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Dexters Erben: So üben angehende Forensiker

von Sonja Peteranderl
Forensiker kennen viele nur aus dem Fernsehen: aus dem Tatort oder der US-Serie CSI. Die Realität ist aber mindestens genau so spannend — zumindest in Holland. Dort schärfen angehende Forensiker ihren Spürsinn an simulierten Verbrechen.

Sie tragen Schutzkleidung und müssen immer Dialekt sprechen, jedenfalls im deutschen Tatort: die Leute von der Spurensicherung. In der Wirklichkeit gehört ihr Berufsfeld wie das der Rechtsmediziner zur Forensik. Während es in Deutschland kompliziert ist, Forensiker zu werden, werden sie in Holland umfassend und lebensnah ausgebildet.

„Wenn man CSI im Fernsehen gesehen hat, kann man nur sagen: Die Realität ist viel unglaublicher“, meint der Foto­graf Jeroen Hofman. Für sein Projekt „Forensics“ hat er Lehrgänge an den Poli­zei­akademien Apeldoorn und Ossendrecht dokumentiert. In präparierten Wohnungen, in denen Schauspieler als Leichen herumliegen, rekonstruieren die Forensik-Azubis dort Tathergänge.

Auf dem Trainingsgelände stochern sie zwar statt nach Leichen nur nach verrottetem Schweinefleisch — die Hände aber, von denen sie im Labor Fingerabdrücke nehmen, stammen von echten Toten. Hightech-Analyseverfahren werden ebenso gelehrt: etwa wie man Verbrechensschauplätze 3D-scannt oder mit Spektralkameras fast unsichtbare biologische Hinterlassenschaften wie Sperma findet. Das ist dann wirklich eher CSI als Tatort.

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Lest hier das komplette WIRED-Interview mit dem Fotografen Jeroen Hofman:

WIRED: Warum hast du dir gerade die Forensik als fotografisches Projekt ausgesucht, was fasziniert dich daran?
Hofman: Ich habe mich immer für geschlossene Gruppen, closed Clubs, interessiert — wie das Militär, die Polizei oder die Feuerwehr. Es sind kleine Milieus, die ihre eigene Sprache haben. Als ich für mein Projekt „Playground“ an Orten fotografierte, an denen Feuerwehrleute, Katastrophenhelfer oder Ermittler Einsätze trainieren, bin ich auf eine Forensikergruppe gestoßen. So habe ich eher zufällig die Welt forensischer Technologie und Ermittlungen entdeckt und den Tod als Objekt ausgewählt.

WIRED: Seit zwei Jahren begleitest du Forensiker-Lehrgänge mit der Kamera. Kann man Holland deiner Meinung nach als Innovations-Hub in der Forensik bezeichnen?
Hofman: Was die DNA-Analyse betrifft und vor allem wenn bei großen Katastrophen Opfer identifiziert werden müssen, sind die holländischen Forensiker sehr gefragt. Ich würde nicht sagen, dass alles hier besser ist, aber in einigen Bereichen sind wir anderen Ländern voraus.

WIRED: Was hat dich am meisten überrascht?
Hofman: Wenn man CSI im Fernsehen gesehen hat, kann man nur sagen: Die Realität ist viel unglaublicher. Häufig denkt man sich bei CSI: Das kann gar nicht wahr sein. Aber es ist wahnsinnig, was Forensik alles kann und auch, wie die Studenten ausgebildet werden. Ich habe viele Dinge gesehen, die ich nicht erwartet hätte.

WIRED: Zum Beispiel?
Hofman: Es gibt Schauspieler, die tote Menschen spielen. Die Studenten lernen an ihnen von Forensik-Experten, wie sie eine gerichtsmedizinische Untersuchung durchführen. Wenn der Sterbefall erst zwei Stunden zurück liegt, muss man verschiedene Dinge prüfen und sich beispielsweise fragen: Sieht man Würgespuren? 

Um Leichen nachzuahmen, vergraben die Trainer ein halbes Jahr vor dem Training Knochen und Schweinefleisch, das verrottet und sich zersetzt.

