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Don’t Drink And Vive? Virtual Reality über der Promillegrenze

von Dirk Peitz
Zwei Freunde machen es sich abends mit ein bisschen Bier gemütlich und denken: Hey, jetzt könnten wird doch VR spielen! Für die Bedienung unter Alkoholeinfluss ist die HTC Vive zwar nicht gemacht, aber ziemlich sicher wird der Alltagsgebrauch von Virtual-Reality-Spielen auch so laufen: hin und wieder mal angeschwipst. WIRED hat es deswegen schon mal ausprobiert. Prost!

Puh, dieses Selfie Tennis wäre ja schon nüchtern anstrengend. Du stehst irgendwo über den Wolken auf einem Court, der von völlig nutzlosen übergroßen Aufblasfiguren gesäumt ist; in der linken Controller-Hand hältst du die Bälle, in der rechten den Schläger; und manchmal, wenn du einen neuen Ball ins Spiel bringst, purzelt mit ihm zusammen aus absolut unerfindlichen Gründen ein Selfiestick auf den Platz, der dann eine Weile dumm in der Gegend herumliegt. Und was das Bescheuertste ist: Du spielst die ganze Zeit gegen dich selbst. Was bitte hat das mit Tennis zu tun?

Entweder bist du zu doof, den Sinn dieses Spiels zu kapieren. Oder es hat einfach keinen. Das Gute am Alkohol aber, denkst du in diesem Augenblick, das ist ja: Er macht auch völlig sinnlose Dinge erträglich. Das Leben zum Beispiel. Da wird der Alkohol ja wohl auch beim Tennis im virtuellen Raum helfen. Also noch einen Schluck Bier, bitte, ich muss Aufschlag üben.

Es ist ein schöner Abend in der WIRED-Redaktion in Berlin, alle Kollegen und Kolleginnen sind schon ausgeflogen. Doch in einem der Räume, da wartet in schönem Schwarzmatt eine Vive, die neue, erste VR-Brille von HTC, dem großen Oculus-Konkurrenten. Ein Testgerät, viele Firmen sind ja so freundlich, Redaktionen neu herauskommende Gadgets zeitlich begrenzt zu leihen, damit Journalisten sie ausprobieren können und hinterher darüber schreiben, wie die so funktionieren, die Geräte.

Idealerweise besitzt der testende Redakteur eine gewisse Expertise auf dem jeweiligen Feld, für das das Gadget bestimmt ist. Um das gleich klarzustellen: Ich habe absolut keine Ahnung von Gaming (da gibt es andere in der WIRED-Redaktion, die ihre Expertenmeinung zur Vive noch äußern werden). Ich habe zum letzten Mal vor ungefähr 15 Jahren einen Controller in der Hand gehabt, bei irgendwas mit Formel-Eins-Autos, es war irgendeine Konsole, es war mir egal: Ich fand es öde.

Dafür kenne ich mich aber mit Alkohol aus. Also: mit dem – maßvollen! – Genuss von alkoholhaltigen Getränken und deren Wirkung auf Körper und Seele. Nein, das soll kein Aufruf zum Trinken werden.

Aber tatsächlich ist das hier ja ein realistisch erscheinendes Setup dafür, wie VR-Gadgets unter anderem auch in Zukunft benutzt werden dürften: Treffen sich abends zwei Freunde, männlich, weiblich, egal, sie trinken zwei, drei Flaschen Bier, und weil sie in dem Zustand auf lustige Gedanken kommen, beschließen sie: Hey, lass mal abwechselnd ein bisschen mit der HTC Vive spielen. Das steht zwar so bestimmt nicht in der Anleitung, aber wer liest schon Anleitungen? Und wer trinkt mit Freunden den ganzen Abend nur Limo? Eben.

