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Die Neuerfindung der Lichtröhre aus Berlin

von Jasmin Tomschi
Das perfekte Licht sieht aus wie eine Neonröhre, jedenfalls wenn man den Designern des ​Kiën Licht 1 glaubt. Doch die Pendelleuchte des Berliner Startups Sygns ist kein klassischer Leuchtstoffstab, sondern setzt auf LEDs, bildet das Tageslicht naturgetreu ab und kann per App gesteuert werden. Entwickelt wurde sie von Designern, Wissenschaflern und Lichtexperten.

Mit seiner minimalistischen Form sieht das Licht 1 aus wie eine klassische Leuchtstoffröhre. Doch mit dem kalten Neon der Großraumbüros und Supermarktregalschluchten hat die neue Lampe der Marke Kiën des Berliner Startups Sygns nichts gemein. Anstelle des Edelgases treten umweltfreundliche LEDs, die auf Wunsch das natürliche Tageslicht simulieren können. Helligkeit und Farbtemperatur lassen sich mit einer Smartphone-App auf die eigenen Bedürfnisse anpassen.

Und auch modernen Smartlights wie Philips HUE oder LIFX hat Licht 1 etwas voraus: Es ist nicht bloß eine Smarte Glühbirne, sondern eine komplette Pendelleuchte. Diese soll in Privatwohnungen ebenso hängen wie in Büroräumen, als gesunde Lichtquelle, mit der man dynamisch zwischen aktiven Phasen und Ruhemodi wechseln kann.

Entwickelt wurde Licht 1 von den Sygns-Gründern Nils Lehnert und Anthony Genillard, die seit 2014 Neonleuchten und -schriftzüge für Kunden wie Audi oder Künstler wie Libia Castro und Ólafur Ólafsson herstellen, und ihrem Produktdesiger Markus Mai. „Für Kiën haben wir unsere eigenen Platinen und unsere eigene Intelligenz entwickelt“, sagt Mai über die Hardware und smarte Elektronik in der Lampe. Mai hat an der HGB Leipzig bei der Künstlerin Astrid Klein studiert und im 3D-Druckhaus bei Dick & Dick praktische Fertigungstechniken erlernt. Ursprünglich schwebte ihm ein Lichtkonzept vor, das systematisch über Ecken zusammensteckbar sein sollte. Doch dann kam alles ganz anders.

Ein Jahr lang wurde mit LED-Experten des Fraunhofer-Instituts und der Technischen Universität Berlin und Dresden sowie Mentoren wie dem Architekten Christoph Ingenhoven an Kiën gearbeitet. Am Ende sah Mais Idee vom perfekten Licht wesentlich reduzierter aus als anfangs gedacht.

Im interdisziplinären Ansatz des Teams trifft skulpturales Design auf innovative Technologie. Das Ergebnis: LED-Pendellampen in drei Längen (60, 100 und 140 cm), deren Einzelteile in erster Linie lokal in Berlin, Dresden und Dingelstädt in Thüringen produziert werden. Es gibt drei Materialvarianten: Für die erste wird Industriebeton in eine Form gegossen und speziell verstärkt, damit er nicht bricht. Für die zweite wird Holz in dünnen Schichten auf einen Metallkern gezogen und in einem mehrstufigen Prozess von Spannung befreit. Und für die dritte wird Aluminium mit einer Pulverbeschichtung versehen, die es mattiert und die Oberfläche vor Kratzern schützt.

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Neben dem Leuchtkörper besteht Licht 1 aus einem puristischen Baldachin, der die Stromzufuhr regelt. Er wird in der gleichen Form und dem gleichen Stil wie die Lampe geliefert und bleibt bewusst sichtbar: an der Decke oder Wand montiert.Hinzu kommt ein im 3D-Druckverfahren hergestellter Plug, den sich die Macher patentieren lassen haben: Er ist Stecker, Griff und Abschluss der Lampe in einem, mit einer integrierten Kabelklemme versehen und leitet Strom, ohne den Nutzer mit freiliegenden Leitungen zu konfrontieren. Mit seinem Klickmechanismus lassen sich mehrere Leuchten problemlos koppeln und mit einer einzigen Stromquelle verbinden. Der Anspruch von Markus Mai: wenn schon die Leuchtröhre neu erfinden, dann so einfach wie möglich.

„Es sind Details wie der 3D-Druck, der Stecker und der Baldachin, die den wesentlichen Unterschied ausmachen. Würde man auf all das verzichten, wären wir schnell wieder bei einer ganz normalen Lampe“, sagt der Produktdesigner. „Wir lassen alle Kunststoffkomponenten in 3D drucken, weil die Teile so von Grund auf aufgebaut werden. Anders hätten wir gewisse Funktionen im Inneren der Lampe gar nicht realisieren können.“

Doch nicht nur im Design stecken innovative Details, sondern vor allem bei der Qualität des Lichts gingen die Kiën-Entwickler so weit, wie es heute möglich ist. Sie wollten eine dimmbare Leuchte entwickeln, die den natürlichen Zyklus des Tageslichts simulieren kann, eine gesundheitsförderliche Lichtquelle für unterschiedlichste Situationen.

