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Erstes Update: Das Fairphone bekommt neue Kameramodule

von Karsten Lemm
Das Fairphone aus den Niederlanden verspricht sozialverträgliche Produktionsbedingungen und weniger Verschwendung durch modulares Design. Nun ist das erste Upgrade da: zwei Kamera-Module für bessere Fotos. WIRED hat sich vom Fairphone-Gründer zeigen lassen, wie der Austausch funktioniert.

Wenn Bas van Abel abends an der Bar sitzt und die Rede auf sein Smartphone kommt, nimmt er es gern auseinander. Ein paar geübte Handgriffe genügen, schon liegt das Gerät, in seine Einzelteile zerlegt, auf dem Tisch. Ganz ohne Werkzeug, einfach so. „Es ist leicht, so ins Gespräch zu kommen“, erzählt der 40-jährige Holländer – und genau darum geht es dem Chef und Gründer der Fairphone-Initiative: eine Debatte anstoßen, ob es wirklich sein muss, dass Handys nahtlos verschweißt und verklebt sind; schön anzusehen, aber kaum zu reparieren und nach zwei Jahren ohnehin obsolet, weil bei der Verlängerung des Handy-Vertrags gleich ein neues Gerät bestellt wird.

Van Abel dagegen will sicherstellen, „dass Menschen ihr Smartphone so lange weiter benutzen können wie nur irgend möglich“. Deshalb ist das Fairphone 2, das 2015 vorgestellt wurde, modular aufgebaut: Zerspringt das Display nach einer unglücklichen Begegnung mit den Folgen der Schwerkraft, lässt es sich problemlos ersetzen. Genau wie der Akku, das Gehäuse, die Kamera oder der Lautstärkeknopf. Zum Reparieren ist das praktisch, keine Frage. Aber was passiert, wenn die bisherige Technik vom Fortschritt überholt wird?

Die Antwort liefern die Fairphone-Erfinder nun zum Start der IFA: Zum ersten Mal bekommt ihr Handy ein Upgrade. Zwei neue Kameramodule für vorn und hinten sollen die Bildqualität deutlich steigern. Selfies knipst das Fairphone dann mit fünf statt zwei Megapixeln, Fotos mit der rückwärtigen Kamera kann das Handy künftig mit zwölf statt acht Megapixeln aufnehmen. Auch kontrastreicher sollen die Aufnahmen werden und bei geringem Licht weniger rauschen, weil der Fotosensor größer ist als bisher. 70 Euro kostet das Upgrade im Kombipack; wer die Module einzeln kaufen möchte, zahlt 45 Euro für die rückwärtige und 30 Euro für die Front-Kamera.

„Wir zeigen damit, dass wir das Smartphone deutlich verbessern und so am Leben erhalten können“, sagt van Abel. Beim Besuch in der WIRED-Redaktion demonstriert er auch gleich, was dazugehört, das Fairphone auf den neuesten Stand zu bringen: Das Gehäuse lässt sich ohne Hilfsmittel auseinandernehmen. Für das Austauschen der Module hat er einen Standard-Schraubenzieher mitgebracht. Alles in allem dauert die Frischzellenkur, samt Zusammenbau am Ende, kaum fünf Minuten. Weniger Geübte brauchen vielleicht etwas länger – aber zumindest muss niemand ein Genie sein oder zum Service-Center laufen, um die Bauteile auswechseln zu lassen.

Genau das war die Idee, als van Abel, ein gelernter Industriedesigner, 2013 daranging, etwas gegen die Missstände der Handywirtschaft zu unternehmen: weniger Ressourcen-Verschwendung, faire Arbeitsbedingungen in der Produktion, volle Transparenz beim Einkauf der Rohstoffe und selbst beim Preis. Freimütig schlüsselt van Abels Startup auf, dass von den 525 Euro nach Abzug von Herstellungskosten, Steuern und anderen Posten gerade mal neun Euro Gewinn übrig bleiben.

