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Oh toll, jetzt beurteilt Alexa auch noch mein Outfit!

von Emily Dreyfuss
Amazon hat Echo Look vorgestellt, eine Kamera mit dem Sprachassistenten Alexa. Sie soll Nutzern unter anderem Modetipps geben können. Unsere Autorin fragt: Ist es wirklich eine gute Idee, den eigenen Klamottenstil von einer Künstlichen Intelligenz beurteilen zu lassen?

Mit 16 zog ich aus Idaho nach New York. Ich war pummelig und unsicher und hoffte, dass mich niemand bemerken würde. Doch als ich nach dem ersten Tag an der neuen Schule die U-Bahn Richtung Downtown nahm, saßen mir plötzlich ein paar Mädchen aus meiner Klasse gegenüber. Die Anführerin musterte mich von oben bis unten und sagte: „Weißt du was? Ich glaube, du würdest dich hier wohler fühlen, wenn du die richtige Tasche und die richtigen Schuhe hättest.“ Alle in der Gruppe, bemerkte ich in diesem Moment, trugen die gleichen Ballerinas und hatten die gleiche Tasche über die Schulter geworfen.

Ich wäre am liebsten aus dem Fenster gesprungen. Und auch noch heute, als berufstätige Erwachsene und Mutter eines Kleinkinds, empfinde ich den Druck, immer das richtige zu tragen, als überwältigend. Jede Frau – und viele Männer! – kennt die Sorge darum, gut auszusehen, modisch angezogen zu sein, damit sie nicht nach ihrer Kleidung, sondern nach ihrer Arbeit, ihren Fähigkeiten und ihrer Persönlichkeit beurteilt wird. Es hat einen Grund, dass es in jeder romantischen Komödie diese eine Szene gibt, in der die Heldin jedes Outfit anprobiert, das sie besitzt: Das Klischee hat einen wahren Kern.

Und das erklärt auch, warum Amazon gerade Echo Look vorgestellt hat, eine 199-Dollar-Kamera mit dem hauseigenen Sprachassistenten Alexa. Sie kann alles, was Amazons andere Echo-Gadgets auch können – und darüber hinaus euer Outfit beurteilen, um euch zu helfen, immer gut angezogen zu sein.

Man muss sich das Ganze wie Amazons Version von Chers computerisiertem Kleiderschrank aus Clueless vorstellen. Echo Look katalogisiert eure Kleidungsstücke, schlägt Outfits vor und hilft mit dem Style-Check-Feature, sich zwischen unterschiedlichen Looks zu entscheiden. Man kann außerdem ein Lookbook anlegen – das dem Online-Händler dabei hilft, euch Klamotten anzubieten, die ihr vielleicht kaufen möchtet. Das Gadget wirft alle möglichen Privatsphärefragen auf: Wollt ihr wirklich, dass Amazon weiß, wenn ihr ein paar Kilo zugenommen habt? Was könnte das Unternehmen daraus ableiten? Und überhaupt, was nimmt die Kamera sonst noch so auf? Ganz zu schweigen von den psychologischen Folgen, die es haben kann, wenn man sich von einem Computer beurteilen lässt.

Warte mal, sagt ihr jetzt vielleicht, andere Menschen beurteilen doch ständig mein Aussehen. Fremde, Arbeitskollegen, Vorgesetzte, irgendwelche dahergelaufenen Leute in der Crowdsourcing-Mode-App, die ich neulich heruntergeladen habe. Richtig. Aber das ist nicht dasselbe. Echo Look setzt auf Künstliche Intelligenz und gibt sich so zumindest den Anschein von Objektivität.

Eine KI hat keine Agenda, also hat sie immer recht, oder?

Als die Kids in der U-Bahn damals über meine Kleiderwahl meckerten, regte mich das für ein paar Minuten auf. Aber dann dachte ich: „Scheiß auf die. Ich bin, wer ich bin, und das sind bloß gemeine Gören.“ Wenn jedoch ein Computer meinen Modestil kritisiert, mit seinem kalten, unpersönlichen Algorithmus, wie kann ich das abtun? Eine KI hat keine Agenda, also hat sie immer recht, oder?

