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SXSW / Was ist eigentlich der Sinn von Wearables und Virtual Reality?

von Thorsten Schröder
Virtual Reality, Augmented Reality, Wearables: Die Technologie ist da, doch was machen wir jetzt damit? Ein paar Ideen vom SXSW-Festival in Austin.

Im vergangenen Jahr war es Google Glass. Nirgendwo blieb einem auf dem SXSW 2014 in Austin der Anblick der Internetbrille erspart, sie wurde als der nächste große Schritt der vernetzten Menschheit gefeiert. 2015 ist von der Euphorie wenig übrig: Die Google-Gestelle sind von der Bildfläche verschwunden. Stattdessen stellen sich die Tech-Fans auf dem SXSW in lange Schlangen, um für wenige Momente in die virtuelle Realität einzutauchen. Das neue Lieblingsspielzeug heißt Oculus Rift. Die kleine VR-Schmiede wurde erst vor wenigen Monaten von Facebook übernommen — seitdem ruhen auf ihr die Hoffnungen einer ganzen Branche.

Das Marktvolumen für VR soll in drei Jahren auf mehr als fünf Milliarden Dollar anwachsen.

Anders als viele Generationen von VR-Versuchen davor, glaubt auch Todd Richmond, werde die virtuelle Realität dieses Mal bleiben. „Der Geist ist aus der Flasche”, sagt der Direktor des Institute for Creative Technologies an der University of Southern California. Jetzt müsse man vor allem herausfinden, wie man die Technologie auch tatsächlich zu Geld machen könne. Immerhin soll das Marktvolumen für VR in den kommenden drei Jahren auf mehr als fünf Milliarden Dollar anwachsen.

 

Noch sind die Ideen allerdings auch in Austin vage. Fest stehe nur, dass die Technologie das Potential habe, unsere Abeitswelt und Kommunikation radikal zu verändern, sagt BC Biermann, Gründer des Technik-Kreativpools The Heavy Project. Ein paar Vorschläge hat Biermann: Dank Virtual und Augmented Reality könnten wir zum Beispiel schon bald innerhalb weniger Minuten Avatare in fremde Umgebungen eintauchen lassen, die uns zum Verwechseln ähnlich sehen. Ärzte und Fitnesstrainer könnten so zum Beispiel eindrucksvoll zeigen, wie sich jahrelanges Rauchen oder regelmäßiges Training auf den eigenen Körper auswirkt. Soldaten, die nach Einsätzen an postraumatischen Störungen leiden, könnten in VR-Therapien in entspanntere, friedvollere Welten zurückgeholt werden. Und Kinder, die an ein Krankenhausbett gefesselt sind, würden dank aufgeschnallter Brillen dem tristen Alltag entfliehen (mehr zu medizinsichen Anwendungsmöglichkeiten von Oculus und Co. lest ihr in unserer Reportage „Augenmedizin).

Die Kosten müssen gesenkt und die Tools mehr Menschen zugänglich gemacht werden.

Noch sei all das neu, aber schon bald, so die Hoffnungen von VR-Befürwortern wie Todd Richmond, werde der Umgang mit virtuellen Realitäten so normal sein wie die Fingergesten am Smartphone. „Es wird in wenigen Jahren niemanden geben, der nicht Teil davon ist“, sagt Richmond. Um die Technologie voranzutreiben, müssten nun die Kosten gesenkt und die Werkzeuge mehr Menschen zugänglich gemacht werden.

