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Das Smarthome von Nest startet in Deutschland mit einer Lücke

von Karsten Lemm
Nest kommt nach Deutschland – und muss gleich zu Beginn einen Dämpfer ankündigen. Wie der Start aber trotzdem gelingen soll und wie das Unternehmen sich die Zukunft vorstellt: WIRED hat mit den Beteiligten gesprochen.

Die Haarbürste mit WLAN-Anschluss oder der Kühlschrank, der weiß, wann die Milch alle ist – von solchen Wundern der Neuzeit mag Matt Rogers nichts wissen. „Das sind nicht die Dinge, auf die wir uns konzentrieren“, erzählt der Mitgründer der kalifornischen Firma Nest. Er sitzt auf der Bühne bei der DLD-Konferenz in München. Und lacht. Spielereien sind das, verglichen mit den Dingen, die Nest vorhat: „Wir fokussieren uns auf grundsätzliche Probleme, mit denen jeder von uns täglich konfrontiert ist“, sagt Rogers. Energiesparen und Sicherheit zum Beispiel.

Rogers, ein ehemaliger Apple-Ingenieur, ist nach München gekommen, um den Deutschlandstart von Nest bekanntzugeben. Als er die Firma 2010 gründete, gemeinsam mit Tony Fadell, dem Chefentwickler des iPod, nahmen die beiden Freunde sich vor, das Smart Home zugleich schlauer und schicker zu machen: Nest-Geräte sollten lernfähig sein, man soll sie bedienen können, ohne Digitalexperte sein zu müssen, und sie sollen sich gut ins Wohnumfeld einfügen.

Gleich mit ihrem ersten Produkt, einem Thermostat, der sich selbstständig an das Nutzerverhalten anpasst, landeten die Nest-Gründer einen Hit, und 2014 zahlte Google (heute: Alphabet) mehr als drei Milliarden Dollar, um das Startup zu übernehmen. Seither machte die Jungfirma allerdings vorwiegend durch Management-Querelen und Software-Probleme auf sich aufmerksam. Mehrfach klagten Nest-Käufer über Programmierfehler, die unter anderem dazu führten, dass Thermostaten mitten im Winter beschlossen, die Heizung abzuschalten. Als Fadell im Frühjahr 2016 die Firma verließ, wurde das in der Branche vielfach als Zeichen dafür gedeutet, dass Alphabet mit der Entwicklung des Startups alles andere als glücklich war.

Nest habe Jahr für Jahr mehr als 50 Prozent zugelegt, behauptet der Europa-Chef

Nest bestreitet das. „Tony hat Nest verlassen, weil er jemand ist, der es genießt, in den ganz frühen Tagen dabei zu sein und die Saat zu pflanzen“, erklärt Lionel Paillet, General Manager der Firma für Europa, im Gespräch mit WIRED. „Diese Phase liegt hinter uns. Nest ist enorm gewachsen, und Tony wollte sich anderen Dingen widmen.“

Weltweit habe das Geschäft der Firma „Jahr für Jahr um mehr als 50 Prozent zugelegt“, sagt Paillet. „Wir sind jetzt in sieben Ländern vertreten, aber wir sehen, dass unsere Produkte in mehr als 190 Nationen verwendet werden, überall auf der Welt.“ Patagonien sei darunter, Russland und natürlich Deutschland: „Wir haben schon mehrere tausend Nutzer in Deutschland, die Nachfrage hat uns selbst überrascht.“

Mussten Nest-Fans, die es nicht abwarten konnten, bisher auf Online-Shopping vertrauen oder Geräte selbst importieren, gibt es künftig auch hierzulande drei Geräte ganz offiziell zu kaufen: einen Rauchmelder, der auch Kohlenmonoxid messen kann, sowie zwei Überwachungskameras – eine für drinnen (Indoor), eine für draußen (Outdoor). Laut Nest sollen die Produkte ab sofort bestellt werden können, allerdings ist auf der Website der Firma bisher (Mittwochmittag) kein deutscher Online-Store zu sehen, und auf der deutschen Landingpage wird lediglich auf Vertriebspartner wie Amazon oder MediaMarkt hingewiesen.