Am Ende schlage ich den Ball zwischen den Beinen durch, als wäre ich Roger Federer

Mein bester Freund ist an diesem speziellen Abend etwas später dazugestoßen, er muss sich noch an mein Niveau heranarbeiten: Der Promillerechner im Netz sagt, dass die drei Halbliterflaschen Bier, die ich in den vergangenen drei Stunden ausgetrunken habe, bei mir einen Blutalkoholwert von exakt 0,93 Promille ergeben müssten. Ich sollte also, während ich mit dem Kopf in der Vive stecke und locker den Schläger in Selfie Tennis schwinge, relativ offiziell in der echten Welt keine Kraftfahrzeuge mehr bewegen. Kann aber ja beim VR-Gaming im Gegensatz zum Straßenverkehr niemandem Schaden zufügen außer mir selbst und womöglich dem Spielgerät. Es ist alles eine Simulation! Und immerhin bin ich ja noch halbwegs weit entfernt von der absoluten Fahruntüchtigkeit, die laut deutscher Rechtsprechung bei 1,1 Promille beginnt.

Die medizinischen Nebenwirkungen bei 0,8 Promille sind wissenschaftlich belegt: Gleichgewichtsstörungen, eine um etwa 25 Prozent reduzierte Sehfähigkeit, eingeengtes Blickfeld, eine um 35 bis 50 Prozent verlängerte Reaktionszeit. Ich bin also so was von bereit für eine VR-Brille jetzt! Äh, not.

Das Gute am Selfie Tennis ist in meiner angeschwipsten Situation, und es gibt offen gestanden ansonsten nicht viel Gutes über dieses Spiel zu berichten: Die Flugbahn jedes Balles, der es übers Netz schafft, ist derart vorhersehbar, dass die Reaktionszeit eines Koalas und die Sehfähigkeit eines Maulwurfs reichen würde, um ihn zurückzuschlagen. Und weil Selbstüberschätzung auch eine Nebenwirkung von Alkoholkonsum ist, schlage ich den Ball am Ende sogar mal zwischen meinen Beinen durch, als wäre ich Roger Federer. Der allerdings spielt ja erstens auf richtigen Centre Courts (und nicht in einem Fantasiehimmel), hat zweitens Gegner und weiß drittens, wie man gegen die gewinnt.

Ich hingegen habe auch nach einer Viertelstunde Selfie Tennis keinen blassen Schimmer davon, welches Ziel dieses Game haben soll: Die Aufblasfiguren am Rande abschießen und in die Tiefe stürzen? Ein Foto mit dem Selfiestick machen? Und wenn ja, wie geht das? Oder soll ich gegen mich selbst gewinnen? Es wird Zeit für ein anderes der knapp 30 Games, die beim Games-Portal Steam für die HTC Vive bereitstehen.

Mein Freund setzt die zuvor von mir mit einem triefigen Schweißrand versehene Vive auf (das ist nicht der Alkohol, der da verdunstet, es ist wirklich warm unter der Brille!) und versucht es mit Hover Junkers. Das ist ein Shooter, bei dem man in einer Art Käfig mit Rädern drunter durch eine öde Landschaft trudelt und angeblich andere Spieler abschießen soll. Dafür müssten aber erst mal andere Spieler da sein – wir sind halt wirklich sehr frühe Early Adopters, nicht mal irgendwelche Testerkollegen scheinen gerade in Hover Junkers unterwegs zu sein, vielleicht aber funktioniert das mit dem Multiplayer auch noch nicht – einige der Vive-Spiele auf Steam sind noch nicht mehr als bessere Demoversionen.

Gut wäre jedenfalls, stöhnt mein Freund nach einer gefühlten Minute, wenn einem beim Manövrieren nicht direkt schwindlig respektive schlecht würde. Dabei ist er erst bei der ersten Flasche Bier und also fast noch stocknüchtern.

Unter der Brille merkt man gar nicht so richtig, dass man einen sitzen hat

Da muss dringend etwas Ein- bis Zweidimensionaleres her! Space Pirate Trainer zum Beispiel: Man steht auf einer Plattform im Weltraum, hinter einem parkt ein Raumschiff, in das man womöglich irgendwann einsteigen darf – wenn man genügend Angriffswellen der kugelrunden, etwas glubschäugig wirkenden Gegner abgeschossen hat, die in immer größer werdender Zahl vor einem auftauchen. Von irgendwoher kommen dann auch noch Strahlen, die ebenfalls ungesund für einen sind.