Das erste Fairphone war komplett über Crowdfunding finanziert und fand rund 60.000 Käufer, für die zweite Version haben sich bisher mehr als 80.000 sozial engagierte Menschen entschieden – eine winzige Zahl im Vergleich zu den 430 Millionen Apple- und Android-Handys, die allein im vorigen Jahr verkauft wurden. Und doch sieht van Abel sein Projekt als enormen Erfolg. „Wir haben es geschafft, eine Firma auf einem Prinzip aufzubauen, das anders ist als alle anderen“, erklärt er und zieht den Vergleich zu Bio-Lebensmitteln in den 80er Jahren: Was einst eine Nische war, ist heute Mainstream. „Bei Elektronik haben wir noch kaum damit begonnen, ähnliche Fragen zu stellen wie bei Nahrungsmitteln“, sagt van Abel. „Das Fairphone schließt diese Lücke.“

Die Tatsache, dass bisher schon mehr als 140.000 Menschen an seine Idee geglaubt haben, sei da „an sich schon ein Erfolg“. Und niemand zeigte sich für die idealistische Initiative aus den Niederlanden so empfänglich wie die direkten Nachbarn aus dem Osten: „Deutschland ist unser größter Markt“, erzählt van Abel, „und Berlin hat die höchste Zahl an Fairphones weltweit.“ Je bekannter das Projekt wird – gerade haben die Macher als Auszeichnung für ihre Kreativität einen Goldenen Löwen in Cannes erhalten –, um so mehr steigt die Nachfrage. „Wir wissen, dass wir noch deutlich mehr Geräte verkaufen können. Es fehle nur an Kapital, um die Produktion auszubauen. „Deshalb sprechen wir jetzt mit Investoren und Mobilfunkanbietern.“

Zu schnell will van Abel seine Firma, die bisher mit sieben Ingenieuren auskommt, aber gar nicht wachsen sehen. Sonst könnte es schwer fallen, weiterhin den eigenen Ansprüchen an faire Arbeitsbedingungen und umweltschonende Ressourcengewinnung gerecht zu werden. „Unser Vorteil gegenüber anderen Herstellern liegt darin, dass wir bei allem, was wir tun, sozial verantwortlich handeln“, erklärt der Fairphone-CEO. „Deshalb wäre es riskant, zu sehr aufs Tempo zu drücken.“ Doch selbst aus der Nische heraus lasse sich viel erreichen. Ob sich etwas ändere, argumentiert van Abel, liege am Ende vor allem daran, „wie Kunden sich entscheiden“.

Wie sehr das modulare Konzept die Lebensdauer eines Fairphone-Handys verlängern kann, muss sich noch zeigen. Nicht alle Upgrades, die Nutzer sich wünschen mögen, seien auch umsetzbar: „Ein Smartphone ist ein hoch komplexes Produkt“, erklärt van Abel. Allein die sieben Antennen, die im Fairphone stecken, stellen eine Herausforderung dar. Sie müssen nicht nur reibungslos zusammenarbeiten, sondern auch alle Zulassungsvorschriften erfüllen. Ähnliches gilt für die Prozessoren, etwa die CPU und die Grafikchips. „Alles hängt von einander ab“, sagt van Abel.„Wenn man da zu viel ändert, werden die technischen Hürden zu groß.“ Zusätzlich müsste das Gerät neu zertifiziert werden.

Für den Augenblick zumindest stellt der kalifornische Chip-Hersteller Qualcomm weiterhin alle wichtigen Komponenten her, und Fairphone selbst kümmert sich darum, die Android-Version, auf die sich das Handy verlässt, aktuell zu halten. Deshalb arbeite sein Team bisher nicht an einem Fairphone 3, erklärt van Abel. Auch wenn für die nahe Zukunft über die Kamera-Module hinaus nichts Marktreifes geplant sei: „Wir überlegen uns weitere Upgrade-Möglichkeiten.“

Beim Besuch in der WIRED-Redaktion führte van Abel Schritt für Schritt vor, wie sich die beiden Kamera-Module austauschen lassen.

 

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