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„Wear It“-Festival: „Wir sind nur einen kleinen Schritt von Objekten mit eigenem Willen entfernt"

von Sonja Peteranderl
Produkte, die ihren eigenen Willen haben, Jeans als Interface und Tracker für Demenzkranke: Beim „Wear It“-Festival in Berlin haben Designer, Wissenschaftler, Tech-Experten und Kreative diskutiert, wie tragbare Technologie die Welt verändern könnte. WIRED stellt die wichtigsten Trends vor.

#1 Von Riesencomputern zu Tech-Textilien: Kleidung wird zum Interface
Die Herausforderung, die den Sprung in den Massenmarkt bedeuten könnte: tragbare Technologie unsichtbarer zu gestalten. „Keiner will in Zukunft wie ein Stickeralbum herumlaufen“, sagt der österreichische Designer Walter Lunzer. Die zunehmende Verbreitung von smarten Textilien, bei denen etwa Sensoren direkt in Fasern eingewoben und auch knickbar und waschbar sind, eröffnet Designern und Makern neue Möglichkeiten. Auch bei dem Designprojekt „Spur“ verschwindet die Elektronik in der Kleidung: Mit einer App können demenzkranke Träger unauffällig getrackt werden, ohne dass sie sich eingeschränkt fühlen.

#2 Wearables go Mainstream: Die Industrialisierung von tragbarer Technologie beginnt — ganz langsam
Lisa Lang, Gründerin des FashionTech-Labels ElektroCouture (hier im WIRED-Portrait), ärgert sich oft, dass FashionTech-Teile, die ihr gefallen, nur als Prototypen verfügbar und nicht käuflich sind. Die Modeindustrie tastet sich zwar langsam an Wearables heran und ruft FashionTech als Mode der Zukunft aus. Doch vor einer industriellen Wearables-Revolution müssen zahlreiche technische und kulturelle Herausforderungen überwunden werden. Die spannenden FashionTech-Experimente finden nach wie vor in Maker Spaces und den Ateliers und Bastelstuben unabhängiger Designer, Künstler und Programmierer statt.

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Erste professionelle Startups und Labels sind immerhin aus der FashionTech-Szene hervorgegangen, die wie Cute Circuit auf dem Laufsteg gegen die alten Branchenriesen antreten. Ein Meilenstein, der die Mainstreamisierung von Wearables jetzt vorantreiben könnte, ist das Project Jacquard. Google will im Bereich tragbarer Kleidung mitmischen — und zusammen mit Levi's Textilien interaktiv gestalten. „Es ist interessant, weil es eine zehn Jahre alte Technologie ist, aber jetzt kommt Google und versucht es im großen Stil anzuwenden“, sagt Thomas Gnahm, Gründer von Wear It Berlin. „Das ist ziemlich eindrucksvoll.“ Jeans und andere Kleidungsstücke könnten in Zukunft zu Interfaces werden, auf denen man wischen, swipen oder auf denen man herumtippen kann wie auf dem Mobiltelefon. Wenn es so weit ist, schließen sich die nächsten Fragen an: „Vielleicht wird es wichtig werden, welches Betriebssystem deine Hose haben wird — und ob es kompatibel zu deinen anderen Geräten ist“, so Gnahm.


# Geklauter Herzschlag: Wearables haben ihren eigenen Willen
Was passiert, wenn Objekte in der Nutzer-Produkt-Beziehung nicht mehr nur Bedürfnisse des Nutzers erfüllen — sondern selbst eine aktive Rolle übernehmen? „Wir sind nur einen kleinen Schritt von Objekten, die einen eigenen Willen haben, entfernt“, sagt der holländische Designer Stijn Ossevoort. Produkte wie Mode mit Tech-Funktionen oder Fitness-Wearables haben ebenso wie die Autos der Zukunft eine eigene Agenda: Sie leiten etwa Informationen wie Standort, Verhalten und Körperwerte an die Hersteller weiter, die die Erkenntnisse auswerten, um mehr über die Nutzer zu erfahren, Big Data-Muster zu identifizieren oder die Daten weiterzuvertreiben. Der Grad zwischen wahrgenommenem Schaden und Nutzern kann schmal sein.

