaissance von MP3-Playern vorstellen oder tragbare Lautsprecher, bei denen Spotify oder ähnliche Dienste integriert sind.

Nischenprodukte für nur wenige Funktionen, die ein Smartphone eigentlich mit abdeckt, wurden oft totgesagt, doch sie sind meiner Meinung nach noch lange nicht erledigt. Die Vielfalt unserer Smartphones bringt viele Vorteile, aber eben auch Nachteile mit sich, und je länger wir sie nutzen, desto klarer werden diese, und desto eher beschränken wir uns bewusst und mit voller Absicht, wenn wir der Ablenkung müde sind.

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