Alle Geräte sind vernetzt, melden per Mobilapp den aktuellen Stand der Dinge und schlagen Alarm, falls sich etwas Verdächtiges tut. „Kameras sind unser derzeit am schnellsten wachsender Geschäftszweig“, sagt Paillet. „Viele Menschen fangen an, darin Sicherheitssysteme für den Hausgebrauch zu sehen.“

Was fürs Erste im Angebot fehlt, ist der mitlernende Thermostat. Dass Nest in Deutschland ohne sein bisher erfolgreichstes Produkt an den Start geht, habe mit der Vielfalt unterschiedlicher Heizsysteme zu tun: Jeder Hersteller, von Bosch bis Vaillant, setze auf eigene technische Protokolle, „und um unseren Thermostaten nach Deutschland zu holen, müssen wir zu diesen Protokollen kompatibel werden“, erklärt Produktchef Lionel Guichard-Callin. Statt Fehlfunktionen zu riskieren, habe Nest beschlossen, lieber noch zu warten. Der Thermostat solle dann „im Laufe des Jahres“ folgen.

Für seine Kamerasysteme wirbt Nest mit automatischer Bildanalyse: Entdeckt das System Menschen in der Aufnahme, schickt es auf Wunsch eine Benachrichtigung aufs Handy – nützlich zum Beispiel in Fällen, in denen eigentlich zu Hause Ruhe herrschen sollte. „Unsere Genauigkeit liegt bei weit über 95 Prozent“, verspricht Lionel Paillet. „Wenn wir Ihnen sagen, da ist jemand auf Ihrem Grundstück, sollten Sie also hinschauen.“

Solche Funktionen verlangen allerdings, dass Nutzer bereit sind, Nest tiefe Einblicke in ihr Leben zu gewähren: Zur Analyse werden die Aufnahmen ständig an die Server der Firma übertragen, damit Großrechner mit Künstlicher Intelligenz die Bilder auf verdächtige Bewegungen untersuchen können. Dabei verlässt Nest sich zwar auf das DeepMind-System von Google, versichert aber, Kunden müssten sich um ihre Privatsphäre keine Sorgen machen. „Die Daten gehören Ihnen, und alles passiert nur mit Ihrer ausdrücklichen Zustimmung“, sagt Paillet. „Wenn Sie eine Nest Cam verwenden, sind sämtliche Aufnahmen verschlüsselt. Nur Sie können die Videos anschauen, der Schlüssel gehört Ihnen.“

Der Europachef sagt im Gespräch mit WIRED das gleiche, das anschließend auch Matt Rogers auf der Bühne betonen wird: „Wenn Sie ein Nest-Produkt kaufen, laden Sie Nest zu sich nach Hause ein“ – und Gäste, die sich daneben benehmen, riskieren, dass sie nie wieder kommen dürfen. Also beteuern beide Manager, dass Nest von Google völlig unabhängig operiere und es mit dem Datenschutz sehr genau nehme. „Wir sammeln Informationen ausschließlich mit Einwilligung der Nutzer“, sagt Paillet, „und immer nur mit dem Ziel, unsere Produkte zu verbessern. Wir verkaufen keine Daten, und wer will, kann jederzeit sein Konto löschen.“

Doch selbst in Deutschland, wo die Sorge vor mangeldem Datenschutz viele Menschen beim Aufbruch in die vernetzte Zukunft zögern lässt, hat Paillet wenig Zweifel, dass Nest auf reichlich Nachfrage stoßen wird: „Die Signale sind mehr als ermutigend“, sagt er. „Der Appetit ist gewaltig.“ Tatsächlich zeigen laut einer Umfrage des Marktforschers GfK fast drei Viertel der Deutschen Interesse an Smart-Home-Lösungen. Ganz vorn liegen die Themen Sicherheit und Energiesparen – weit vor vernetzten Kühlschränken, Waschmaschinen oder Zahnbürsten.

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von WIRED Staff