Jeroen Hofman, Fotograf

WIRED: Wie realistisch ist es, sich mit lebenden Menschen auf die Untersuchung von Toten vorzubereiten?
Hofman: Bei diesem Training stellen sich die Schauspieler völlig tot. Sie liegen dann  einfach nur eine halbe Stunde auf der einen Seite, dann drehen sie sich auf die andere Seite um. Es sieht richtig real aus. Sie können sogar Leichenstarre simulieren und bekommen die „Rigor Mortis“-Flecken aufgeschminkt, Verfärbungen, die nach dem Tod auftreten. Das Make-Up ist so realistisch, dass die Studenten den Körper, die Umstände der Tat, „lesen“ können. So können die Studenten vom Make-Up darauf schließen, wie sie starben, ob sie bewegt wurden. Der einzige Unterschied ist, dass die Schauspieler Unterwäsche tragen, was bei einer echten Leiche nicht der Fall wäre. Aber es ist der Wirklichkeit sehr nahe und ich wusste nicht, dass angehende Forensiker ihren Job auf diese Art und Weise lernen. 

WIRED: Wie trainieren denn die Forensiker in Holland die Leichenbergung — vermutlich werden keine Schauspieler eingegraben?
Hofman: Um Leichen nachzuahmen, vergraben die Trainer ein halbes Jahr vor dem Training Knochen und Schweinefleisch, das verrottet und sich zersetzt. Und später müssen die angehenden Forensiker danach suchen, mit Stöcken oder speziellen Techniken. Sie versuchen, die toten Körper zu lokalisieren, lernen etwa auch, wie man graben muss. Die Ausbildung wird so real wie möglich gestaltet. Auch das Szenario, mit dem die Studenten trainieren, ist von echten Fällen abgeleitet, sehr blutigen Mordfällen zum Beispiel. Die Forensiker lernen aber auch, wie etwa die forensische Feueranalyse funktioniert, wie sie feststellen, ob ein Feuer von alleine ausgebrochen ist und wie sie die Brandursache identifizieren.  

WIRED: Hast du eine spezielle Perspektive oder Technik angewandt, um die Szenen zu fotografieren?
Hofman: Nein, ich habe nur einige Szenen beleuchtet. Da es sich um Trainings handelt, bleiben die Studenten an einer Stelle und wiederholen es wieder und wieder. So ist bei meinen Fotos auch nichts inszeniert, es passiert einfach. Ich mache mein Licht an, lasse alles geschehen, fotografiere es und sehe zu.

WIRED: Es ist also das perfekte Setting?
Hofman: Es ist fast zu perfekt. Die Welt der forensischen Analyse muss perfekt sein, deswegen sieht alles so sauber und ordentlich aus.

Man kann nicht einfach mit seiner Kamera auftauchen und sagen: Hier bin ich, kann ich ein Foto machen?

Jeroen Hofman, Fotograf


WIRED: Die Forensiker müssen ja selbst auch alle Schritte dokumentieren, aufzeichnen, auch mit der Kamera — als Beweismaterial.
Hofman: Ja, aber es ist eine komplett andere Art zu fotografieren. Die Hauptaufgabe, die sie haben, ist es, die Wahrheit in den Fotos einzufangen — und ich möchte einfach schöne Fotos machen. Ihr Ziel unterscheidet sich also komplett von meinem. Wenn man Fotos von mir und von den forensischen Fotografen nebeneinanderlegt, sind das unterschiedliche Welten. 

WIRED: Die Forensik ist ein sehr abgeschlossenes Universum. Wie schwierig war es für dich als Fotograf, Zugang zu erhalten?
Hofman: Ich muss sehr vorsichtig sein, mit welchen Anfragen ich an sie herantrete. Man braucht viel Geduld — man kann nicht einfach mit seiner Kamera auftauchen und sagen: „Hier bin ich, kann ich ein Foto machen?“ Ich habe viele E-Mails geschrieben und immer wieder nachgefragt. Sie sind kein großer Fan von Menschen, die einfach so hinkommen und fotografieren wollen.

WIRED: Wie geht es mit deinem „Forensics“-Projekt weiter?
Hofman: Ich denke, dass ich weitermachen werde und mich als Nächstes vor allem auf Pathologie, Internetkriminalität und Sprengstoff konzentrieren werde. Studenten müssen dabei etwa die Ursache und den Grad von Explosionen bestimmen. Und ich mache gerade sehr viel Forschung. 

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