„Parasitär“, nennt Designer Ossevoort solche Objekte: „Das Produkt will etwas von dir, damit es sich selbst erfüllen kann.“ Für sein neues Projekt „Sacre Coeur Coat“ hat er einen alten Militärmantel zerlegt, ihn mit Sensoren ausgestattet, die den Herzrhythmus der Träger messen— der Mantel wird zum Datendieb, entwendet den Herzschlag, speichert ihn, gibt ihn laut wieder, immer wieder. Bis der Mantel erneut getragen wird und ein neues Muster aufgenommen wird. Einerseits wird der Mantel so zum biografischen Speicher, der sogar den Tod seines Trägers überdauert,  andererseits werden dem Nutzer intime Daten entwendet. Eine Dichotomie, die Ossevoort zufolge stärker gesellschaftlich diskutiert werden müsse. Der Mantel soll ein Anstoß sein: „Die Leute müssen sich unterhalten, Design kann Diskussionen über zukünftige Innovationsprozesse anstoßen, positiv und negativ.“

#4 Interaktive Kunstwerke: Wearables verändern das Verhalten ihrer Träger
Mehr als leuchtende LEDs: Komplexe Werke wie die Kreationen von Anouk Wipprecht reagieren auf die Umwelt, auf Bewegung — ihr Spinnenkleid wehrt etwa Menschen ab, die der Trägerin zu nahe kommen. Doch auch der Mensch passt sein Verhalten der Technologie an, wie die Designerin Antonia Nandori bei einem ihrer Projekte bemerkte: „Die Tänzerin begann auf das Kleid zu reagieren und hat ihre Art der Bewegung dem Kleid angepasst.“ Ein Rückkoppelungseffekt, der noch stärker im Kreativprozess berücksichtigt werden müsse: Nutzer sollten stärker in den Kreationsprozess mit eingebunden werden, so Nandori.

#5 Gehackte Rollstühle und Elektroschocks: Wearables revolutionieren den Gesundheitssektor
Hobbys: Elektronik und Programmieren. Die erst 14-Jährige Myrijam Stötzner, hat einen Rollstuhl und eine Webcam gehackt — und einen mit Augenbewegungen steuerbaren Rollstuhl gebaut. „Wir wollen zum Beispiel Menschen mit Multipler Sklerose ihre Freiheit zurückzugeben, sie sollen sich unabhängig bewegen können“, so Stötzner. Eine umgerüstete Webkamera scannt das Auge des Fahrers und kann die Pupillenbewegung tracken. „Wenn du nach vorn fahren willst, musst du nach oben schauen, dann hast du ein paar Sekunden den Befehl um zu bestätigen“, sagt die Schülerin. „Sonst wäre der Rollstuhl völlig außer Kontrolle, wenn du dich ein bisschen umsiehst.“ Den Code hat die sie unter einer Creative-Commons-Lizenz auf Github geladen – jeder soll basteln und mitentwickeln können.

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Auch im kommerziellen Health-Bereich haben Wearables enormes Potential. Designer Walter Lunzer von Otto Bock stellte MyGait vor, eine Bein-Manschette für Menschen, die nach Schlaganfällen Körperteile nicht mehr spüren und bewegen können. Per Fernsteuerung lassen sich kleine Elektroschocks aktivieren. „Es kribbelt ein bisschen, wie wenn man an einen Stromzaun fasst“, so der Designer . „Dann gehen die Zehen automatisch hoch — es ist nur eine kleine Bewegung, aber eine große Hilfe.“

 #6 Wir müssen reden: Innovation entsteht nur im Austausch
„Persönliche Interaktion ist in der digitalen Gesellschaft immer seltener, wird aber immer wichtiger“, findet die Designerin Antonia Nandori. Interdisziplinärer Austausch sei wichtig, um Innovationsprozesse anzustoßen. „Ein Designer muss auch Handwerker sein“, glaubt Nandori. Nicht immer steht die große Idee am Anfang: Auch die Auseinandersetzung mit Material oder Prozessen könne zu Innovation führen. Als die Designerin anfing, sich mit Technologie und Coding zu beschäftigen, hatte sie Angst, die falschen Fragen zu stellen, stieß aber auf einen Tech-Experten, der ihr alles erklärte. „Es war wie eine neue Sprache zu lernen — und seine Sprache zu lernen, gab mir die Möglichkeit ihm bessere Anweisungen zu geben, es veränderte auch meine Designs“, so Nandori. Ihr Tipp: „Stay curious and willing to think hybrid
.“

Von der letzten FASHIONTECH-Konferenz in Berlin haben wir auch Trends mitgebracht

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