Geht es nach den Branchenkennern in Austin, wird die Grenze zwischen physischer und virtueller Realität schon bald immer mehr verwischen. Kontaktlinsen und Implantate sollen die Außenwelt mit unserem Körper verschmelzen lassen. Das Wort „real“, meint Richmond, werde sich nicht mehr nur auf physische Objekte beziehen. „Wir brauchen für diese neue Welt eine ganz neue Begrifflichkeit.“ Die Welt, von der er spreche, werde „von Google, Facebook und einer Firma geformt, die es jetzt noch gar nicht gibt“. Und das macht selbst einigen der SXSW-Experten Sorgen. Die Menschen werden an ihrem Arbeitsplatz oder zu Hause nicht mehr nur über Stunden vor einem Bildschirm sitzen, fürrchten sie, sondern mithilfe von VR-Brillen und Helmen über lange Strecken völlig aus der physischen Welt verschwinden. „Die Frage wird sein, wie wir danach noch abschalten können“, sagt Richmond.

Bei Wearables eilt die Technologie dem Nutzen voraus.

Die Frage nach dem Sinn taucht in Austin auch an anderer Stelle auf. Bei Wearables scheint die Technologie dem tieferen Nutzen ebenfalls in vielen Fällen vorauszueilen. Der Hype ist dabei ungebrochen. Allein in diesem Jahr soll das Geschäft mit am Körper tragbarer Techniologie auf mehr als sieben Milliarden Dollar wachsen, bis 2018 sollen es fast 13 Milliarden Dollar sein. Entsprechend mangelt es nicht an Ideen: Schuhsohlen, die Energie erzeugen oder Wearables für Kinder, die die Kommunikation mit Eltern und Freunden erleichtern sollen, aber viele SXSW-Besucher auf den ersten Blick vor allem an elektronische Fußfesseln erinnern. BC Biermann sieht die Entwicklung zwiespältig. Eigentlich gehe es darum, Probleme zu lösen. „Aber irgendwie haben wir auf dem Weg vergessen, warum wir das alles machen.“ Es sei schlicht einfacher, noch einen Sensor zu entwickeln, als den Sinn dahinter zu entdecken.

Tatsächlich gibt es noch nach Meinung vieler Branchenkenner große Lücken. Wearables würden vom Nutzer noch immer zu viel manuelles Eingreifen verlangen, um wirklich nützlich zu sein, sagt etwa Sophie Kleber von der New Yorker Digitalagentur Huge. Gleichzeitig würden etwa Fitness-Tracker jede Menge Daten zu Schlaf, Bewegung und Ernährung sammeln. Aber warum wir zum Beispiel mitten in der Nacht aufwachen, bleibe dabei im Dunkeln. „Wirkliche Vorschläge, was wir wie anders machen sollen, gibt es nicht“, sagt die Quantified-Self-Expertin.

Wearables sollen zur wirklichen Verlängerung des Körpers werden.

Doch es gibt Ansätze, die Lücken zu schließen. Firmen wie exist.io und Tictrac versuchen, die Daten zu einem größeren Ganzen zusammenzufügen und so ein Gesamtbild zu erstellen. Smarte Glühbirnen wie The Bolt lassen sich mit Fitness-Trackern verbinden und passen die Schlafzimmerbeleuchtung an die Schlafphasen an. Andere, darunter Tracking-Pionier Fitbit, experimentieren mit elektronischen Tattoos, die Armbänder und Uhren ersetzen und die Zusammensetzung von Schweiß, Gehirnströmungen und Stimmungen erfassen sollen — um Wearables zu einer wirklichen Verlängerung des Körpers werden zu lassen. Schon in diesem Jahr könnten die ersten Modelle auf den Markt kommen.

Die Geräte der Zukunft sollen nicht mehr nur ihrem Träger Feedback geben, sondern auch dem Umfeld. Versicherungsfirmen könnten Kunden in wenigen Jahren um den Zugriff auf Gesundheitsdaten von Tracking-Geräten bitten, um im Gegenzug Prämien zu senken. So sollen chronische Krankheiten wie Diabetes oder Herzprobleme frühzeitig erkannt überwacht werden. „In den nächsten fünf Jahren“, ist Paul-Michael D’Alessandro, Datenexperte bei PricewaterhouseCoopers, sicher, „werden wir dramatische Veränderungen in der Art sehen, wie diese Daten genutzt werden können“. 

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