Mein Freund muss sich bei der vierten, fünften Angriffswelle öfter schnell wegducken oder zur Seite springen, um nicht gekillt zu werden. Dank der beiden Raumsensoren, die man in bis zu fünf Metern Abstand voneinander aufstellen kann, bewegt man sich bei der Vive ja tatsächlich in einem virtuellen Raum mit realen Ausmaßen. Als mein Freund es zum Highscore geschafft hat, zieht er die Brille aus und pustet erst mal kräftig durch. Anstrengend! Durst! Bier!

Also übernehme ich die Laserpistolen des Space Pirates. Und realisiere dabei langsam: Unter der Vive merkt man gar nicht so richtig, dass man einen sitzen hat. Das hat mutmaßlich damit zu tun, dass man in dem Moment, in dem man das Headset aufsetzt, ja wirklich andere Welten betritt, in denen alles anders aussieht als in der realen. Man vergisst sich selbst und seinen aktuellen, hicks, Zustand. Und doch muss das Hirn für diesen Übertritt keine wirkliche Abstraktionsleistung erbringen, die es verwirren könnte, schon gar unter Alkoholeinfluss.

Denn das Grundsätzliche ist in den virtuellen Welten so wie auf der richtigen Erde: Unten ist unten, oben ist oben, links ist links, rechts ist rechts, ein Schritt ist ein Schritt, eine Bewegung diejenige, die man auch real macht. Und wenn man den Blick senkt, sieht man bei der Vive, was man auch im echten Leben sähe – seine Hände. Oder jedenfalls zwei glaubwürdige Entsprechungen, Werkzeuge halt, mit denen man Dinge anfassen kann, bewegen, auslösen.

Selbst wenn meine Reaktionszeit nüchtern schneller wäre, würde ich vermutlich nicht genauer zielen, mehr Gegner treffen, länger überleben

Ich hatte angenommen, der Rausch, den wir uns antrinken, würde sich geradezu multiplizieren mit dem ja irgendwie auch rauschhaften Erleben von virtuellen Welten. Doch tatsächlich scheint mein Schwips eher wie weggepustet in dem Augenblick, in dem ich in den verschiedenen Games handeln muss.

Und so würde ich auch den Umstand, dass ich bei Space Pirate Trainer kaum je die fünfte Angriffswelle der Gegner überstehe, nicht dem Alkohol anlasten – ich bin einfach wirklich schlecht in dem Spiel und zudem noch ungeübt. Selbst wenn meine Reaktionszeit im nüchternen Zustand schneller wäre, würde ich vermutlich nicht genauer zielen, mehr Gegner treffen, länger überleben. Auch nüchterne Spieler haben ihre Grenzen, und die wären bei mir rasch erreicht.

Zum Runterkommen startet der Freund nun theBlu, ein Unterwasserszenario, bei dem man absolut gar nichts machen muss und kann – es ist nämlich gar kein Spiel, sondern bloß eine visuelle Erfahrung, durch die man hindurchtaucht. An großen und kleinen Fischen vorbeipaddelt man durch eine Riff-Landschaft, und wenn man nach oben schaut, sieht man weit entfernt hell das Licht. Bei einem wirklichen Tauchgang ginge das von der Sonne aus, man könnte ihm einfach entgegenschwimmen und wüsste, dort oben irgendwo würde die Wasseroberfläche sein und darüber die richtige Welt, Luft, Sonnenschein, das normale Leben.

Um jedoch aus der virtuellen in die richtige Welt zurückeinzutauchen, muss man nicht erst lange schwimmen. Man zieht bloß die Vive vom Kopf. Und merkt in dem Moment, in dem sich die Augen wieder ans normale Licht gewöhnt haben: Junge, ich glaub, wir hätten uns das ganze Bier sparen können – theBlu zumindest hätte uns auch nüchtern besoffen gemacht. 

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