Natürlich nicht. Zuallererst einmal werden Künstliche Intelligenzen von Menschen trainiert und die geben ihnen bestimmte Parameter vor. Das erzeugt Bias. So funktionieren Algorithmen und es erklärt, warum die ihnen innewohnenden Vorurteile noch immer so schwer zu erkennen, geschweige denn zu beseitigen sind. Amazon sagt, Modeexperten würden die Echo-Look-KI trainieren. Das ist zwar besser, als sich auf Highschool-Schülerinnen zu verlassen, aber auch die Modeindustrie ist nicht gerade vorurteilsfrei. Bis jetzt ist völlig unklar, nach welchen konkreten Kriterien die menschlichen Trainer der Echo-Kamera vorgehen.

„Die Schwierigkeit ist, dass wir nicht wissen, wie dieser Algorithmus genau arbeitet“, sagt Susan Liautaud, Ethikerin an der Universität Stanford. „Es könnte der falsche Eindruck entstehen, dass es in der Mode ein quantifizierbares Richtig oder Falsch gibt.“ Ihr Rat: „Wenn Amazon stattdessen zum Beispiel sagen würde: ‚Wir versuchen euch nicht zu sagen, was richtig oder falsch ist, sondern was die Leute von Vogue denken würden‘, dann könnten die Nutzer das in einen Zusammenhang setzen und etwa entscheiden: ‚Mich kümmert nicht, was die Vogue sagt.‘“

Doch ohne die Details zu kennen, nach denen die Entscheidungen zustande kommen, ist es schwierig, die Urteile von Echo Look einzuordnen. Wenn das Ziel ist, Kleidung danach vorzuschlagen, wie gut sie passt, zieht die KI dann Kleidungsstücke vor, die einen schlanker aussehen lassen? Oder bevorzugt sie solche, die eine, sagen wir, feminine Silhouette haben, gegenüber Stücken mit androgynem Schnitt?

Wie alle Alexa-Produkte hat Amazon Echo Look darauf ausgelegt, mit der Zeit zu lernen. Also erschließt die KI sich vielleicht mit der Zeit den persönlichen Stil ihres Besitzers. Doch die Frage bleibt: Wessen Vorstellung von Schönheit bedient sie? Gibt sie am Ende vielleicht gar den gleichen Rat, wie seinerzeit meine Mitschülerinnen in New York: Alle sollten sich gleich anziehen?

„Kids sind ohnehin sehr empfindlich, was Beurteilung angeht“, sagt John Weisz, Psychologieprofessor in Harvard, der sich auf die geistige Gesundheit von Jugendlichen spezialisiert hat. „Wenn jetzt eine weitere Quelle hinzukommt, deren Urteil aus Sicht vieler Menschen maßgeblich ist, hat das nicht unbedingt nur Vorteile“, warnt er mit Blick auf Amazons neues Produkt. Doch Unsicherheit über das eigene Aussehen ist keineswegs auf Heranwachsende beschränkt. Vor allem berufstätige Frauen stehen unter einem solchen Druck, immer das richtige zu tragen, dass ein ganzer Zweig des Modejournalismus sich mittlerweile mit der Frage beschäftigt: Was passiert, wenn frau sich ausklinkt und einfach jeden Tag das gleiche trägt?

Amazon hat dieses Gadget nicht entwickelt, um uns besser aussehen zu lassen

Womit wir beim Punkt wären: Amazon hat den Echo Look nicht entwickelt, um uns besser aussehen zu lassen. Das Unternehmen hat dieses Gadget entwickelt, ums uns Klamotten zu verkaufen. Der Markt scheint reif, denn nach wie vor sind viele Menschen völlig verunsichert, was ihr Äußeres angeht. Sie könnte Echo Look beim morgendlichen Blick in den Spiegel fragen: „Oh, das? Wirklich?“ – damit sie am Abend brav online etwas neues kaufen. Amazon wolle Umsatz machen, sagt Weisz. „Da wäre es eher nicht der richtige Weg, den Leuten zu sagen, dass sie, so wie sie sind, gut aussehen.“

2012 stieg Amazon ins Modegeschäft ein, im vergangenen Jahr präsentierte der Konzern seine eigene Fashion-Marke. Auch wenn der Echo Look einen interessanten Anwendungsfall für Künstliche Intelligenz darstellt, ist er also nur ein weiterer Weg, uns Kleidung anzudrehen. Leider fällt es schwer, das zu erkennen, wenn man in einem Berg Klamotten vor dem Kleiderschrank steht und einfach nur möchte, dass Alexa einen so akzeptiert, wie man ist.

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