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re:publica 15 / Irans „smarte Unterdrückung“ kann die Frauenbewegung nicht stoppen

von Max Biederbeck
Für Mahsa Alimardani war einer dieser enttäuschenden Momente. Vor knapp zwei Wochen, als die iranische Regierung zum wiederholten Mal ein Frauenmagazin aus dem Internet verbannte. Eigentlich lief für das Online-Portal Zanan-e Emrooz (die Frau von Heute) alles gut. Dann aber ging es einen Schritt zu weit, schrieb über das Leben von unverheirateten Paaren und schnell war alles vorbei. Die Macherinnen werden sich vor Gericht verantworten müssen, das Magazin wurde gesperrt. „Einfach nur frustrierend“, sagt Forscherin Mahsa.

Seit ihrer Kindheit pendelt Mahsa zwischen dem Iran und Kanada hin und her. Stolz erzählt sie, wie sie dank ihrer beiden iranischen Großmütter immer zwei Kulturen erlebt hat, eine säkulare moderne und eine starke konservativ muslimische. Heute macht sie ihren Master in Amsterdam und ist Co-Direktorin der Organisation „Iran Voices“. Sie erforscht einen dritten Staat Iran, den digitalen, und auch der befindet sich in einem andauernden gesellschaftlichen Kampf.

Auf der re:publica präsentiert die Forscherin die Ergebnisse ihrer neuen Studie „Iran’s ‘Intelligent’ Filtering of Instagram“. Sie kommt darin zu dem Schluss, dass es eine teilweise Öffnung des Regimes in Teheran gegenüber sozialen Netzwerken gegeben hat. Frauen im Iran nutzen das Netz schon lange, um die staatlichen Begrenzungen in ihrem Alltag zu umgehen. „Ich würde schätzen, dass um die 70 Prozent der Internet-User im Iran mit Umgehungstechniken wie VPN arbeiten, um die Seiten zu erreichen, die sie sehen wollen“, sagt Mahsa. Bei all der Öffnung habe es aber auch eine negative Entwicklung gegeben.


Die smarte Unterdrückung hat zugenommen.

Seit der Ablösung des alten Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad habe die „smarte Unterdrückung“ (Smart Filtering) zugenommen. Dazu gehört die staatseigene Nutzung von Facebook, Instagram und Co., um regimetreue Meinungen zu verbreiten und Schmierkampagnen gegen politische Aktivisten zu organisieren. Auch die Sperrung und Verfolgung von einzelnen Accounts in den sozialen Medien gehört mittlerweile zur Überwachungstaktik. „Das Regime geht nicht mehr gegen die gesamten Netzwerke vor, wie es etwa in der Türkei in der Vergangenheit wiederholt mit Twitter passiert ist, sondern pickt sich ihre Ziele genau heraus“, erklärt sie.

Soweit die schlechten Nachrichten. Gleichzeitig glaubt Mahsa aber, in ihrer Forschung auch Beweise für die Beschränktheit der iranischen Regierung gefunden zu haben. Sie kann längst nicht auf alle Online-Inhalte Einfluss nehmen, und will das auch gar nicht.

„Das häufigste Ziel von Filterversuchen, vor allem auf Instagram und Websites, sind Seiten mit aufreizend gekleideten Frauen, nicht etwa Seiten mit offensichtlich politischen Inhalten“, schreibt sie in ihrer Studie. Große Seiten, die als anzüglich wahrgenommen würden, etwa Calvin Klein, würden allerdings nicht geblockt. „Das zuständige Ministerium im Iran behauptet, es habe eine Blockquote von 83 Prozent, aber unsere Ergebnisse zeigen etwas anderes“, so Mahsa. Die Studentin geht davon aus, dass das Regime nicht die technischen Möglichkeiten für eine totale Überwachung hat, so wie sie etwa in China passiert.

Dort, so ergänzt der Informatiker und Dozent an der Universität von Peking, Kave Salamatian, gebe es ein gestaffeltes Überwachungssystem. „Benutzt du zehn Minuten eine Technik, um Netzsperren zu umgehen, sagen sie nichts. Sind es mehr, tauchst du auf einem Bildschirm auf. Bist du eine dreiviertel Stunde mit VPN im Netz, wissen die alles über dich“, so der Informatiker.


Nicht nur die technischen Hindernisse des iranischen Regimes ermöglichen laut Mahsa eine freiere Entfaltung im Netz. Sie ist überzeugt, dass längst eine doppelte Gesellschaft innerhalb des Landes entstanden ist: ein Staat im Staat. „Oft geht es im Internet ja gar nicht um Politik und alle wollen die digitalen Möglichkeiten nutzen“, sagt sie. In vielen Behörden, die eigentlich gegen das Internet arbeiten, sitzen mittlerweile die eigentlichen User.

Was heißt das für die Frauenbewegung? „Alle können sich noch sehr gut an die Aufstände von 2009 erinnern, bei denen auch die Frauenbewegung eine wichtige Rolle gespielt hat“, sagt Mahsa. Seitdem haben die Aktivistinnen und Aktivisten im digitalen Raum weiter gearbeitet, eben genau weil die Zensur des Regimes lückenhaft ist.

Mahsa spricht in ihrer Session auf der re:publica 2015 auch Beispiele wie dem Aufruf „My Stealthy Freedom“ von Masih Alinejad an. In einem YouTube-Video zeigte sich die Journalistin im öffentlichen Raum und ohne Kopftuch. Ihrem Beispiel folgten tausende iranische Frauen. Das iranische Regime könne noch so viele News-Seiten sperren, sagt Mahsa, gegen solch eine Viralität habe es keine Chance.

Talks zum Thema:

Mahsa Alimardani spricht zum Filtering Iranian Women auf der re:publica 15.


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