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Play-Kolumne / Thomas Glavinic ringt mit den Folgen seines Facebook-Ausstiegs

von Thomas Glavinic
Tausend Fragen, Beschimpfungen, rätselhafte Textnachrichten: Wer es wagt, sich von Facebook zu verabschieden, kann was erleben. Dabei wollte unser Kolumnist doch nur ein wenig Ruhe haben.

Dieser Tage habe ich ein Zeitungsinserat aufgegeben: 
„NEIN, ICH HABE EUCH NICHT VON FACEBOOK GELÖSCHT!
NEIN, ICH HABE EUCH NICHT BLOCKIERT!
ICH HABE MEINEN ACCOUNT DEAKTIVIERT!
BITTE KEINE BESCHIMPFUNGEN VIA SMS MEHR!
DANKE!“
Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass so etwas aus solchem Grund passieren könnte, aber ich scheine mir in den vergangenen Wochen Feindschaften zugezogen zu haben.

Es begann zwei Tage nach meinem Ausstieg. Eine SMS um drei Uhr früh: „Kann nicht glauben,dass Mich jemand auf fb blockiert. Wüsste nicht,weshalb so etwas gerechtfertigt wäre. Der Freundin von mir hast du selbst deine Nummer gegeben,so Not my fault wenn sie auf die glorreiche Idee kommt, dich anzurufen. Und wenn du das wünscht,lösche ich ganz einfach deine Nummer,dann bist du mit.Sicherheit nicht gestört ;)“

Ich rätselte. Die Nummer war nicht in meinem Handy gespeichert. In solchen Fällen warte ich ab, was nachkommt. Am nächsten Morgen:
„Tut mir leid wegen betrunkener benachrichtigungen,das kommt nicht mehr vor!!“
„Wer spricht da?“
Worauf keine Antwort mehr kam.

Die existenzielle Frage im 21. Jahrhundert: Löscher oder Aussteiger?

Diese SMS-Nachricht bedeutete, dass ich mit jemandem virtuell befreundet war, der a) meine Nummer hat, selbst jedoch nicht in meinen Kontakten gespeichert ist, was vermuten lässt, dass ich ihn aus guten Gründen aus meinem Speicher entfernt habe, b) eine Freundin hat, die meine Nummer hat, bei der ich keine Ahnung habe, um wen es sich handeln könnte, c) sich verletzt fühlt, weil er meint, ich hätte ihn auf Facebook entfreundet. Vor allem jedoch scheint diese Person nicht zu verstehen, dass ein Facebook-Kontakt, der nicht mehr zu finden ist, keinem bösen Löscher gehören muss, sondern auch ein ganz normaler Aussteiger sein kann.

Zu Anfang dachte ich, diese Reaktion sei auf diese eine komische Person beschränkt, schließlich pflege ich Umgang mit verständigen Menschen. Aber dann kamen mehr SMS. Bei einigen wusste ich nicht, von wem sie waren. Die Beleidigungen waren krass. Bei manchen wusste ich es, und die Beleidigungen waren nicht viel weniger krass. Es trudelten E-Mails ein. Länger. Und ernster. Die erste dieser Mails beantwortete ich noch ruhig, die zweite genervt, die dritte nicht mehr. Stattdessen setzte ich das Inserat auf.

Womit wir beim Ausgangspunkt sind. Wieso habe ich mich aus dem sozialen Netzwerkspiel herausgenommen?

Ich bin unendlich schwarmmüde.

Weil ich es nicht mehr ertrage. Ich ertrage den Schwarm nicht mehr. Ich bin unendlich schwarmmüde. Dieses Gewäsch. Diese Freundschaften mit Menschen, die man im realen Leben auch schon langweilig findet. Diese Auseinandersetzungen, bei denen es um knapp mehr als nichts geht, aber bei denen sehr bald die einen den anderen erklären, wofür sie sie so gemeinhin halten. Die Diskussionen, in denen jeder gegen jeden um den Titel des Korrektheitskönigs kämpft.

Wer sich nicht der mancherorts schon gemeingefährlichen Radfahrerflotte anschließen möchte, ist ein Rechtsfaschist, wer vegan lebt, ein Linksfaschist. Und Hans-Jochen Greifvogel und Eleanor Rigby III. sind zu den Feuilletonchefs einer digitalen Katzenfoto-Illustrierten geworden, in welcher der Hipster sich über eine politische Kaste erregt, die nicht bereit ist, Flüchtlingen zu helfen. Was er wiederum in einem Szenelokal niederschreibt, das schon mal eine Kleidersammlung für refugees organisiert hat – eine Aktion der Tugend, die ihm noch lange Zeit das Gefühl geben wird, über den Rest der Welt richten zu dürfen.

Tja. Das ist Facebook, und ich verzichte mal eine Weile. Also bitte keine bösen SMS mehr. (Bezahlte Anzeige.)

In der letzten Ausgabe schrieb Thomas Glavinic über künstliche Dummheit und Plastikhirne.

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