Das Team hinter Kiën arbeitet deswegen mit dem LED-Experten Samuel Kress zusammen. Kress beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren mit LED-Technologie, war zeitweise auf Veranstaltungstechnik spezialisiert und hat vor fünf Jahren den ersten Supermarkt Berlins komplett mit LED-Beleuchtung ausgestattet. „Man muss das Lichtempfinden schärfen“, sagt er. „Es ist wichtig, dass Räume gleichmäßig ausgeleuchtet sind, der Mensch sollte die Präsenz des Lichts aber stets auch richtig wahrnehmen können.“ Was er meint: Ist in der Umgebung kein Schatten zu sehen, fehlt oft die Orientierungsmöglichkeit. Oder kommt über Spots zu starkes Licht zum Einsatz, ist das ebenfalls unangenehm. Für Kiën setzt Kress deshalb auf ein perfektes Mittelmaß, „damit das menschliche Auge die Lichtfarbe nicht ständig ausgleichen muss und dabei ermüdet.“

Die Qualität einer Lichtquelle misst man unter anderem daran, wie Farben wiedergegeben werden, wenn ein Gegenstand von ihr beleuchtet wird. Mit einem Farbwiedergabeindex (CRI) von über 90 ist das Licht 1 hier gut aufgestellt. Auf seiner Platine sind Midpower-LEDs in zwei Reihen platziert, die unterschiedlich stark zum Leuchten gebracht werden können und einen weichen Übergang zwischen dem Warmweiß einer Glühlampe (2700 Kelvin) und dem Kaltweiß des neutralen Tageslichts (5000 Kelvin) ermöglichen.

„Gerade unsere Gesellschaft, die abends nicht mehr nur bloß aus dem Büro kommt und den Fernseher einschaltet, stellt ganz neue Wünsche an die Beleuchtung“, sagt Kress. „Es wird alles aktiver und gleichzeitig müssen wir zusehen, dass wir zur Ruhe kommen. Dabei kann einem Licht helfen und das müssen wir umsetzen.“

Im Raum soll die Kiën-Pendelleuchte an zwei dünnen Drahtseilen schweben, von einem Baldachin ausgehend können mehrere Lampen etwa von Tisch zu Tisch gehängt werden. Das ist besonders für Büros interessant, weil es so jedem Mitarbeiter freisteht, über die Temperatur und Helligkeit seines Lichts je nach persönlichen Bedürfnissen selbst zu entscheiden. Wichtig, wenn man bedenkt, dass Licht biologisch gesehen ein essentieller Taktgeber für die Leistungsfähigkeit des Menschen ist.

Mit Kiën können aber nicht nur einzelne Leuchten, sondern auch voreingestellte Gruppen gesteuert werden – mithilfe einer App für iOS, Android und Windows, aber auch mit dem Smarthome-Controller Nuimo von Senic oder über einen herkömmlichen analogen Lichtschalter. Der ermöglicht dann allerdings nur eine globale Ein- und Ausschaltfunktion. „Unser Anspruch ist, in diese Leuchte laufend alle möglichen neuen Ideen zu integrieren. Wir wollten aber keine technische Lampe bauen, sondern eben eine Designerleuchte mit Funktionen ausstatten“, sagt Kress. Das bedeutet, dass Licht 1 zukünftig in Abhängigkeit von der Sonneneinstrahlung automatisch das Licht dimmen, bewusst gegen das Tageslicht steuern oder eine bestimmte Lichtstimmung für einen gewünschten Zeitraum halten könnte.

Was direkt verfügbar sein wird, ist ein Sensor in der Lampe, der mit Einverständnis des Nutzers Leistungsdaten an eine Produktdatenbank übermittelt. „Wir sehen dann zum Beispiel kleine Spitzen, die uns erkennen lassen, dass die Leistung von der Norm abweicht. Das werten wir in Bezug auf die Gesundheit der Lampe aus“, erklärt Markus Mai. Sollte ein Problem wie zum Beispiel ungewöhnliche Wärmeentwicklung auftreten, kann der Nutzer via Message von Kiën darüber informiert werden, noch bevor ein ihm sichtbarer Schaden entsteht.

Im Frühjahr 2017 soll das Licht 1 von Kiën erstmals ausgeliefert werden. Seit Dienstag läuft eine Crowdfunding-Kampagne bei Kickstarter, die ihr Finanzierungsziel schon nach einem Tag erreicht hatte. Was passiert nach dem Marktstart? „Wir warten auf Feedback und werden unser Konzept dementsprechend weiterentwickeln und verbessern“, sagt Mai. An der Aufmachung möchte der Produktdesigner dabei aber nicht viel verändern – auch nicht, wenn die Produktlinie irgendwann auch als Steh- oder Schreibtischlampe erscheint.

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